Darf, soll, muss man Diktatoren umbringen?

Einmal im Jahr, am 20. Juli, dürfen wir Deutschen so tun, als seien wir ein Land des Widerstands gegen die Nazis gewesen, denn an diesem Tag jährt sich der Anschlag auf Adolf Hitler.

Nur eines des beiden Sprengstoffpakete des Graf Stauffenberg explodierte - sonst wäre die Nazi-Führung fast komplett tot gewesen. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1972-025-10 / Wikimedia Commons / CC-BY-SA-3.0

(KL) – Wer an die Geschichte des deutschen Widerstands gegen die Nazis denkt, der ist schnell mit seinen Überlegungen durch. Es gab einfach nicht so viele Widerstandskämpfer. Da waren die Geschwister Scholl, da war ein Georg Elser, und dann ist man auch schon schnell bei der Stauffenberg-Gruppe. Doch auch deren „Widerstand“ muss kritisch hinterfragt werden, denn es war alles andere als ein „ideologischer Widerstand“, einer, der sich gegen die Verbrechen des Nazis-Regimes gewandt hätte, dem die Verschwörer lange Jahre die Treue gehalten hatten, sondern es war ein „militärischer Widerstand“ von hochrangigen Militärs und Mittätern, die verstanden hatten, dass der II. Weltkrieg verloren war und die das unnötige Blutvergießen beenden wollten.

Doch der 20. Juli 1944 und das Attentat auf Hitler wirft viele Fragen auf. Diese haben auch aktuelle Bezüge, denn Diktatoren gibt es auch heute reichlich auf der Welt. Doch beginnen wir mit dem 5. Gebot der christlichen Religion: „Du sollst nicht töten“. Allgemein ist dieses Gebot in unserem Kulturkreis akzeptiert, doch gilt es auch für mörderische Diktatoren? Das Gebot selbst spricht von keinerlei Ausnahmen. Und dennoch, in der historischen Nachbetrachtung, hätte es wohl niemanden gestört, hätte Graf von Stauffenberg auch das zweite Sprengstoffpaket zur Explosion und damit Adolf Hitler mit Sicherheit zur Strecke gebracht. Gibt es eine Notstand-Situation, die dieses 5. Gebot aufhebt und uns das Recht gibt, Diktatoren zu töten?

Was ist dann mit den Diktatoren, die heute Kriege führen, Bürgerkriege anzetteln, ihre Bevölkerung drangsalieren oder aushungern, aus Profitgier unseren Planeten zerstören? Sind die jetzt „Freiwild“ und dürfen gejagt werden? Oder greift das 5. Gebot doch?

Erinnern wir uns daran, wie die USA Oussama Bin Laden aus dem Weg geräumt haben. Ziel der Operation war es nicht etwa, Bin Laden lebend zu erwischen und ihn vor ein Gericht zu stellen, sondern der Mann wurde gezielt getötet. Da er erwiesenermaßen eine Gefährdung für den schon lange nicht mehr existenten Weltfrieden darstellte, bejubelte (fast) die ganze Welt diese eiskalte Ermordung und die noch eiskältere „Entsorgung“ des Terroristenchefs. Nur – wer definiert, wer ein Diktator ist und wer nicht? Wer entscheidet, wer so schlimm ist, dass er sterben muss und bei wem man noch mal abwartet, was er als nächstes tut?

Aber immerhin, heute feiert Deutschland seinen Widerstand. Und niemand schaut so genau hin, was diese Widerständler in den Jahren 1939 bis 1944 getan haben, als sie Aktivposten des Naziregimes waren. Hätten Stauffenberg und seine Gruppe dieses Attentat geplant und ausgeführt, wenn Deutschland in diesem Moment militärisch erfolgreich gewesen wäre und eine Chance gehabt hätte, den Krieg zu gewinnen? Sehr wahrscheinlich nicht – und das setzt dann doch ein großes Fragezeichen hinter diesen „Widerstand“.

Doch bevor wir uns diesem, von zahlreichen Beiträgen in Funk, Fernsehen und anderen Medien befeuerten guten Gefühl hingeben, dass es ja doch so etwas wie einen „deutschen Widerstand“ gegeben hat, sollten wir uns eine aktuelle Zahl anschauen – 27 % der Männer in den neuen Bundesländern sympathisieren mit der AfD, wie eine Umfrage zeigte. Die Bestie atmet immer noch, das ekelhafte Gedankengut der Nazis hat immer noch Anhänger in Deutschland. Daran sollten wir heute denken und uns die Frage stellen, wie wir uns wohl verhalten werden, sollte es zu einer erneuten Machtübernahme durch Extremisten kommen. Werden wir dann die Tyrannen ermorden oder werden wir uns auf die Position zurückziehen, dass die Tyrannen schließlich demokratisch gewählt worden sind? So wie Hitler auch? Und selbst an einem 20. Juli bleibt das bedrückende Gefühl, dass es wohl auch im 21. Jahrhundert keinen ernsthaften Widerstand gegen ein neues, verbrecherisches Regime geben dürfte. Warum das so ist, das hat Heinrich Mann meisterlich in seinem Werk „Der Untertan“ aufgeschrieben. Lesenswert.

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