„Brexit“ – Theresa May eröffnet Saison 3

Nach Saison 1 („Das verlogene Referendum“) und Saison 2 („Zwei Jahre Stochern im Nebel“) startete die britische Premierministerin nun Saison 3 („Das Chaos“).

Im Unterhaus ging es gestern Abend wieder hoch her... Foto: Tom Corser / www.tomcorser.com / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.0UK England & Wales

(KL) – Den Abend im britischen Unterhaus dürfte Regierungschefin Theresa May nicht so schnell vergessen. Immerhin, es war der kollektive Offenbarungseid der britischen Politik, angefangen bei Theresa May selbst, über die schottischen Abgeordneten und auch Labour-Chef Jeremy Corbyn kam mit seinen Anträgen nicht durch. Nur eine der vielen Abstimmungen fiel gestern Abend im Unterhaus positiv aus – und die hätte man sich sparen können: Eine Mehrheit stimmte für eine rechtlich nicht bindende „Empfehlung“, die EU nicht ohne einen Vertrag am 29. März zu verlassen. Das einzige „Ergebnis“ der Sitzung des Unterhauses wurde von der EU bereits um 21h57 einkassiert. Ein politisches Desaster.

Es wurde gestern Abend im Unterhaus recht viel abgestimmt. Zunächst über den Vorschlag von Oppositionsführer Jeremy Corbyn, der den Abgeordneten eine entweder-oder-Entscheidung anbieten wollte. Entweder wir bleiben in der Zollunion mit der EU oder wir organisieren ein zweites Referendum. 327 Abgeordnete sagen „no“ – abgelehnt.

Weiter ging’s mit der SNP, der Schottischen Nationalpartei. Diese schlug ein Doppelpaket mit dem Verbot eines vertragslosen Brexit und der Organisation eines zweiten Referendums vor. 327 „no“ – abgelehnt.

Spannend wurde es bei der Abstimmung des konservativen May-Parteifreunds Dominic Grieve. Diese regte an, das Parlament möge die Kontrolle über den „Brexit“ übernehmen und Entscheidungen treffen können, wenn mindestens 300 Abgeordnete aus 5 Parteien (darunter mindestens 10 Tories) sie beschließen. Ein interessanter Ansatz, der aus einer Parlamentsminderheit eine Entscheidungsmehrheit gemacht hätte – ein wohl in der Geschichte der parlamentarischen Demokratie recht einzigartiger Vorgang. 321 „no“ – abgelehnt.

Dann wurden mehrere Anträge abgelehnt, bei denen es darum ging, Verlängerungen der „Brexit“-Frist auszuhandeln, zwischen ein paar Monaten und zwei Jahren. Abgelehnt, abgelehnt.

Um 21h43 wurde es dann historisch. 317 Abgeordnete gaben Theresa May das Mandat, mit der EU über die Frage der irischen Grenze neu zu verhandeln, um auf der irischen Insel die Einrichtung einer harten EU-Außengrenze zu verhindern. Um 21h53 schwadronierte Theresa May davon, dass sie nun dieses Mandat nach Brüssel tragen werde, um dort verbindliche Regelungen auszuhandeln. Diese Absicht dauerte dann genau 4 Minuten. Um 21h57 verkündete EU-Ratspräsident Donald Tusk, dass es keine Neuverhandlungen geben werde.

Und damit beginnt „Saison 3“ des „Brexit“ – „Das Chaos“. In mehreren Folgen wird Theresa May nun versuchen, die inzwischen passabel genervte EU davon zu überzeugen, das Verhandlungspaket wieder aufzuschnüren, und die EU wird dagegenhalten.

Ob mit oder ohne „Brexit“, die Briten können einem leidtun. Das Chaos der gesamten britischen Politik, die Planlosigkeit, die Realitätsfremde und die Realsatire des „Brexit“ sind beispiellos in der Geschichte Großbritanniens. Dabei erstaunt sehr, dass sich die Tories in den entscheidenden Momenten nicht trauen, die ganz offensichtlich völlig überforderte Theresa May zum Wohle des Vereinten Königreichs aus dem Rennen zu nehmen. Der Preis für diesen sehr vorübergehenden Machterhalt der britischen Konservativen ist hoch: Sie schauen zu, wie Theresa May die britische Wirtschaft und die Einheit Großbritanniens ruiniert. Was sie auch schaffen wird, wenn es so weitergeht.

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