Countdown zur Französischen Revolution 2.0?

Der französische Premierminister Edouard Philippe hat angekündigt, dass die Regierung die geplante Rentenreform am Parlament vorbei beschließen wird. Das riecht nach Ärger...

Im Wettbewerb um den Titel "unbeliebtester Politiker des Jahres" hat Edouard Philippe hervorragende Chancen... Foto: Jacques Paquier / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – In Deutschland kennen wir so etwas wie de Paragraphen 49-3 nicht, diesen Paragraphen, der es der französischen Regierung ermöglicht, Gesetze am Parlament vorbei durchzudrücken. Das liegt an den unterschiedlichen parlamentarischen Systemen zwischen Deutschland und Frankreich. Der Paragraph 49-3 ist ursprünglich für Situationen gedacht, in denen eine Minderheitsregierung nicht mehr handlungsfähig ist – was in Deutschland (nehmen wir mal den aktuellen Fall Thüringen aus) deswegen nicht vorkommt, da es bei uns Koalitionen und daher im Regelfall keine Minderheitsregierungen gibt. Nur – im aktuellen Frankreich zieht die Regierung diesen Paragraphen 49-3, obwohl sie eine satte Mehrheit in der Assemblée Nationale hat – als einzigen Ausweg aus einer massiven Demokratiekrise. Doch die Folgen dürften für Frankreich dramatisch werden.

Man muss es vorweg sagen – Regierung und Opposition hatten sich beide durch extrem ungeschicktes Verhalten in eine Situation manövriert, in der es dem französischen Premierminister Edouard Philippe gar nicht mehr möglich war, diesen Paragraphen 49-3 nicht zu ziehen. Damit kann das Gesetz über die geplante Rentenreform ohne die Zustimmung des Parlaments beschlossen werden und das wird sehr heftige Folgen haben.

Ein unsinniges Armdrücken. – Die Regierung hatte bereits lange vor der Debatte im Parlament angekündigt, diese Rentenreform durchzuziehen, koste es, was es wolle. Dem Parlament bereits im Vorfeld mitzuteilen, dass man es ohnehin nicht anhören wird, das ist unendlich undemokratisch und ungeschickt. Dass die Oppositionsparteien in der Folge die Debatte im Parlament durch über 40.000 Änderungsanträge lähmten, ist auch nicht viel demokratischer. Am Samstagabend erklärte Edouard Philippe, dass die seit Wochen andauernden Debatten dazu geführt hätten, dass gerade mal 8 von 65 Punkten dieses Gesetzes debattiert wurden, was bedeutet, dass das Gesetz nicht innerhalb der verfassungsmäßigen Frist zu Ende debattiert werden kann. Also gab es noch exakt zwei Möglichkeiten – entweder den Gesetzesvorschlag zurückzuziehen und die gesellschaftliche Debatte um dieses Gesetz wieder aufzunehmen (was die sinnvollere und demokratischere Lösung gewesen wäre) oder aber den 49-3 zu ziehen.

Doch was wird nun passieren? Mitten hinein in eine ganz schwierige Gemengelage zwischen Sozialkonflikt, Klassenkampf und nun auch noch dem Coronavirus mit seinen Maßnahmen, wird es zu Auseinandersetzungen kommen, gegen die im Vergleich die Unruhen der „Gelbwesten“ ein Spaziergang waren. Die Regierung Macron/Philippe lädt zur ungehemmten Revolte ein und die wird nicht lange auf sich warten lassen. Da wird es wenig helfen, dass, ähnlich wie in anderen Ländern, größere Menschenansammlungen wegen des Coronavirus verboten werden (in Frankreich gilt das Verbot momentan für Veranstaltungen mit mehr als 5000 Teilnehmern in geschlossenen Strukturen wie Konzerthallen oder Messesalons), die Wut der Franzosen auf diese Regierung wird sich auf der Straße Luft machen, so oder so.

Der in zwei Wochen stattfindende erste Wahlgang der landesweit stattfindenden Kommunal- und OB-Wahlen in Frankreich wird von diesen Vorgängen überschattet werden. Die Kandidaten und Kandidatinnen der Regierungspartei LREM werden die ganze Unzufriedenheit der Franzosen mit dieser als grundlegend undemokratisch empfundenen Regierung abbekommen, ein Wahldesaster zeichnet sich für diejenigen ab, die heute vor Ort ihren Wählerinnen und Wählern diese Ungeheuerlichkeit „verkaufen“ müssen. Inzwischen müssen schon die Wahlkampfbüros verschiedener LREM-Kandidaten von der Polizei geschützt werden – das verheißt für die Wahl nichts Gutes.

Eine Reform müsste trotzdem sein. – Dabei versteht man in Frankreich wie anderswo, dass die Rentensysteme dringend reformiert werden müssen. Denn in Frankreich gelten immer noch Rentengesetze, die aus einer Zeit stammen, in der die Lebenserwartung der Menschen rund 10 Jahre niedriger war als heute. Doch die Art und Weise, wie diese Reform vorbereitet wurde, hat jede sinnvolle Debatte zunichte gemacht. Ausgearbeitet wurde die Reform von einem hohen Beamten, der die dringende Empfehlung abgab, die Franzosen mögen sich doch durch Zusatzversicherungen einen erfreulicheren Lebensabend sichern. Als herauskam, dass dieser Mann gleichzeitig Lobbyist für die Versicherungswirtschaft ist, wurde einmal mehr das Bild von Emmanuel Macron als „Präsident der Reichen“ bestätigt – und aus war es mit einer sachlichen Debatte. Das Thema „Rentenreform“ wurde zum Klassenkampfthema, unter dem Motto „wir hier unten gegen euch da oben“.

Dass nun dieses Gesetz mit dem Instrument des Paragraphen 49-3 durchgedrückt wird, die vom französischen Volk gewählten Abgeordneten (und damit das Volk) übergangen werden, für eine Reform, die allgemein als unausgegoren und ungerecht empfunden wird, ist wie ein Fehdehandschuh, den die Regierung ihrem eigenen Volk ins Gesicht schleudert. In Deutschland würde die Regierung damit durchkommen, denn wir Deutschen haben viel von dem „Untertanen-Gen“ im Blut, das Heinrich Mann so trefflich beschrieben hat. In Frankreich ist das ganz anders – dort herrscht eher das „Revolutions-Gen“ vor und wenn die Franzosen die Demokratie in Gefahr sehen, dann zahlen in der Regel diejenigen einen hohen Preis, die sich gegen das Volk stellen. So war es zumindest immer in der französischen Geschichte und es steht zu befürchten, dass Macron/Philippe diesen Punkt stark unterschätzen.

Die Reaktionen auf die Ankündigung von Edouard Philippe lassen nicht lange auf sich warten. Bereits am Wochenende gab es in Paris und Toulouse die ersten Straßenschlachten und in anderen Städten wird es nicht anders sein.

Aber das wirft eine grundlegende Frage auf – hat die französische Regierung eigentlich keine Berater, sondern nur Claqueure? Dass zwei Wochen vor einer wichtigen Wahl vielleicht nicht der geeignete Zeitpunkt ist, zu einem so wichtigen Thema wie der Rentenfrage die Demokratie auszuhebeln, das hätte doch irgendein Berater seinen Chefs auch einmal sagen können. Dürfen. Müssen. Was immer in den kommenden Wochen in Frankreich passiert – die Verantwortung tragen viele dafür. In erster Linie die Regierung, aber auch die Oppositionsparteien, die massiv dazu beigetragen haben, dass die Situation völlig aus dem Ruder laufen wird. Man hat fast das Gefühl, dass da gerade ein Wettbewerb in Frankreich läuft, wer die gröberen politischen Fehler begeht.

Am 15. und 22. März werden die Franzosen zum Ausdruck bringen, was sie von dieser Entwicklung halten. Vielleicht versteht man dann in Paris, dass man nicht gegen das Volk regieren kann. Und vielleicht begreift dann auch das Volk, dass es sich keinen großen Gefallen tut, immer und immer wieder diejenigen zu wählen, die dann wieder gegen das Volk regieren werden. So oder so, die nächsten Wochen werden in Frankreich ziemlich aufregend werden…

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