Brexit – die Fehler der EU

Die britische Regierung und das britische Parlament geben eine jämmerliche Figur im Brexit-Drama ab. Aber auch die EU hat in dieser Geschichte große Fehler gemacht.

Schön, dass sich Donald Tusk und Jean-Claude Juncker so lieb haben. Schade, dass sie nichts für den Verbleib der Briten in der EU getan haben. Foto: European People's Party / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Seit Monaten beherrscht ein Thema die europäische Agenda – der Brexit. Erstaunlicherweise sind weder der Brexit selbst, noch die Frage der britischen Beteiligung an der Europawahl und deren Auswirkung in den Europa-Wahlkämpfen in den verschiedenen Ländern ein großes Thema. Es ist fast so, als gäbe es den Brexit gar nicht. Doch wird die EU den Brexit nicht einfach aussitzen können – doch genau wie Theresa May macht auch die EU mit ihren Fehlern weiter.

Fehler 1: Der Brexit war kein Naturereignis, wie ein plötzlicher Regen oder Temperatursturz, sondern das Einlösen eines Wahlversprechens, das David Cameron den Europa-Gegnern in seiner konservativen Partei, den Tories, gemacht hatte, um seine eigene Mehrheit zu stützen. Insofern hatte sich das Referendum bereits lange Monate zuvor angekündigt, es gab eine hitzig geführte Kampagne der Europa-Befürworter (zu denen sich seltsamerweise sowohl David Cameron als auch Theresa May zählen, die diesen Brexit mit unglaublicher Starrköpfigkeit durchziehen) und der Europa-Gegner um den konservativen Flügel der Tories, aber auch von Nigel Farage, Boris Johnson und der UKIP. Während dieser langen, langen Monate, in denen sich das Brexit-Drama zusammenbraute, schaute die EU tatenlos zu. Hatten die hoch bezahlten Brüsseler Analysten in der Kommission und den verschiedenen Diensten der anderen europäischen Institutionen die Situation so falsch eingeschätzt, dass man davon ausging, dass der Brexit ohnehin nicht stattfinden würde? Wieso hat die EU nicht massive diplomatische Aktivitäten entwickelt und eine inhaltlich starke Kampagne in Großbritannien für die EU und den britischen Verbleib in ihr geführt?

Fehler 2: Es war der Morgen des 24. Juni 2016. Die Ergebnisse des Referendums erschienen auf den Bildschirmen. 51,89 % der Briten, die sich an dieser Volksbefragung am Vortag beteiligt hatten (Wahlbeteiligung 72,21 %) hatten sich für den Ausstieg aus der EU ausgesprochen. Entsetzen allenthalben. Sämtliche Verantwortungsträger der europäischen und nationalen Regierungen erklärten, dass dies ein heilsamer Schock sei und man sich nun umgehend daran machen müsse, „ein neues europäisches Projekt“ aufzulegen, denn Hand auf’s Herz, als alte klappt ja nicht mehr so richtig. Das klang gut. Ein neues europäisches Projekt. Willkommen im 21. Jahrhundert. Ein heilsamer Schock und überhaupt, dieses Referendum auf der Insel war ja ohnehin nicht rechtlich bindend, sondern lediglich konsultativ. Das wird schon noch irgendwie gutgehen. Nur – niemand hat seitdem an einem „neuen europäischen Projekt“ gearbeitet. Dabei hatten sie drei Jahre Zeit. Drei Jahre! Und niemand hat auch nur damit begonnen, sich ernsthaft Gedanken über eine neue Organisationsform der EU zu machen.

Fehler 3: Statt sich gegen den Brexit zu stemmen; begann die EU sehr gewissenhaft damit, ihn zu verwalten. In dem ganzen Prozess im Vereinten Königreich hielt sich die EU vornehm zurück. Gab es eine Image- und Charme-Kampagne der EU auf der Insel? Waren die EU-Außenministerin Federica Mogherini oder Jean-Claude Juncker und Donald Tusk auf der Insel, haben sie dort Tourneen gemacht, um für den Verbleib in der EU zu werben, um die Vorteile und Fortschritte der EU zu vermitteln? Nein. Erst wenige Tage vor Ablauf der ersten Brexit-Frist kamen einige Europaabgeordnete auf die Idee, den Briten in einem offenen Brief mitzuteilen, dass es uns restlichen Europäern sehr angenehm wäre, würden die Briten einfach dabei bleiben. Doch zu diesem Zeitpunkt waren bereits drei Jahre Brexit-Vorbereitungen vorbei und sozusagen der Drops gelutscht. Das Verhalten der EU-Granden war genau diese kalte Brüsseler Technokratie, die momentan in ganz Europa in Frage gestellt wird – die EU verwaltet Krisen, statt sie entschlossen zu lösen. Vielleicht wäre es richtig gewesen, den Briten in diesen drei Jahren mitzuteilen, dass wir sie liebhaben, statt einfach nur ihre Beerdigung zu organisieren.

Fehler 4: Was war denn mit dem Europarat los, der diplomatischen Spielwiese des „großen Europas“ der 47? Der Europarat, Hüter der Demokratie, der Menschenrechte und des Rechtsstaats, zog es diskret vor, den rechtlichen Hintergrund dieses Referendums nicht zu beleuchten. Nicht nur, dass die Europa-Gegner das Referendum durch massive und bereits am nächsten Tag öffentlich eingeräumte Lügen manipuliert hatte, auch die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit war Gegenstand mehrerer Verfahren, die zu unterschiedlichen Urteilen führten. Bis man dann die Formel fand: „Rechtlich nicht bindend, politisch aber verpflichtend“. Diese Formel hatten sich Theresa Mays Brexit-Konsorten ausgedacht und hier hätten Europarat und die wissenschaftlichen und juristischen Dienste der verschiedenen Institutionen eingreifen können und müssen. Stattdessen  machte man das, was man in Brüssel am besten kann – nichts.

Fehler 5: Die EU mit ihren zahlreichen Institutionen, Agenturen, Diensten, Zehntausenden Mitarbeitern ist heute, wenige Tage vor der Europawahl, nicht in der Lage, den rund 500 Millionen Europäerinnen und Europäern eine Perspektive anzubieten. Niemand arbeitet ernsthaft an einer Perspektive für Europa. Dies müsste nämlich mit einigen Grundlagenarbeiten beginnen, für die wir gerade drei wertvolle Jahre mit Nichtstun verplempert haben. So werden wir nicht umhin kommen, Dinge wie „europäische Werte“, ein „soziales Europa“, ein „solidarisches Europa“ und ähnliches zu definieren, denn diese Begriffe haben momentan in Europa 28 verschiedene Bedeutungen. Doch solange wir mit den gleichen Worten verschiedene Dinge meinen, werden wir auch keine gemeinsamen Positionen finden. Viele dieser Grundlagenarbeiten hätten in den letzten drei Jahren durchgeführt werden können, und zwar unter Mitwirkung der britischen Vertreter in den europäischen Institutionen, von denen viele, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, für einen Verbleib in der EU sind. Hätte man diese drei Jahre genutzt, um einen positiven Reformkurs in Europa zu starten, hätte sich das positiv auf die Positionen in Großbritannien auswirken können.. Stattdessen tat die EU – nichts. Außer darüber zu diskutieren, wie man die Auswirkungen auf „die Märkte“ minimieren könne. Statt massiv Eigenwerbung zu machen und Europa einen neuen Elan zu verleihen, haben die Institutionen in den letzten drei Jahren vor allem ihren Kritikern Recht gegeben.

Klar – die ganze Brexit-Geschichte ist in allererster Linie auf das Verhalten von David Cameron und Theresa May zurückzuführen. Aber wenn man genau hinschaut, hat sich die EU in dieser ganzen Zeit auch nicht besonders pfiffig verhalten. Es wäre an der Zeit, das ganze europäische Bodenpersonal auszutauschen und endlich, endlich damit zu beginnen, Europa neu zu erfinden. Bevor es zu spät dafür ist.

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