Damit musste Theresa May rechnen…

Im Brexit-Strudel passiert nun das, was allen klar sein musste – Schottland bereitet für 2021 sein „Exit-Referendum“ vor – und könnte tatsächlich das Vereinte Königreich verlassen.

Bye, bye Theresa - die tapferen Schotten sind auf dem Weg heraus auf dem Vereinten Königreich und hinein in die EU. Foto: Auckland Museum / Wikimedia Commons / CC-BY 4.0int

(KL) – 62 %. Dieser Prozentsatz hätte Theresa May eigentlich zu denken geben müssen. Die schottischen Bürgerinnen und Bürger hatten beim Brexit-Referendum 2016 mit 62 % GEGEN den britischen Ausstieg aus der Europäischen Union gestimmt. Nun hat Nicola Sturgeon noch einmal klar gemacht, dass Schottland im Fall des Brexit ein neues Referendum organisieren wird – über den Ausstieg Schottlands aus dem Vereinten Königreich. Die historische Tragweite des Brexit für die Einheit Großbritanniens scheint den britischen Nationalisten einfach nicht begreiflich zu sein.

Seit 1603 wurden die beiden Königreiche Schottland und England gemeinsam regiert und 1707 kam es zum Zusammenschluss der beiden Königreiche, die fortan als Königreich Großbritannien agierten. 1801 kam dann noch das Königreich Irland dazu und so entstand das Vereinte Königreich Großbritannien und Irland. Warum ausgerechnet die britischen Nationalisten jetzt dafür sorgen, dass diese Zusammenschlüsse ab 2021 rückabgewickelt werden, ist völlig unverständlich.

Die Ankündigung eines neuen Schottland-Referendums ist alles andere als überraschend – Nicola Sturgeon hatte dies wiederholt für den Fall des Brexit angekündigt. Angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel ihrer Landsleute den Verbleib in der EU wünsche, ist das auch nachvollziehbar. Zumal die schottische Unabhängigkeitsbewegung kurz vor der Brexit-Abstimmung erst knapp mit einem Referendum gescheitert war: 55 % der Schotten stimmten für den Verbleib in Großbritannien, doch das war vor dem Brexit. Und der, wie erwähnt, wird von 62 % der Schotten abgelehnt. Ebenfalls berücksichtigen sollte man den Umstand, dass bei diesem letzten Unabhängigkeits-Votum 2014 die EU den Schotten damit gedroht hatte, dass sie im Falle einer Unabhängigkeit nicht automatisch Mitglied der EU werden könnten. Doch 2014 rechnete auch noch niemand damit, dass sich Großbritannien tatsächlich auf den suizidären Weg aus der EU machen würde.

Ohne, dass die britische Regierung es bisher geschafft hätte, in drei Jahren eine klare Perspektive dessen zu entwickeln, was sie eigentlich wollen, hat Theresa May immerhin bereits eines erreicht: Sie hat die britische Einheit zerstört. Zwischen EU-Mitgliedsstaat Irland und dem britischen Nordirland sind die seit 30 Jahren schlummernden Konflikte wieder ausgebrochen, Schottland macht sich alleine auf den Weg nach Europa und all das scheint ausgerechnet die Nationalisten, denen die britische Einheit eigentlich am ehesten am Herzen liegen sollte, nicht zu interessieren. Jahrhunderte lang haben die Briten ihre Einheit gegen alle verteidigt, die diese Einheit zerstören wollten: Sachsen, Normannen, Nazis – alle scheiterten bei dem Versuch, die Briten auseinanderdividieren zu wollen. Dass nun ausgerechnet diese Einheit von der eigenen Regierung ausgehebelt wird, ohne dass dafür ein triftiger Grund vorliegt, ist ein Treppenwitz der Geschichte.

Nach wie vor wartet die Welt auf eine britische Erklärung, was eigentlich der Nutzen des Brexit sein soll. Das diffuse „wir wollen wieder Herr im eigenen Haus sein“ ist in einer globalisierten Welt kein Argument mehr. Zumal die Briten ja auch im Brexit-Fall weiterhin die Vorteile eines gemeinsamen Markts nutzen wollen, der, ob man das in London will oder nicht, nach den Regeln funktioniert, die von den europäischen Institutionen festgelegt werden. Und die von den Briten einzuhalten sind, wollen sie weiterhin diese Vorteile nutzen.

Seit drei Jahren ist die britische Regierung nicht in der Lage, eine Perspektive zu entwickeln, wie das Leben auf der Insel nach dem Brexit aussehen soll und bislang fehlt sogar eine halbwegs vernünftige Begründung, warum dieser Brexit überhaupt stattfinden soll. Zwei Optionen wären naheliegend, doch offenbar sind diese so naheliegend, dass sie für die durchgeknallte britische Regierung nicht in Frage kommen. Zum einen könnte London schlicht und ergreifend den Antrag auf Austritt aus der EU zurücknehmen und die ganze Geschichte vergessen. Zum anderen könnte die britische Regierung auch das von so vielen geforderte zweite Referendum organisieren, das „Final Say Referendum“, das Millionen von Briten fordern und das ebenfalls diesen Brexit-Albtraum beenden könnte. Doch diese beiden Optionen der Vernunft sind auch die beiden einzigen Optionen, die in der Wahrnehmung der angeschlagenen Theresa May nicht existieren. Weswegen sie ja auch in der ersten Juni-Woche die vierte Abstimmung für ihren bereits dreimal abgelehnten Brexit-Vertrag organisieren will. Womit das Vorgehen von Theresa May fast erdoganeske Züge annimmt.

Aber immerhin, auf der britischen Insel gibt es noch eine Politikerin, deren mentale Gesundheit noch nicht angegriffen zu sein scheint – die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon. Als verantwortliche Regierungschefin sorgt sie nun für die von der Mehrheit ihrer Landsleute gewünschte europäische Perspektive, also genau das, was Theresa May ihren britischen Mitbürgern verweigert.

Wenn es so weitergeht, werden wir 2021 erleben, dass Schottland aus dem Vereinten Königreich austritt und sich der EU annähert, während Theresa May vermutlich die 47. Abstimmung für ihren Brexit-Vertrag im Unterhaus organisiert. Doch das Erstaunlichste an der ganzen Geschichte ist das britische Phlegma – in jedem anderen Land hätte man Theresa May schon längst vom Hof gejagt. Doch so werden die Briten abwarten, Tee trinken und zuschauen, wie Theresa May ihr Land ruiniert. Nur die Schotten werden rechtzeitig die sinkende Insel verlassen und in den europäischen Hafen steuern. Welcome Scotland!

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