Das Insektensterben bedroht uns alle

Der dramatische Rückgang der Insekten hat enorme Auswirkungen auf alle Ökosystems, von denen wir abhängen. Der Naturschutzbund NABU warnt – alle Signale stehen auf Dunkelrot.

Wenn die Bienen sterben, stirbt mit ihnen auch das biologische Gleichgewicht. Foto: Omu Rice / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Ja, das war schön, als das Jahr 2010 zum „Internationalen Jahr der Artenvielfalt“ ausgerufen wurde. Alle kümmerten sich um die Frage, wie man die Artenvielfalt bewahren kann und dabei ganz besonders die Insekten, diese kleinen nützlichen Helfer, die unsere ökologischen Systeme im Gleichgewicht halten und die mehr als die Hälfte aller bekannten Tierarten ausmachen. Doch kaum war dieses Jahr vorbei, ging es so weiter wie zuvor. Seit Anfang der 90er Jahre ist der Bestand an Insekten laut des Naturschutzbunds NABU in vielen Gegenden um bis zu 75 % zurückgegangen, mit Auswirkungen, die uns heute noch gar nicht so richtig klar sind. Und selten hat man deutlicher gemerkt, dass der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen und dem Schutz unseres Planeten unüberbrückbar ist. Doch solange diese wirtschaftlichen Interessen das Handeln der Politik steuern, wird sich an dieser katastrophalen Entwicklung nichts ändern – wir stehen also vor der Wahl, entweder die Interessen der Großaktionäre oder diejenigen unseres Planeten zu schützen. Und jetzt raten Sie mal, wer dafür die stärkeren Lobbys hat…

Es wird sicherlich wieder Skeptiker geben, die, nachdem sie sich an Greta Thunberg abgearbeitet haben, nun auch behaupten werden, dass dieses Insektensterben ein natürlicher Prozess der Evolution und keineswegs menschengemacht ist, doch solchen Holzköpfen wird man ohnehin die Realitäten nicht näherbringen können. Das Insektensterben ist keine Frage der Ideologie, sondern eine schlichte und bedrohliche wissenschaftliche Tatsache, wobei auch die Ursachen bekannt sind.

Die vorliegenden Daten sprechen eine klare Sprache - Wir haben es mit einem massiven Rückgang der Insekten zu tun. Sei es der Verlust der Artenzahlen, der Häufigkeiten oder der Biomasse – hier stehen alle Zeiger auf rot. Die Dramatik ist nicht nur regionaler Natur, sondern ein flächendeckendes Problem. Der Umstand, dass Sie heute, wenn Sie mit dem Auto über die Autobahn fahren, nicht mehr alle zwei oder drei Stunden anhalten und die Windschutzscheibe von zerquetschten Insekten säubern müssen, ist kein gutes, sondern ein katastrophales Zeichen.

Für 40 % der Insektenarten sieht es bedrohlich aus – entweder sind sie bereits ausgestorben oder sie sind vom Aussterben bedroht. Und das bedeutet, dass sie im Ökosystem und auch in der Nahrungskette einfach fehlen. So verzeichneten die Wissenschaftler im Jahr 2018 einen Rückgang von 12,7 Millionen Vogel-Brutpaaren, denen schlicht und ergreifend die Nahrung ausgegangen ist. Dazu kommt das Fehlen der Insekten in der Bestäubung von Pflanzen und in Europa ist die Situation eine andere als in China, wo man eben Hunderttausende billige Arbeitskräfte in der manuellen Bestäubung von Obstbäumen einsetzt.

Ein paar Zahlen, um zu verdeutlichen, wie ernst die Lage tatsächlich ist – Bei den Wildbienen sind bereits jetzt über die Hälfte der Arten in ihrem Bestand gefährdet. Daneben gelten als ausgestorben oder bestandsgefährdet 7 Prozent der Gnitzen, 17 Prozent der Schmetterlinge, 29 Prozent der Schwebfliegen, 32 Prozent der Raubfliegen, 35 Prozent der Heuschrecken, 37 Prozent der Laufkäfer und 87 Prozent der Wasserkäfer.

Und woran liegt dieser dramatische Rückgang der Insekten? – Die industrielle Landwirtschaft ist einer der Auslöser dieses Rückgangs, denn die massenhafte Verwendung von Pestiziden rottet viele Insektenarten einfach aus. Dabei gehört Deutschland zu den vier EU-Mitgliedstaaten, die am meisten Pestizide verbrauchen. Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre wurden jährlich etwa 15.000 Tonnen Herbizide und knapp 1.000 Tonnen Insektizide eingesetzt. Wie schön, dass man erst einmal die Verwendung des Glyphosat weiter erlaubt hat. Dieses Produkt vernichtet sämtliche Ackerbeikräuter und minimiert damit entscheidende Nahrungs-, Nist- und Überwinterungsquellen für Insekten. Und natürlich sorgen die Insektizide dafür, dass die Insekten einfach sterben wie die Fliegen

Auch die in Deutschland vielerorts praktizierte Monokultur spielt eine Rolle. Mais (für Futter und Biomasse-Kraftwerke), Raps und Getreide haben die früher in der Landwirtschaft übliche Fruchtfolge verdrängt, was wiederum dazu geführt hat, dass die Pflanzenvielfalt und damit verbunden, das Nahrungsangebot für Insekten drastisch reduziert wurde. Und für Insekten gilt das gleiche wie für alle Lebewesen – ohne Nahrung kein Überleben.

Auch die Versiegelung von Naturflächen für den Bau von Strassen, Gewerbegebieten oder Wohnsiedlungen trägt zur Vernichtung natürlicher Lebensräume bei. So werden täglich (!) alleine in Deutschland 70 Hektar der Natur entzogen und es ist kein Ende dieser Entwicklung in Sicht. Und wieder einmal heißt es – wirtschaftliche Interessen gegen Umweltschutz. And the winner is…

Last, but not least, spielt auch der Klimawandel eine bedeutende Rolle. Durch die Veränderung der Temperaturen verändern sich die Lebensräume von Insekten – so konnten dank der Klimaerwärmung hier vorher unbekannte Arten wie die Tiger-Stechmücke eine neue Heimat finden, während heimische Arten gezwungen sind, neue Lebensräume zu suchen.

Bleibt die Frage, was man tun kann, um diese Entwicklung, die zur Zerrüttung des ohnehin schon ins Schwanken geratenen biologischen Gleichgewichts führt, vielleicht doch noch zu stoppen. Hier wäre der erste Hebel die Politik, die entsprechende Naturschutzprogramme auflegen könnte, die Subventionen in der Landwirtschaft von Massenhaltungs-Betrieben auf die Biolandwirtschaft umlenken sollte, die endlich Gifte wie das Glyphosat verbieten müsste – doch all das scheitert daran, dass die hierfür zuständige EU-Politik fest im Griff der Lobbys ist. Und da kommen wir ins Spiel – wenn wir weiterhin bei allen Wahlen für diejenigen stimmen, die sich dem Diktat des Großkapitals unterwerfen und trotz aller wohlklingenden Reden dann doch die Entscheidungen treffen, mit denen der Insektengenozid weitergeht, dann tragen wir am Ende auch eine Mitverantwortung. Und einmal mehr wird deutlich, dass unsere aktuellen Politik- und Gesellschaftssysteme überholt und nicht mehr in der Lage sind, auf die Problemstellungen der heutigen Zeit zu reagieren. Es ist nicht fünf VOR zwölf, sondern 10 NACH zwölf – doch denjenigen, die daran etwas ändern können, scheint das herzlich egal zu sein.

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