Corona – geht‘s noch? Europa im Wellental (3. Teil)

Bleibt die zweite Welle eine Springflut oder wird sie für anhaltendes Hochwasser sorgen? Egal, es ist höchste Zeit, wieder Worte zu finden. Wird nun alles anders? Nur, wenn man darüber redet. Aber wie? In dem man Fragen stellt – und die dümmsten finden Sie in loser Folge hier.

Welche Farbe hat das Virus? Aus Idealen werden ins Blaue gedachte Ideen und daraus werden... Foto: HFCM Communicatie / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Michael Magercord) – Entlassen wurde der fleißige, und damit an dieser Stelle herzlich bedankte Leser des zweiten Teils der europäischen Ideenkunde mit der Aussicht auf eine konkrete Aufgabe, der sich die Europäischen Union nun stellen muss. Oder wenigstens sollte, oder zumindest mal darüber nachdenken, ob es sich lohnte, sich ihr zu stellen.

Schon gespannt? Darf man sein, zumal mit dieser neuen Aufgabe gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen werden – oder um es weniger martialisch auszudrücken und damit auch einem Verstoß gegen eine etwaige zukünftige Habitat-und Artenschutzrichtlinie vorzubeugen: Die Verwirklichung dieser fixen Idee wird ein Mittel sein, die beiden gegenläufigen, sich aber letztlich bedingenden Tendenzen der EU-Neuzeit wieder in den Griff zu bekommen. Denn sowohl der Verordnungswut als auch die Abwendung von rechtsstaatlichen Grundsätzen der Gemeinschaft könnten mit ihr Einhalt geboten werden.

Diese Aufgabe ist, wenn man so will, die logische Fortsetzung des Friedensprojektes mit anderen Mitteln als Schulden. Und weil ich mich bei der Aufgabenstellung nicht nur auf die Theologie verlasse, sondern auch eine Theorie bemühe, wird die nächste Fleißbiene an mich gehen. Also aufgepasst, liebe Leser, jetzt geht’s um die Wurst, die europäische, und Sie können dabei sein, wenn sie gemacht wird – und klar, dass das etwas verwirrt erscheinen mag, denn dieses spezielle Würstchen hat mindestens zwei lose Enden!

Eigentlich ist ganz einfach, und ein Blick auf einen Globus genügt, um sich die Aufgabe klarzumachen: Darauf sieht man links von einer kompakten Landmasse einen in sich zerfasernden Zipfel. Das ist das bisschen Europa am Ende des asiatischen Kontinents, auf dem sich zwei Staaten befinden, in denen die Hälfte der Weltbevölkerung lebt. Und gegenüber, weiter links übers Meer, dieser beeindruckend lange Riegel? Der nennt sich Neue Welt, in der es tatsächlich, wenn nicht unbedingt neu, so doch ziemlich eigenwillig zugeht. Dazwischen also wir in unseren Klein- und Kleinststaaten – oder anders gesagt: Jeder für sich allein ist ein Niemand zwischen Amerika, China und früher oder später auch Indien.

Was schließen wir daraus? Dass es jetzt zum abschließenden Höhepunkt dieser europäischen Ideenlehre richtig heiter wird! Ja, denn wir beginnen unserem rasanten Ritt zur Lösung der Aufgabe, latent ein Kleinstaatbewohner zu bleiben und trotzdem seine große Idee zu verwirklichen, mit einer europäischen Spezialität: Haltung zeigen, Gemeinsamkeit beweisen – wie gesagt, es wird lustig. Trotzdem, eine Gelegenheit zu beidem bietet sich an, ausgerechnet in China, oder genauer: in Hongkong! Wie? Ganz einfach: Sich jetzt auf die Seite derer stellen, die die eigenen Ideale vertreten ohne, dass man sie nicht erst vermitteln oder gar aufdrängen muss; der chinesischen Regierung offen entgegentreten und das nicht den Trumps überlassen.

VW gegen Seele – Die Rotchinesen sind zwar gar keine Kommunisten mehr, sondern rote Kapitalisten, aber ihren Lenin, den Praktiker der Macht, haben sie gelesen: die demokratischen Kapitalisten verkaufen dir noch den Strick, an dem wir sie schließlich aufhängen. Bisher geht ihre Taktik bestens auf, vor allem bei den Europäern: Kauft noch einen VW und wir halten die Klappe über die sieben Millionen Hongkonger, wie schon über die Uiguren und die Tibeter – wäre ja auch Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Volksrepublik, sagen die Diplomaten im Dienst der Autoindustrie. Doch sie liegen falsch: die Klappe hält man in Hongkong darüber, dass ein internationales Abkommen gebrochen wird – der Vertrag von 1984 mit Großbritannien über Souveränität der Verwaltung in der einstigen Kronkolonie bis 2047, abgelegt in der Vertragssammlung der Vereinten Nationen UNTC unter der Registrierungsnummer 23391. Lassen wir das China durchgehen, weil uns die Hongkonger den Gegenwert von einem VW-SUV wert sind? Und wenn danach Taiwan, die chinesische Bastion der Demokratie, das nächste Opfer Pekings wird, kann man ja erst recht nichts machen, das wäre ja dann wirklich Einmischung in die inneren Angelegenheiten…

Aber halt, es gibt eine Stadt in Europa, die den Mut aufbringt, sich gegen die vermeintliche Unausweichlichkeit der Macht zu stellen: Prag. Ja tatsächlich, ausgerechnet Tschechen, diese Visegrad-Bösewichte! Ausgerechnet das Land, wo Škoda daheim ist. Aber hatte nicht schon Vacláv Havel in den 90er Jahren immer wieder Haltung gezeigt, wenn es um Tibet ging, selbst wenn das für sein Land wirtschaftliche Nachteile bedeutete? Und nun verlangt die Stadt Prag von China, den rotchinesischen Alleinvertretungsanspruch gegenüber Taiwan aus dem Städtepartnerschaftsabkommen mit Peking zu streichen, sonst wird diese eben beendet. Mutig, oder? Und springen den aufrechten Lokalpolitikern aus dem Osten nun ebensolche aus Westeuropa bei? Natürlich nicht, liegt doch heutzutage sogar Duisburg-Rheinhausen an der chinesischen Seidenstraße…

Dominovirus – Deshalb wird es in der europäischen Ideenerforschung Zeit nun für eine „Theorie“. Erinnern Sie sich noch an die Domino-Theorie aus den 60er Jahren: Wenn Vietnam fällt, fällt die ganze dritte Welt in die Hände der Kommunisten? Heute lautet die Fallfolge so: fällt Hongkong, fällt die EU – doch doch, denn die Orbáns, Kaczynskis, Zemans und Konsorten können es gar nicht mehr erwarten, es Peking gleichzutun. Und ist das chinesische Modell nicht sowieso erfolgreicher? Sogar mit Corona kommt das autoritäre Regime besser klar, als diese nervigen liberalen Demokratien. Wenn man nun nicht das osteuropäische Potential des Widerstands nutzt und deshalb diese Überzeugung schließlich gewönne, nur weil ja noch ein Auto verkaufen könnte, dann läge darin die wahre Bedeutung der populistischen Wendung „Chinavirus“.

Was schließen wir nun aus Hypothese, Aufgabenstellung und Theorie? Dass sich die EU-Institutionen um jeden Pieps, den ihre Bürger machen, kümmern zu müssen meinen, aber bei dieser Überfürsorge nicht mehr die Grenzen beachten, die den Menschen, den latenten Kleinstaatlern, immer noch wichtig erscheinen, wodurch die Institution selbst die gemeinsame Idee gefährdet, auf der sie beruht, anstatt dafür zu sorgen, die Ideale dieser Idee mit einer gemeinsamen Haltung gegenüber offenen Bedrohungen zu stärken, möge das auch wirtschaftliche Nachteile bringen, die in einer globalisierten Welt immer in Kauf genommen werden müssen, wenn Kleinstaatler ihre Kleinstaatlichkeit anständig leben wollen, und was ja in Anbetracht der Erfahrungen mit Corona und der Herausforderungen durch den Klimawandel sowieso auf der Tagesordnung der gemeinschaftlichen Institutionen stehen müsste, aber deshalb nicht tut, weil Institutionen naturgemäß nur in der Lage sind, sich bei dem Versuch abzustrampeln, die bestehende Struktur aufrechtzuerhalten, wobei sie aber ständig ihre Grenzen überschreiten, weil diese rückständige Struktur sie schon lange überschritten hat, woraus wir Europäer schließlich lernen, dass es nur die wohlgesinnten fixen Ideen wie eben jene vom Frieden in Europa sein sollten, die man zur Institution werden lässt, denn ihre Ausgestaltung wird schon schlimm genug.

Bienen und Würste – Puh, das war ja jetzt zum Schluss noch länger, als vorletztes Mal die Frage an Ursula von der Leyen und letztes Mal die Ideenkunde mit Egon Friedell. Wer aber eine Fleißbiene einheimsen will, muss was dafür leisten. Und wer eine dumme Frage stellt, und sich dann gleich noch an der entsprechenden Antwort macht, hat sie sich redlich verdient… Uff, jetzt werde ich erst einmal eine rauchen, Mentholzigarette wohlgemerkt, und nuckle dabei mit’nem Plastikstrohhalm an meinem übersüßen Alkoholgesöff, das sicher auch bald verboten wird, aber ich muss mir Mut antrinken, für die Wolfsjagd… Wie bitte? Die europäischen Lehrmeister wollen mir meine Fleißbiene aberkennen? Hey, Leute, das war doch bloß’n Spaß, ein Witz! Hallo, ja doch, ich weiß, es ist alles viel zu ernst, ist ja auch alles super wichtig, klar…

Hallo, hört da draußen noch einer zu? Wie? Keiner mehr? Na schön, dann warte ich jetzt eben geduldig darauf, bis das „Parlament“ in die zweite Staffel geht – diese Fernsehserie nämlich, die zeigt, dass es entgegen der bismarckschen Annahme, beim Machen von Würsten und Gesetzen besser nicht zugegen sein zu wollen, eben doch ein diebischer Spaß sein, den Gesetzesmetzgern bei ihrem Treiben über die Schulter zu schauen. Und spätestens dann werden wir ja sehen, wie’s weitergeht mit Europa…

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