Das Fähnchen im Wind

Der französische Innenminister Gérard Collomb repräsentiert ganz alleine die Misere der französischen Politik, in der es nur noch um persönliche Ambitionen geht.

Der französische Innenminister Gérard Collomb ist ein echtes Auslaufmodell. Foto: Florent Pessaud / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Moment mal, das müssen wir gerade mal nachschlagen. In welcher Partei ist der französische Innenminister Gérard Collomb gleich? La République en Marche? Nö. In deren Regierung sitzt er zwar, aber er ist zumindest auf dem Papier, kein „Marcheur“? Sozialist ist er auch nicht (mehr) – denn seine alte Partei will nichts mehr von ihm wissen. Ja, dann bleibt ja wohl nur noch der Front National übrig, dessen populistische Thesen er gerade in neue Gesetze wie das zur Immigration und Abschiebung gießt. Auch nicht? Parteilos? Oder eben einfach, wie so viele Politiker, ausschließlich in eigener Sache unterwegs? Politiker wie Gérard Collomb, frei von jeder politischen und gesellschaftlichen Ambition, unbeleckt von so nervigen Dingen wie Werten, ist ein ausgezeichneter Büffetjäger und Freifahrtengenießer und stellt genau das dar, was den Franzosen die Lust an der Politik raubt. Ein Auslaufmodell, ein politischer Dinosaurier, ein Relikt der V. Republik, das leider noch kurz vor der Rente jede Menge Schaden anrichtet.

Dass die Franzosen das gleiche Problem wie die Deutschen haben, nämlich dass abgewiesene Asylbewerber das Land nicht verlassen, ist eine Sache. Ebenso wie in Deutschland gehen auch in Frankreich nur rund 15 % der abgewiesenen Asylbewerber freiwillig, der große Rest durchläuft langwierige Einspruchs-, Duldungs- oder Kirchenasylverfahren und das veranlasste Herrn Collomb dazu, das Einwanderungsgesetz drastisch zu verschärfen. Und zwar in einer Form, dass künftig auch Kinder in Begleitung ihrer Eltern in Abschiebehaft genommen werden dürfen und die darf nun auch 90 statt wie bisher 45 Tage dauern. Da ist es egal, dass sich die Psychologen einig sind, dass Kinder eine Inhaftierung (vor allem, ohne dass sie etwas verbrochen hätten) wie ein posttraumatisches Syndrom leben. Praktisch, dass Kinder von abgelehnten Asylbewerbern keine Lobby haben.

Schade nur, dass Herr Collomb zur Begründung ausgerechnet die dummen Sprüche des rechtsextremen Front National bemüht. „In Frankreich gibt es Regionen, die unter dem Ansturm der Asylbewerber ertrinken“, schwadronierte der alte Mann, was ihm den Beifall von Marine Le Pen und Konsorten einbrachte, ansonsten aber vor allem von einer völligen Unkenntnis der Lage in seinem Land zeugte. In den Jahren des großen Flüchtlingsansturms, also bevor die EU die Idee hatte, Flüchtlinge vorzugsweise im Mittelmeer ertrinken oder über lybische Verbrecherbanden auf den Sklavenmärkten Afrikas verhökern zu lassen, also in den Jahren 2015, 2016 und 2017, nahm Frankreich gerade einmal 0,12 % der eigenen Bevölkerung an Asylbewerbern auf. Dieser Wert liegt nur knapp über dem Satz der Visegrad-Staaten (0,00 %), dafür aber deutlich unter dem europäischen Durchschnitt (0,28 %) und weit hinter Deutschland (1,01 %, alle Zahlen von Eurostat). In einem Land, das weniger als einen Flüchtling pro Gemeinde aufgenommen hat, dürfte es schwierig werden, eine Region zu finden, die unter dem Ansturm der Asylbewerber ertrinkt. Schade, dass Herr Collomb diese Region nicht näher bezeichnet hat, sondern sich darauf beschränkte, mit den gleichen rechtsextremen Leerfloskeln zu hantieren wie die Rechtsextremen selbst. Schade, dass Herr Collomb es für nötig hielt, die Rechtsextremen dadurch noch ein wenig glaubwürdiger zu machen.

Irgendwie blöd für die Franzosen, die ihren neuen Halbgott im Elysee-Palast vor allem deswegen gewählt hatten, um die rechtsextreme Marine Le Pen zu verhindern. Und auf einmal merken sie, dass der Unterschied kaum noch nennenswert ist.

Und Gérard Collomb, der Mann mit der Dauerleidensmine, dem man eigentlich nur noch einen gesegneten Ruhestand wünschen möchte, was ist mit ihm? Fast wäre man geneigt, ihn für das „Fähnchen im Wind 2018“ zu nominieren, denn der Weg vom Sozialisten über das vermeintliche Zentrum hinein in die Arme der Rechtsextremen, das muss man ihm erst einmal nachmachen. Wes Geistes Kind er ist, zeigte er auch noch einmal am Wochenende, als rechtsextreme Identitäre eine Blockade eines Flüchtlingswegs mitten in den Alpen in einer spektakulären Aktion besetzten. Innenminister Collomb, der Sondereinheiten der Polizei gegen Rentner, Studenten und Gewerkschafter aufmarschieren und losknüppeln lässt, zeigte sich gegenüber den Rechtsextremen deutlich großzügiger. Statt auch hier Uniformierte in Kampfausrüstung aufmarschieren zu lassen, erklärte er milde, man werde die Situation „beobachten“.

Mit seinen 71 Jahren wäre es vielleicht an der Zeit, dass Gérard Collomb die Politik an den Nagel hängt. Wenn die Alterssenilität einsetzt, wird es eben immer schwerer, die Rolle des politischen Hoffnungsträgers glaubhaft auszufüllen. Hopp, hopp, en marche, Richtung Ruhestand!

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