Bürgermeisterwahlen. Waldkirch, Winden: wenig Wahl-Interesse?

Dr. Michael Wehner, Chef der Landesanstalt für Politische Bildung in Freiburg, analysiert die Politikmüdigkeit bei Wählerinnen und Wählern und auf Kandidatenseite. Foto: Privat

(Von Dr. Michael Wehner) – Die Bürgermeisterwahlen in Waldkirch und Winden zeigen beispielhaft, wie schwierig es heutzutage geworden ist, Menschen für die Übernahme öffentlicher Ämter zu gewinnen. Hierzu neun Anmerkungen aus der Sicht der politischen Bildung.

1. In beiden Gemeinden, also Waldkirch und Winden, haben die amtierenden Bürgermeister mehr als 30 Jahre „regiert“. Das spricht selbstredend für die Amtsführung der Bürgermeister Leibinger und Bieniger. Es erschwert allerdings die Kandidaturen von Nachfolgern, besonders, wenn beide Amtsinhaber nicht nur einen guten Job gemacht haben, sondern Auch noch hohe Akzeptanz in der Bevölkerung erfahren. Daraus ableiten ließe sich z.B. eine Diskussion über eine Amtszeitbegrenzung von 16 Jahren, also eine einmalige Wiederwahl.

2. Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an die Amtsführung von Mandatsträgern sind gestiegen. Die Zahl der „Abwahlen“ auch von Bürgermeistern nach der ersten Amtsperiode nimmt zu. Das ist ein gutes und ein schlechtes Zeichen zugleich. Es belegt den Erfolg der Emanzipation des Bürgers, die Wirksamkeit der politischen Bildung und des Vorrangs der „Bürgerbeteiligung“. Es erschwert allerdings die Bereitschaft zu kandidieren und erhöht das Risiko für abgewählte Bürgermeister nach nur einer Amtszeit wieder Anschluss an die Berufswelt zu finden und ausreichend Rentenansprüche erworben zu haben.

3. Die ordentliche Bezahlung der Bürgermeister-Tätigkeit von ca. 5.000,- € im Monat (brutto, Besoldungsstufe A 15) in Winden und ca. 8.000,-€ (brutto, Besoldungsstufe B 3) in Waldkirch ist wohl kaum der Grund für das geringe Kandidateninteresse.

4. Die Bereitschaft bis zu 70 Stunden die Woche zu arbeiten, selten ganze Wochenenden frei zu haben, in der Gemeinde sich ständig bei allen Anlässen zeigen zu müssen und wenig Lebenszeit für sich selbst, Freunde und Familie zu haben, ist vermutlich „das Killer-Argument“ und verantwortlich dafür, dass sich Kandidaten (auch aus der freien Wirtschaft) nur schwer finden lassen.

5. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erschwert besonders die Kandidatur von Frauen. Dabei wird es auch im Elztal höchste Zeit für eine Bürgermeisterin. Es ist eine extreme soziale Verzerrung, wenn in Baden-Württemberg von 1101 Bürgermeistern gerade einmal 53 weiblich sind. Gefragt ist also eine regional verwurzelte, nicht direkt aus der Gemeinde stammende, Verwaltungsfachfrau im Alter von ca. 40 Jahren. Aus Sicht der Politikwissenschaft wäre das sozusagen der ideale Prototyp eines heutigen Bürgermeisters.

6. Das finanzielle Risiko -wenn auch steuerlich absetzbar- einen kostenintensiven Wahlkampf zu führen und ihn zu verlieren, ist nicht unerheblich. In Winden muß ein Kandidat realistischerweise (neben viel Zeit) mindestens 3.000,-€, für Waldkirch mindestens 20.000,- € als Wahlkampfkosten einplanen.

7. Das „Hannes und der Bürgermeister Syndrom“: Die Politikverdrossenheit ist mittlerweile leider auch auf der kommunalen Ebene angekommen. Vorurteile zu kommunalem Klüngel, Amtsmissbrauch, Filz und Vetternwirschaft sind in vielen Köpfen präsent. Schuld sind immer die anderen, meist die Funktionsträger. Es ist leider so, dass sich nicht nur immer weniger Kandidaten für das Amt des Bürgermeisters oder eines Gemeinderates finden lassen, sondern auch immer weniger wählen gehen. Mindestens 50 von 100 Wählerinnen und Wählern bleiben leider zu Hause. Nur noch jeder Dritte kann sich ein langfristiges kommunalpolitisches Engagement vorstellen.

8. Dabei ist die Attraktivität des Bürgermeisteramts insofern hoch, als er oder sie die wirkungsvollste, drastischer formuliert „die mächtigste Person der Gemeinde“ ist. Aufgrund des Informationsvorsprungs, der vorhandenen Infrastruktur im Rathaus und vor allem aufgrund der Mitarbeiterstabs der Verwaltung sind Bürgermeister die einzigen kommunalen „Berufspolitiker“ gegenüber ehrenamtlich arbeitenden Gemeinderäten. Sie können das Gemeindeleben nachhaltig prägen, gestalten und verändern.

9. Winden und Waldkirch hätten mehr kommunalpolitisches Interesse und mehr Bürgermeister-Interessenten verdient. Denn unsere Demokratie bleibt nur dann lebendig, wenn wir uns an ihr beteiligen, ob als Wähler oder Kandidatin.

Weitere Informationen zur Landesanstalt für Politische Bildung und deren Programme finden Sie unter www.lpb-bw.de und www.lpb-freiburg.de.

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