Das Ende der „Bise“?

Dieses blöde Coronavirus verändert unser tägliches Leben. „Social Distancing“ ist eine Sicherheitsstrategie geworden. Aber bedeutet das auch das Ende des französischen Wangenkusses?

Ob wir eines Tages wieder "la bise" austauschen können wie diese Präriehunde? Foto: Brocken Inaglory / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 2.5

(KL) – Ah, „la bise“! Der französische Wangenkuss hat eine große Bedeutung im sozialen Leben Frankreichs. Denn der Wangenkuss ermöglicht eine klare Hierarchisierung der zwischenmenschlichen Beziehungen. Aber ob diese schöne Sitte auch das Coronavirus überlebt, ist fraglich – denn plötzlich ist körperliche Nähe kein Ausdruck von Zuneigung mehr, sondern eine Gefährdung der Mitmenschen. Ob dieses Trauma nach dieser Krise einfach überwunden werden kann?

Die Begrüßung ist in Frankreich ein komplexes Ritual, das man nicht unterschätzen sollte. Auf der untersten Stufe steht ein angedeutetes Kopfnicken, das bedeutet, dass man den anderen wahrnimmt, sich erinnert, sich schon mal irgendwo getroffen zu haben, ohne dass diese Begegnung einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hätte. Wenn einem jemand zur Begrüßung zunickt, dann ist das eigentlich ein schlechtes Zeichen. Denn es reicht nicht einmal zum Händeschütteln.

Händeschütteln ist in Frankreich das, was in Deutschland die Floskel „mit freundlichen Grüßen“ am ende eines Briefes ist. Denn weder grüßt man wirklich, noch ist es wirklich freundlich gemeint. Eine Floskel eben. In Frankreich ist das Händeschütteln bei der Begrüßung eben Standard, aber auch kein Ausdruck von Nähe, sondern fast das Gegenteil – man hält höflich Abstand. OK, aber eben nicht wirklich herzlich. Aber dann kommt die Stufe des Wangenkusses.

Der Wangenkuss. Eine Wissenschaft für sich. Mal gehaucht, mal angedeutet, mal feste drauf geküsst – und alles hat seine Bedeutung. Je nach Region und Grad der Vertrautheit wird zweimal, dreimal oder sogar viermal geküsst und dabei verhaspeln sich sogar die Franzosen, wenn sie nicht genau wissen, ob der Gegenüber die Variante 2, 3 oder 4 im Kopf hat. Das führt manchmal zu witzigen Situationen, wenn jemand seinen dritten oder vierten Wagenkuss erwartet und dafür bereits den Kopf nach vorne schiebt, während der oder die andere bereits mit der Küss-Session aufgehört hat. Kurze Momente der Einsamkeit.

Die Vierervariante kann ziemlich viel Zeit in Anspruch nehmen, wenn sich grössere Gruppen treffen. Bis sich dann alle in aller Form begrüßt haben, hat der Kinofilm längst angefangen…

Eigentlich eine sehr nette Sitte, die der Tatsache Rechnung trägt, dass wir eher taktile Wesen sind, für die Körperkontakt eine wichtige Kommunikationsebene darstellt. Nur, wie soll das jetzt nach dem Coronavirus weitergehen?

In den letzten Tagen und Wochen vor der Ausgangssperre war noch alles beim Alten. Da keine Gefahr zu bestehen schien, küssten die Französinnen und Franzosen eben auch weiter. Doch plötzlich war der ideale Abstand zwischen den Menschen eben nicht mehr Wangenkontakt, sondern 1,5 bis 2 Meter. Und man vermied jede Art von Körperkontakt, denn Körperkontakt bedeutete und bedeutet immer noch Ansteckungsgefahr. Ein Trauma.

Wird Frankreich nun dieses Trauma nach der Coronakrise wieder abschütteln können? Vermutlich hängt es davon ab, wie lange diese Kontaktsperre noch andauert. Sollte es sehr lange dauern, dann stehen die Chancen hoch, dass das Trauma „Körperkontakt vermeiden“ weiter bestehen bleibt. Und das wäre schade. Doch wenn im Kopf die Gleichung „Küssen = Gefahr“ aufleuchtet, dann war es das mit der „Bise“. Aber da werden wir Ausländer gegensteuern. Und munter weiter Wangenküsse verteilen, sobald das wieder sicher ist. Immerhin sind wir genau deswegen irgendwann mal nach Frankreich gezogen. Vive la bise! Vive la France!

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