Brennt Frankreich jetzt jede Woche?

Auch der 10. Aktionstag der Gewerkschaften gegen Rentenreform und Regierung verlief zunächst friedlich und endete im Chaos, das die Gewerkschaften aber keinesfalls zu verantworten haben.

2023 - wie 1934 oder 1968, immer die gleichen Bilder... Foto: unknown author / Wikimedia Commons / PD

(KL) – Bürgerkriegsähnliche Zustände in Paris und den großen und kleinen Städten Frankreichs; Streiks, die selbst an den aktionsfreien Tagen so etwas wie einen normalen Betrieb, beispielsweise bei der Staatsbahn SNCF, unmöglich machen; erneut über eine Million Demonstranten bereits zum 10. Mal seit dem 19. Januar friedlich auf der Straße; wieder ein vorbildlicher Ordnungsdienst, gemeinsam von allen Gewerkschaften organisiert. Aber dann. Überall das gleiche Bild. Von Mal zu Mal größer werdende Gruppen schwarz gekleideter, Gesichtsmasken tragender und hoch mobiler Schläger liefern sich mit der Polizei eine Jagd durch die Innenstädte, aber inzwischen auch die anderen Viertel, zünden dabei Mülltonnen an, errichten Barrikaden, schlagen Scheiben ein und sorgen dafür, dass dort, wo sie entlang gekommen sind, eine schwelende Spur der Verwüstung hinterbleibt. Dass Präsident Macron weiterhin einen konstruktiven Dialog mit den Gewerkschaften verweigert, heizt das Feuer immer weiter an.

Seit dem 19. Januar 2023, dem Tag der ersten großen Demonstration gegen die damals noch in Planung befindliche Rentenreform, ist das Verhältnis zwischen Präsident und Regierung einerseits und einer großen Mehrheit der Franzosen anderseits zerbrochen. Es ist wie mit einem Paar, das sich nichts mehr zu sagen hat und so sprachlos geworden ist, dass man sich auch gleich wieder in den Haaren liegen würde. In dieser Situation hatten die Gewerkschaften eine Art Schlichtung vorgeschlagen, die Moderation eines Dialogs durch einen qualifizierten Schlichter, doch auch hierauf reagierten die Pariser Machthaber wie immer: „Kein Interesse“. Dabei hätte das so etwas wie eine Paartherapie werden können.

Dann lud Premierministerin Elisabeth Borne gestern die Gewerkschaften für die nächste Woche zum Gespräch. Die ersten Gewerkschaftsführer haben spontan zugesagt, doch müssen die Gewerkschaften aufpassen, sich nicht durch die taktischen Manöver Macrons spalten zu lassen. Denn Elisabeth Borne hat nichts zu entscheiden, nichts zu verhandeln, denn in Frankreich entscheidet nur einer – der Präsident, der hilflos vor dem Chaos steht, das er angerichtet hat. Und nicht vergessen darf man, dass dieser Präsident seit mehr als zwei Monaten jeden Dialog mit den Gewerkschaften verweigert.

Während es überall in Frankreich brannte, lief gleichzeitig in der Nationalversammlung eine der üblichen und seit 1974 vorgeschriebenen Fragestunden des Parlaments, wo die anwesenden Minister auf Fragen der Abgeordneten antworten müssen. Für Nicht-Franzosen ein seltsam anmutendes Ritual: Die Fragen, die häufig in Form eines politischen Statements vorgetragen werden, müssen innerhalb von maximal 2 Minuten gestellt werden, woraufhin einer der anwesenden Minister in ebenfalls maximal 2 Minuten antwortet, doch häufig bellt der antwortende Minister nur eine kurze Antwort ins Mikrophon und das ist auch OK. Dabei antwortet nicht unbedingt der direkt angesprochene Minister auf die Frage, sondern es kann auch ein anderer antworten. Während nun also halb Frankreich nach Tränengas roch, heizten vor allem Innenminister Darmanin und Arbeitsminister Dussopt unter dem zugeneigten Blick ihrer Chefin Elisabeth Borne die Atmosphäre weiter unnötig an, verlagerten die Diskussion von diesem seit Monaten andauernden Politik- und Sozial-Konflikt auf die gewalttätigen Auseinandersetzungen am letzten Wochenende zwischen Polizei und radikalen Umwelt-Militanten in Sainte-Soline (Departement Deux-Sèvres), bei denen sehr viele Polizisten und noch viel mehr Demonstranten verletzt wurden, wobei zwei der verletzten Demonstranten im Koma zwischen Leben und Tod schweben.

Die Auseinandersetzungen in Sainte-Soline hatten allerdings nichts mit der aktuellen Politik- und Sozial-Krise zu tun. Doch angesichts der Heftigkeit der Auseinandersetzungen keimte auch die Frage nach der Polizei-Gewalt wieder auf, da es auch sehr zahlreiche Zwischenfälle am Rande der großen Demonstrationen gab, bei denen die Polizei in vielen Fällen die Verhältnismäßigkeit der Mittel deutlich überschritt. Aber immerhin eine gute Gelegenheit für Darmanin & Co. für pathetische Gesten und eine willkommene Abwechslung vom eigentlichen Thema.

Doch wie lange will diese Regierung zusehen, wie sich Frankreich immer weiter in eine Eskalation der Gewalt verstrickt? Warum gießen Minister aus der dritten Garde immer weiter Öl ins Feuer? Sucht Macron die Auseinandersetzung, um die Rechtfertigung zu haben, seine Polizeikräfte für die Olympischen Spiele 2024 in Paris aufzurüsten und Frankreich bis dahin in den perfekten Überwachungsstaat umzuwandeln? Für die Spiele in Paris wurde bereits die Gesichtserkennung autorisiert und weitere restriktive „Sicherheits-Maßnahmen“ sind in Planung. Irgendeinen Grund muss es ja haben, dass Macron und seine Erfüllungsgehilfen alles, aber auch alles tun, die französische Gesellschaft zu spalten, aufzuhetzen, unter Druck zu setzen.

Alles, was gerade in Frankreich passiert, liegt in der Verantwortung eines Präsidenten, der, würde die Verfassung das hergeben, morgen von den Franzosen aus dem Elysee-Palast gejagt würde. Nur – die Mobilisierung wird weiter hoch bleiben und je eher Macron geruht sein Volk zu hören, desto höher die Chance, eine ausgewachsene und gewalttätige Regierungskrise zu verhindern. Der nächste Aktionstag ist der 6. April und auch dann werden wir die gleichen Szenen erleben wie gestern, wie in der Vorwoche. Die „Black Blocks“ werden immer härter agieren und die Polizei auch. Wenn es dann bei einer dieser Demonstrationen zu einem Todesfall kommen sollte, werden alle Dämme brechen. Was danach passiert, wird auch auf die Kappe Macrons gehen…

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