Da waren’s nur noch 27…
Nach dem britischen Votum über den „Brexit“ kann es den europäischen Spitzenkräften gar nicht schnell genug gehen.
(KL) – Ob das europäische Spitzenpersonal die Lage wirklich richtig einschätzt? Nach dem britischen Votum drängen nun viele auf eine schnelle Prozedur und vor allem darauf, dass die Briten nun schnell den Artikel 50 der europäischen Verträge ziehen und der EU offiziell ihren Austritt mitteilen. Doch so schnell sollte man das Kind nicht mit dem Bad ausschütten. Denn inzwischen mehren sich die Stimmen der Vernunft, die ein „neues Europa“ entwerfen.
Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz, aber auch die deutsche Regierung drängen nun darauf, dass alles schnell geht, doch ist diese Eile völlig unnötig. Denn die Briten entdecken gerade, was sie mit ihrem Votum angerichtet haben – das Vereinigte Königreich steht kurz vor der Implosion, Schottland und Nordirland stehen vor dem Absprung und inzwischen gibt es bereits 3 Millionen Briten, die eine Wiederholung des Referendums fordern. Eines der Hauptargumente, die nicht von der Hand zu weisen sind, ist, dass der „Brexit“-Verfechter Nigel Farage (UKIP) nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Ergebnisses erklärt hatte, im Wahlkampf schlicht gelogen zu haben. Daher fühlen sich viele Briten zurecht hinters Licht geführt und fordern nun eine Neuansetzung der Abstimmung.
Ebenso werden gerade in Schottland und Nordirland Abstimmungen vorbereitet, allerdings nicht über den Verbleib in der EU, sondern über den Verbleib in Großbritannien. Angesichts der Abstimmungsergebnisse am 23. Juni in Schottland und Nordirland muss London nun damit rechnen, dass sich in diesem Fall das Vereinigte Königreich in seine Bestandteile auflöst.
Verhindern könnte dies allerdings noch das britische Parlament. Denn das Ergebnis vom 23. Juni ist nicht unbedingt bindend für die britische Regierung und zahlreiche Abgeordnete fordern nun, dass das Parlament entscheiden möge, den „Brexit“ abzulehnen.
Warum nun die übrigen europäischen Länder so sehr darauf drängen, dass die Briten nun wirklich den Schritt zum Ausstieg machen, ist unklar. Immerhin, etliche Stimmen melden sich nun zu Wort und präsentieren Vorschläge, wie ein „neues Europa“ aussehen könnte. Allerdings beinhalten viele dieser Vorschläge die alten Ideen und relativ wenig inhaltlich Neues. So ist das Thema „Wachstum“ immer noch im Zentrum aller Vorhaben, doch kann der Tanz um das Goldene Kalb nicht unbegrenzt weitergehen.
Doch langsam scheint es vielen, bis auf den aktuell politisch Verantwortlichen, zu dämmern, dass wir gerade dabei sind, den Rechtsextremen und Neonationalisten die Schlüssel Europas in die Hand zu drücken. Doch dass man zum Kampf gegen diesen extremen Rechtsruck Visionen haben muss, dass Europa „sexy“ werden muss, das hat sich noch nicht so richtig herumgesprochen. Weswegen die Rechtsextremen auch munter weiterjubeln können.
Der Schock über den „Brexit“ sitzt tief. Doch sollte man jetzt erst einmal nichts überstürzen, sondern erst einmal das tun, was 51,9% der Briten am 23. Juni offenbar nicht getan haben – Nachdenken.
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