Da stimmt etwas nicht

Das französische Wahlsystem ist so ausgelegt, dass beide Kandidaten in der Stichwahl von der Mehrheit der Franzosen abgelehnt werden. Aber warum sind sie dann in der Stichwahl?

Wenn die Franzosen am Sonntag ihre Stimmzettel in den Umschlag stecken, werden wohl die wenigsten so etwas wie Freude empfinden... Foto: Eurojournalist(e)

(KL) – Zahlreiche Länder der Welt kennen das Wahlsystem „First past the post“, speziell im angelsächsischen Raum. In zwei Wahlgängen stehen sich die Kandidaten gegenüber und wenn einer im ersten Wahlgang mehr als 50 % der Stimmen auf sich vereint, ist er (oder sie) gewählt. Kommt keiner der Kandidaten auf diese Mehrheit, gibt es einen zweiten Wahlgang zwischen den beiden Kandidaten, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen geholt haben (bei den Parlamentswahlen in Frankreich kommen alle Kandidaten in die Stichwahl, die mehr als 12,5 % der Stimmen geholt haben, so dass es drei Kandidaten in der Stichwahl geben kann). Doch dieses System entfernt die Länder, die es anwenden, immer weiter von der Demokratie.

Am Sonntag stehen sich mit Marine Le Pen und Emmanuel Macron eine Neofaschistin und der Erfinder des digitalen Totalitarismus gegenüber – und bereits heute ist klar, dass eine große Mehrheit der Wählerschaft nicht hinter dem Gewinner der Wahl stehen wird. Aber ist das demokratisch, wenn ein Wahlgewinner von einer Mehrheit der Wähler abgelehnt wird?

Seit Anfang des Jahrtausends gab es mehrere Initiativen in Frankreich, um ein proportionales Wahlrecht einzuführen. Mehrfach versuchte der Zentrumspolitiker François Bayrou, ein entsprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen, was immer wieder an den Konservativen und den Sozialisten scheiterte, die dadurch hofften, auch nach 40 Jahren weiterhin die Macht abwechselnd ausüben zu können. Doch das war ein Trugschluss. Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl kamen die Kandidatinnen der Konservativen und der Sozialisten, Valérie Pécresse und Anne Hidalgo, zusammen auf knapp 6,5 % der Stimmen, was ein so schlechtes Ergebnis darstellte, dass ihre jeweiligen Parteien nicht einmal die Wahlkampfkosten erstattet bekommen und ihre Zeit als „Volksparteien“ als beendet betrachtet werden muss.

Zu einem Zeitpunkt, zu dem die früheren Volksparteien implodieren, schlägt die Stunde der Extremisten – und so finden sich in der Stichwahl zwei Kandidaten wieder, deren Zustimmung in der Bevölkerung jeweils bei nicht mehr als 25 % liegt. Doch wie demokratisch ist es, wenn ein Land einen Präsidenten oder eine Präsidentin wählen muss, die 3 von 4 Wählern ablehnen?

Das französische Wahlsystem ist ein Anachronismus, an dem sich die politischen Entscheider festklammern, um ihre Posten und Pöstchen zu sichern. Doch das kann nicht im Interesse der Bevölkerung liegen, die ein Anrecht auf eine Regierung hat, die ihre Interessen vertritt und nicht nur ihre eigenen Karrieren befördert.

In den nächsten fünf Jahren werden die Franzosen merken, wie schädlich dieses System tatsächlich ist. Nach fünf Skandaljahren der Regierung Macron müssen die Franzosen am Sonntag entscheiden, ob sie dem Präsidenten ein Mandat erteilen, seinen digitalen Totalitarismus zu perfektionieren oder ob sie ein neofaschistisches Land werden wollen. Dass es so weit kommen konnte, liegt daran, dass sich die früheren Volksparteien aus Gründen des Machterhalts geweigert haben, Frankreich ein demokratisches Wahlsystem zu geben. Dass sich daraus die Konstellation ergibt, in der man sich zwischen einem „Sonnenkönig moderner Machart“ und einer Neofaschistin entscheiden muss, ist tragisch.

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