Corona – und dann? Frage an den Sport…

Sind wir mit dem Gröbsten durch? Steht uns eine zweite Welle ins Haus? Egal, es ist höchste Zeit, wieder Worte zu finden. Wird nun alles anders? Nur, wenn man darüber redet. Aber wie? In dem man Fragen stellt – und die dümmsten finden Sie ab sofort in loser Folge hier.

Kicken - sich schützen - Opium fürs Volk? Foto: HFCM Communicatie / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(Michael Magercord) – Da hatten wir uns im wilden Denken geübt, jetzt lenken wir es in geordnete Bahnen. So halbwegs jedenfalls. Und auch nur um klüger zu werden, was ja immer leichter fällt, wenn man zuvor dumm war. Also stellen wir uns dumm und damit diese dümmliche Frage: Was geht mich Sport an, den andere treiben?

Antwort: Nichts. Also fast nichts. Nämlich gerade mal soviel, wie man mich dazu nötigt, das ungemütliche Treiben und virenschleudernde Gehechel der Ertüchtigungsheroen beim müßigen Spaziergang ertragen zu müssen. Doch darum, wie wir unsere so unterschiedlichen Drangsale gegenseitig aushalten können, soll es aber nun nicht gehen. Würde man alles auflisten, was uns an anderen nervt, würde die Liste lang. Nicht nur diese Gehetzten, die da mit ihrem inneren Schweinehund hechelnd Gassi gehen, nerven ihre Mitmenschen, und nicht nur die mit ihren echten Kötern auch noch, nein, vermutlich müsste ich sogar von mir reden, da so mancher dieser Hyperaktivlinge auf seiner Liste mich stehen hat, diesen Bummelanten, der da bräsig im Laufweg rumtrödelt…

Es geht bei der Frage nach dem Nervfaktor des Sportgetreibes vielmehr darum, ob der Sport im Allgemeinen eine Kümmernis der Gesellschaft zu sein hat und damit wiederum der Allgemeinheit seine Kosten anlasten darf? Und da lautet die Antwort: Nein. Sporttreiben ist reine Privatsache – und zwar mehr noch, als jenes, wofür der Sport heute oft als Ersatz dienen muss, die Religion. Denn Achtung: Petrus wird vorm Himmeltor nicht fragen: Hast du auch immer eifrig Sport getrieben?

Petrus fragt uns beim Jüngsten Gericht nach unseren „Guten Taten“ – und dazu zählt definitiv nicht meine Sporttreiberei. Denn die Frage gilt umgedreht: Wem nützt es denn, wenn ich Sport treibe? Antwort: außer mir niemandem. Und wenn ich ihn nicht treiben will, ist das auch einzig und allein meine Sache. Ah, vernehme ich da schon die Hechler? Ihr Faulen und Unwilligen kostet die Gemeinschaft der Krankenkassenbeitragszahler viel Geld, weil ihr doch so ungesund lebt. Wie bitte? Wer kostet letztlich der Allgemeinheit mehr? Sportverletzungen verursachen enorme Kosten. Darüber hinaus zögert die Lebenszeitverlängerung den Tod nur hinaus, aber erspart nicht das Sterben. Und das Sterben ist erst richtig teuer, egal wie viel Sport man vorher getrieben hat. Nur wenn der Sporttreibende kerngesund stürbe, ginge die Rechnung auf. Aber davon ist nicht auszugehen.

Und wenn wir schon mal beim Erbsenzählen sind: Jogger leben länger. Das hält kein Rentensystem der Welt so lange durch. Also erhöht die Joggerei nur das Renteneintrittsalter. Davon haben natürlich dann wieder nur die Jogger was. Und wenn man die Rechnung nun noch weitertreibt und die Rentenzahlungen in der verlängerten Lebenszeit mitberücksichtigt, dann… aber das unterlassen wir hier, nicht nur, weil es mit dem Thema nichts zu tun hat, sondern weil diese Erbsenzählerei nur noch morbider würde. Deshalb nur so viel: Lasst uns Chipsfresser und Couchpotatos – und Raucher – einfach mit der absurden Aufrechnerei zufrieden. Treibt euren Sport und behaltet alles Bessergetue für euch – und ich bohre nicht mehr weiter nach, welchen Mangel ihr da mit eurem Treiben eigentlich kompensiert.

Aber an den allgemeinen Fragen kommen wir nicht vorbei: Welchen Nutzen hat Sport für die Gesellschaft? Wozu sollte der Staat Sportvereinen jetzt helfen? Überschüssige Aggressionspotential aus einer bestimmten Bevölkerungsgruppe lenkt der Sport in geordnete Bahnen, heißt es dann. Beim Mannschaftsport lerne man das disziplinierte und faire Miteinander. Der Gegner wird als Mitspieler erfahren. Wirklich? Schaut man sich an, was so manche Kreisligaschiedsrichter beim Fußball erleben, sind zumindest Zweifel erlaubt: Gang-Bildung statt Teamgeist – und einmal mehr gilt: Sport ist das Spiegelbild der Gesellschaft und nicht ihre Besserungsanstalt.

Aber schön, so sind die jungen Leute wenigstens beschäftigt. – Und Amateursport findet schon viel staatliche Unterstützung. Sportanlagen machen rund zwei bis drei Prozent der Fläche in deutschen Städten aus, Tendenz steigend, wobei es sich im besten Falle um intensiv behandelte Rasenflächen handelt, auf denen nicht mehr allzu viel Biodiversität gedeiht. Für Breitensport ist also ausreichend gesorgt, wie aber steht es nun um den Spitzensport und seiner gesellschaftlichen Funktion?

Spiele zum Brot – reicht das als Argument, um das Treiben der Sportunternehmen in Coronazeiten politisch in einem mächtigen Satz zur Seite zu springen? Seit diesem Wochenende spielt die Bundesliga wieder in ihren Stadien, diesen abgezirkelten Orten, in denen sich bisher die Gesellschaft wie in einem Brennglas studieren ließ: Unten die Spieler, die nach festen Regeln gegen gutes Geld ihre Spielchen treiben; auf den Tribünen das Volk, das dafür bezahlt, sich als „Zwölfter Mann“ einbilden zu dürfen, Einfluss auf den Verlauf des Treibens zu haben; und oben, hinter getöntem Glas mit Häppchen und Champagner in der Hand, die wahren Herrscher über das weite Rund.

Wenn wir also das Stadion als Abbild der Gesellschaft betrachten dürfen, was sagen uns nun die Geisterspiele über ihren gegenwärtigen Zustand? Dass es immer um etwas anderes ging, als um den Sport. Denn eigentlich sollten diese Spiele ohne Publikum geistlos sein, aber die TV-Rechte gilt es zu wahren. Die jungen Männer spielen nicht für Millionen, sondern um Millionen.

Rein sportlich betrachtet würden diese Spieler ihren Ertüchtigungsdrang sicher auch für weniger Geld zu Markte tragen, wie so manche Großverdiener aus Wirtschaft und Politik wohl ebenso. Aber einmal im großen Spiel abgekommen, sehen sie ihr Gehalt vermutlich als gerechtfertigt an und die leidigen Gerechtigkeitsfragen stellen sich für sie nur noch bei der Anzahl der Millionen, die man jeweils mehr wert einschätzt, als den anderen Millionär. Klar, dass man dann in Zeiten wie diesen nicht auf nur eine dieser Millionen verzichten kann. Ja, da haben wir uns prachtvolle Kerle herangezüchtet – und wir als Gesellschaft müssen uns nun fragen lassen, welchen Anteil wir daran hatten, dass diese Mentalität derart um sich greifen konnte.

Die Politik und Wirtschaft jedenfalls frohlockte schon nach dem ersten Geisterspieltag von einem „vollen Erfolg“, wohl auch, weil das Millionenspiel dazu dient, auch den ärmsten Schluckern klarzumachen, dass sich Leistung lohnt und entsprechend belohnt werden muss, selbst wenn das auch Kosten eben der Ärmsten und noch nicht ganz so Armen geht. Wer diese Funktion des Sports erhalten will, wird natürlich zustimmen, dass der Spitzensport ein förderwürdiges Gut ist. Und klar, so wie ihm früher die Polizeieinsätze nicht in Rechnung gestellt wurden, sind nun die knappen Coronatests zuerst Profifußballern zuzugestehen. Und mit derselben Chuzpe lässt man sich auch eine erneute Abwrackprämie auszahlen, ohne dass die Manager auf ihre Boni und die Aktionäre auf die Dividenden verzichten würden.

Ach ja, so läuft es halt und natürlich sind wir allesamt selbst schuld. Klar, jetzt hört man es zwar grummeln und so manche – wie ich – schwören, sich nur noch Amateurfußball anzuschauen. Aber da haben wir die Rechnung ohne Sky gemacht: Der schlaue Sender gibt sein Abo für die Bundesligakonferenz für zwei Geisterspieltage kostenlos ab, und wenn wir erst mal angefixt sind, kann das immer so weitergehen. Dumme Frage, ob der Wahnsinn Methode hat? Die Antwort erspar ich mir, denn was geht mich der Sport der anderen an…

Nun ja, es folgt abschließend noch ein Geständnis: Ich habe am Samstag die Bundesligakonferenz im Radio gehört. Ja klar, das war schon komisch ohne Stadionatmosphäre, aber trotzdem irgendwie… Naja, aber ein Detail ist dann doch ziemlich lustig: die Reporter berichteten, dass die gefoulten Spieler, die sich sonst minutenlang schmerzverzerrt auf dem Rasen krümmen, ohne Publikum im Rücken sofort wieder aufstehen und flugs weiter spielen – was kann uns das denn nun schon wieder sagen über den Zustand unserer Gesellschaft?

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