Charlie Hebdo – drei Jahre später

Als am 7. Januar 2015 die Brüder Chérif und Saïd Kouachi 11 Menschen in der Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ ermordeten, war die Solidarität riesig. Und heute?

Gedenken an die Opfer des Terroranschlags auf "Charlie Hebdo". Foto: (c) Benoît Prieur / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Niemals soll man sie vergessen. Die Zeichner Cabu, Charb, Honoré, Tignous und Wolinski, die Psychoanalytikerin Elsa Cayat, der Wirtschaftsexperte Bernard Maris, der Polizist Franck Brinsolaro, der Lektor Mustapha Ourrad, der Mitgründer des Festivals „Rendezvous du Carnet de Voyage“ Michel Renaud und der Sicherheitsmitarbeiter Frédéric Boisseau wurden am 7. Januar 2015 in Paris grausam von Terroristen ermordet, bei einem Anschlag, der sowohl der Pressefreiheit als auch unserem westlichen Lebensstil galt. Doch wo stehen wir heute, drei Jahre nach diesen schrecklichen Morden, in deren Zusammenhang auch der Anschlag auf den Supermarkt „Hypercacher“ verübt wurde, bei dem weitere vier Menschen getötet wurden?

Nach einer ersten, unglaublichen Welle der Solidarität, sowohl mit dem Magazin, aber auch mit der Stadt Paris und mit ganz Frankreich, erinnerte sich die zivilisierte Welt daran, wie wichtig doch unabhängige und frei berichtende Medien sind. Leider hielt diese Erkenntnis nicht lange an – seit dem 7. Januar 2015 hat sich der Ton in der ganzen Gesellschaft verschärft, auch im Verhältnis zwischen den Medien und dem Rest der Gesellschaft.

Doch seien wir ehrlich – praktisch alle größeren Medien befinden sich heute im Besitz großer Finanzgruppen, deren Interessen sie offen oder weniger offen vertreten. Diese Medien werden auch ganz gezielt in der Meinungsbildung eingesetzt, wie man im Superwahljahr 2017 weltweit feststellen musste – die Nähe von wirtschaftlichen Interessen und Medien ist eine Gefahr für die Demokratie, da der politische Prozess durch die wirtschaftlichen Interessen nachhaltig beeinflusst wird.

In der öffentlichen Debatte haben sich Begriffe wie „Lügenpresse“ eingeschlichen und das ist kein Zufall. Journalismus wird heute von vielen als „Kommunikationsvektor“ betrachtet und es wird von Medien erwartet, das zu berichten, was offiziell genehm ist. Doch das ist „politische Kommunikation“ und kein Journalismus. Gibt es seit dem Attentat auf „Charlie Hebdo“ heute einen edlen Kampf um die Freiheit des Andersdenkenden? Für Medien ohne Zensur? Für Medien als kritische Beobachter und Begleiter einer immer verrückter werdenden Welt?

Natürlich gibt es in Westeuropa keine eigentlichen Zensurbehörden. Doch die braucht es auch gar nicht. Durch die Verflechtung zwischen Wirtschaft und Medien ist heute die vorauseilende Selbstzensur vieler Medien ein größeres Problem. Und gute Gründe zur Selbstzensur gibt es immer – man möchte es sich nicht mit einem Anzeigenkunden versauen, man will die Beziehungen zu Politikern und Verwaltungsspitzen nicht riskieren und da auf jede freie Journalistenstelle gefühlte 250 Bewerber und Bewerberinnen kommen, haben viele Journalisten auch schlicht Angst, sich mit „heißen“ Themen zu beschäftigen.

Die Opfer der Anschläge von Paris sollten uns daran erinnern, dass wir gerade dabei sind, Stück für Stück die individuellen Freiheiten zu beerdigen, für die unsere Vorfahren Jahrhunderte lang gekämpft haben und die nun im Sinne einer vermeintlichen Sicherheit geopfert werden. Das ist allerdings gar nicht im Sinne der ermordeten Charlie-Macher, sondern eigentlich ein Erfolg für die Terroristen. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass auch in unseren Ländern Uniformen und Waffen zum alltäglichen Bild auf den Straßen gehören, dass es wieder Grenzkontrollen gibt und Schengen nur noch auf dem Papier existiert. Längst haben wir uns an all die Schimpfworte für Journalisten und Medien gewöhnt, die nicht so berichten, wie sich das so jeder Einzelne wünscht. Längst haben wir uns an den Ausnahmezustand gewöhnt, der nicht nur auf dem Papier, sondern vor allem in den Köpfen Einzug gehalten hat.

Aber wie war das damals, am 11. Januar 2015, als sich vier Tage nach den Attentaten 44 Staats- und Regierungschefs zusammen mit einer Million Trauernder in Paris beim „Republikanischen Marsch“ trafen? Haben sich damals nicht alle mit Tränen in den Augen gegenseitig versprochen, alles dafür zu tun, dass Medien und Meinungen frei sein können, da die Freiheit der Meinungsäußerung in Wort und Bild ein so unendlich hohes Gut ist, dass wir sie mit allen Mitteln schützen müssen? Nein? Und hat nicht genau deshalb „Charlie Hebdo“ trotzig weitergemacht, unter Schock, aber genau im Sinne und im Geist der Ermordeten?

Und heute, drei Jahre später? Natürlich, am 7. Januar 2018 haben wir alle der Opfer der Anschläge gedacht. Und gleichzeitig haben wir kommentarlos zugesehen, wie sich der deutsche und der türkische Außenminister in Goslar und der französische und der türkische Präsident in Paris treffen, während in der Türkei Journalisten inhaftiert, bedroht und drangsaliert werden. Ist das die Lektion, die wir von „Charlie“ gelernt haben? Vorauseilender Gehorsam vieler Journalisten und die Augen verschließen, wenn unsere gewählten Volksvertreter mit denjenigen in noblen Restaurants speisen, die das blutige Werk der Terroristen vom 7. Januar 2015 mit anderen Mitteln fortsetzen?

Es ist wichtig, die Opfer des 7. Januar 2015 nicht zu vergessen. Und es ist auch wichtig, dass wir uns ernsthaft Gedanken um die Rolle der Medien in der Gesellschaft machen. Nicht darüber, wie man die Medien am besten zähmt und auf offiziellen Kommunikationskurs bringt, sondern darüber, wie viel freie Medien und unabhängige Information eine Demokratie braucht. Auf den ersten Blick sollte man meinen, möglichst viel davon…

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