Das Flüchtlingsdrama geht weiter – so lange geschossen wird

Hunderttausende Menschen warten an den Küsten Nordafrikas und im Nahen Osten auf eine Gelegenheit, in den Westen zu fliehen. Doch überall werden die Türen geschlossen.

In Deutschland sollte man wissen, dass man flüchtet, wenn die Bomben fallen... Foto: Gemeinde Pfinztal / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Wenn man sich an das Jahr 1989 zurück erinnert, dann sieht man noch die Bilder aus Ungarn vor sich, als dort Grenzer den Stacheldrahtzaun durchschnitten, um Tausenden DDR-Bürgern die Flucht in den Westen zu ermöglichen. Weniger als 30 Jahre später scheinen sowohl diejenigen, die damals geflüchtet waren, als auch diejenigen, die damals diese Flucht ermöglicht haben, alles aus dieser Zeit vergessen zu haben. In der ehemaligen DDR gibt es heute wieder Pogrombilder wie aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts und in Ungarn zerschneidet heute niemand mehr Grenzzäune, im Gegenteil. Dabei warten Hundertausende Menschen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten darauf, sich in Sicherheit bringen zu können.

Die humanitäre Situation für Hunderttausende Flüchtlinge wird dramatisch. Während sich die europäischen Entscheider dazu entschlossen haben, lieber erst einmal nichts zu entscheiden und sich auf den März zu vertagen, läuft den zivilen Opfern der Konflikte in Syrien, dem Irak, in Afghanistan und entlang der türkischen Grenze die Zeit davon. Wobei angesichts der aktuellen europäischen Politik eines klar ist – diese Hundertausende Menschen werden nicht auf legalem Weg nach Europa einreisen können, sondern haben keine andere Wahl, als ihr Leben und ihre Ersparnisse in die Hände krimineller Menschenschmuggler zu legen, deren Geschäfte gerade dank der EU Hochkonjunktur haben.

Die ganze Region des Nahen und Mittleren Ostens ist in Aufruhr. In Syrien bekriegen sich gerade alle, die vor Ort sind (trotz der vollmundigen und mit zahlreichen Bedingungen verknüpften angekündigten Waffenruhe), in Afghanistan erleben die Taliban ihr Revival, die Türkei schießt auf alles, was auch nur entfernt kurdisch aussieht, der IS kämpft, trotz gegenteiliger „Erfolgsmeldungen“ der Amerikaner und der Russen weiter um sein „Kalifat“, der syrische Diktator Assad bombardiert weiterhin seine eigene Bevölkerung, in den Anrainerländern wie Jordanien oder dem Libanon (oder auch der Türkei) sind mittlerweile Millionen Flüchtlinge gestrandet und die Welt erlebt gerade die größte humanitäre Katastrophe seit dem II. Weltkrieg. In Libyen wartet eine Menschenmenge, die der Einwohnerzahl der Stadt Freiburg entspricht, auf eine Mitfahrgelegenheit über das von Frühjahrsstürmen aufgepeitschte Mittelmeer, an der türkisch-syrischen Grenze ist kein Durchkommen mehr, die Balkanroute wurde von üblen Antidemokraten und Europaverweigerern geschlossen und Europa ist Lichtjahre von einem vernünftigen Ansatz zur Regelung der Krise entfernt.

Doch wie soll es weitergehen? Ist das, was die Neonationalisten Westeuropas vorschlagen, nämlich die Türen zu verrammeln und die Augen zu schließen, tatsächlich eine Lösung? Natürlich nicht. Denn dort, wo diese Hundertausenden Menschen herkommen, sind noch mehr. Von denen sich nach jedem Bombenangriff, egal von wem, wieder welche auf den gefährlichen Weg in Richtung Sicherheit machen. Was ja auch verständlich ist.

Es bleibt keine Zeit mehr für langatmige Gipfeltreffen und lauwarme Kompromisse wie rund um den „Brexit“. Es ist einfach keine Zeit mehr für parteitaktische Geplänkel und der Welt ist es egal, ob gerade in Deutschland Landtagswahlen anstehen oder nicht. Die Krise ist derart drängend, dass man jetzt Lösungen braucht und nicht irgendwann.

Europa, aber auch die einzelnen Länder müssen sich jetzt entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. Die traditionellen Parteien müssen sofort damit aufhören, dieses Thema im Wahlkampf zu instrumentalisieren, um doch noch ein paar Stimmen am rechtsextremen Rand der Gesellschaft abzustauben. Die Kandidaten bei den Landtagswahlen müssen damit aufhören, die nach wie vor mutige Angela Merkel zu demontieren, indem sie sich, wie Julia Klöckner und Guido Wolf, demonstrativ von der Kanzlerin distanzieren. Abgesehen davon, dass sie damit am rechten Rand der Gesellschaft auch keine Stimmen mehr gewinnen (denn wer sich dorthin verirrt hat, der wählt auch AfD oder NPD und nicht etwa eine weichgespülte CDU oder SPD), ist es schlicht widerwärtig, wenn regionale Politiker meinen, die Stimmung weiter anheizen zu müssen. Denn diese Stimmung führt zu pogromartigen Szenen wie in Clausnitz oder Bautzen – wo die Situation anders wäre, würde die Politik einen anderen Diskurs anwenden.

Die Spaltung Europas ist längst vollzogen, Schengen existiert nicht mehr und jetzt sollte man den Mut haben, auf den Reset-Knopf zu drücken und Europa neu aufzustellen. Mit denjenigen, die sich in Werten wie „Humanismus“, „Solidarität“ und „Nächstenliebe“ wiederfinden. Und wer diese Werte nicht teilt, wer meint, mit nationalem Egoismus den weltweiten Krisen begegnen zu können, der soll gefälligst so konsequent sein und sich auf der Gemeinschaft der europäischen Staaten verabschieden. Wir brauchen heute weder osteuropäische Nationalisten, noch britische Bedenkenträger und auch keine Rassisten aus anderen Ländern – Europa muss sich gesundschrumpfen und wieder das werden, was es einstmals war, aber nicht mehr ist: der Hort der Menschenrechte.

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