Das Potential von Schwarz und Rot

Eine Ausstellung über den guten alten Antifaschismus und die Wahrnehmung der heutigen Welt aus seiner Sicht: Die Straßburger Kunst- und Aktionsgalerie „Syndicat potentiel“ bringt auch gealterte Sofa-Revolutionäre ins Grübeln - noch bis zum 19. November.

Eine schweres Geschütz aus der Waffenschmiede der großen Worte an einer Göttinger Hauswand. Doch Vorsicht - Auf den Füllstand der Patronenhülsen kommt es an, ob sie ihre Wirkung zeitigen. Foto: © Michael Magercord

(Michael Magercord) – Waffen allein richten nichts aus. Ihr Besitz ist noch kein Sieg. Sie wollen angewendet werden. Sollen sie auch in der Ferne ihre Wirkung entfalten, bedürfen sie dazu der Munition. Ist sie verschossen, bevor das Ziel getroffen wird, muss nachgeladen werden. Nachschub sollte dann bereits unterwegs sein, auf dass sich der Feind nicht plötzlich wieder erhebt. Doch was, wenn die Produktion der Munition der erforderlichen Einsatzdichte der Waffe nicht mehr nachkommt? Dann nutzt auch die schwerste Waffe nichts mehr. Und sollte der Feind sich ihrer gar bemächtigt haben: wird die eigene Deckung noch ausreichend Schutz bieten?

Die Metaphern um die Waffen ließen sich noch lange fortsetzen, bekommen wir doch in unseren Tagen Waffen und ihre Wirkung jeden Tag vor Augen geführt. Doch lägen diese Wortspielerein, wenn – wie im obigen Bild – Solidarität diese Waffe sein soll, tatsächlich so falsch wie sie klingen? Auch die Frage, ob Solidarität in den Händen derer, die sie mit ihrem Graffiti zur Waffe erklären, eine besonders schwere oder doch eher leichtere Waffe wäre, lässt sich so mir nichts, dir nichts kaum beantworten. Zumindest aber kann man erahnen, wer sie als Waffe einsetzen will: An den Regenfallrohren prangt der Aufkleber der „Antifa“ mit den beiden nach links flatternden Fahnen. Und wäre der Sticker bunt, die Flaggen wären Schwarz und Rot, in den Farben der Antifaschisten.

„Black and Red“ heißt auch die Ausstellung über den Antifaschismus in der Straßburger Galerie „Sydicat Potentiel“ in Neudorf. Die Präsentation von Kunst, Videos, Fotos und etlichen Texten von engagierten Künstlern, von denen nicht wenige aus dem Osten Europas kommen, wurde zusammen mit dem Budapester alternativen Kunstquartier AQB auf die Beine gestellt. Sie haben, so die Programmankündigung, „über den Spanischen Bürgerkrieg und die Revolution reflektiert“, „über die Ideologie und verwirklichten Utopien“. Und uns lädt sie dazu ein, sich vor Augen zu führen, wo die Wurzeln des antifaschistischen Bewegung, die Solidarität zur Waffe erklärt, lagen, und sich Gedanken zu machen, ob diese kämpferische Haltung heute noch trägt.

Auf in den Krampf – Es geht drunter und drüber in unserer Welt, und es wird immer schwerer, ihren Zustand widerstandslos zu ertragen. Der Ausblick in die Zukunft mutet nicht nur den Ausstellungsmachern düster an: die „ideologischen, sozialen und künstlerischen Werte stehen heute auf der Kippe“. Doch was tun, wenn man über keine wirkliche Waffe verfügt und sich eher zu den Machtlosen gesellt? Kunst! Kunst über die Revolution und den Widerstand. Einige der Exponate lassen den Kampf der Antifaschisten in Spanien vergegenwärtigen, aber auch sein Ausgang: die Niederlage, der Zweite Weltkrieg, der Sieg des Kapitalismus. Doch nun darf man Künstlern dabei zuschauen, wie sie in einem Video den kunterbunten Reklameschriftzug „SYSTEM“ mit Baseballschlägern zerschlagen. Und bei der Eröffnung der Ausstellung wurde in einem so gekonnt wie flammend vorgetragenen Aufruf zum Kampf gegen den Rassismus und Phobien aller Art die Waffe geschärft: Solidarität.

Ja, auch Worte können Waffen sein, allerdings laufen sie Gefahr durch stetigen Gebrauch ihre Wirkung einzubüßen und ihre Lobpreisung oft nur noch zur Verfestigung des eigenen Gruppengefühls zu taugen. Zumal in Frankreich, wo man sich weder davor scheut zu fordern, sich mit allem und jedem sofort solidarisch zu geben, noch davor vorzugeben, es immerfort zu sein. Doch geht das? Handelt man sich mit der Forderung nach Solidarität nicht sogleich die Überforderung mit ein? Im postkommunistischen Osten Europas, wo einst die Solidaritätsbekundungen Staatszwang waren, ruft ihre Erwähnung bei vielen Menschen jedenfalls immer noch die Erinnerung an die Stasi und ihrer gleichen hervor.

Werte Worte – Wenn Worte und die damit verbundenen Ideen zu Waffen werden sollen, begeben sie sich unweigerlich auf vermintes Gelände, weshalb man sich Sorgen machen muss, um einen weiteren Begriff, der ebenfalls nur allzu gern ins Feld geführt wird: nämlich „Werte“.

Werte, zumal die bürgerlichen, standen einst in fortschrittlichen Kreisen für die Ketten, die es zu sprengen galt. Heute werden „unsere Werte“ gar auf Schlachtfeldern verteidigt, wenn nicht schon von uns, dann wenigtens stellvertretend – und für manche Beobachter jetzt sogar von den iranischen Frauen, die genug haben von der Bevormundung durch alte scheinheilige Säcke. Dabei ist es vielleicht genau anders herum: Sie, die jungen Frauen und Männer, sind es, die sich gegen Werte wehren. Und es sind die prügelnden und mordenden Sittenwächter, die Werte verteidigen.

Vorsicht ist also bei der Wahl der Kampfesworte geboten: Wer „Werte“ zum obersten Ziel erklärt, fängt sich die Scheinheiligkeit umgehend mit ein – was sich ja bestens bei der Umsetzung der „wertebasierten Außenpolitik“ der deutschen Grünen studieren lässt: Sanktionen gegen Russland und gleichzeitig Waffenlieferungen an Saudi-Arabien, das einen mörderischen Krieg im Jemen führt. Und wie der Kampf im Iran letztlich ausgeht, selbst wenn er gewonnen würde, ist keineswegs ausgemacht: Nach dem Arabischen Frühling zeigte sich bei den ersten freien Wahlen, wie konservativ diese Gesellschaften tatsächlich sind.

Es ist also nie leicht, die richtigen Worte zu finden. Die Texte, mit denen die beteiligten Künstler der Ausstellung Zeugnis ihrer persönlichen Bewältigungsstrategien im Umgang mit der rauen Welt ablegen, etwa über ihr Engagement in einer Bürgerinitiative, der Teilnahme einer Demonstration in Hongkong oder darüber, wie sie Flüchtlingsrouten im Balkan noch einmal abgelaufen sind, sind da schon differenzierter und aufrichtiger. Und ein wenig nach Verzweiflung klingt es gar, wenn die leidgeprüften linken Aktivisten aus Ungarn ihr Manifest verlesen. Hinter ihren markigen Worten ist die Verwunderung darüber zu verspüren, dass Viktor Orban bei der letzten Wahl im April dann doch wieder über fünfzig Prozent der Stimmen geholt hat. Aber nicht nur dort fragt man sich, warum linke Positionen derzeit ausgerechnet bei jenen so wenig Resonanz erzielen, die einer linke Politik mehr bedürften, als kaum je zuvor?

Muskelzerrung – Dass die Grünen gerade einen ziemlich gewagten Spagat zwischen ihren widersprüchlichen Zielvorgaben vorturnen, wurde obig bereits angedeutet. Die deutsche Partei Die Linke legt den Russlandsaktionsspagat gleich als Soloübung hin und verheddert sich dazu noch in der Frage, wieviel kämpferischer Wokismus linker Politik guttut, so sehr in innere Grabenkämpfe, dass selbst ihr neuer Co-Vorsitzende spontan nicht sagen kann, ob man ihn zur Wahl in dieses Amt beglückwünschen oder bedauern soll. Das politisch linke Lager ringt aber nicht nur mit den korrekten Worten, sondern um das richtige Thema, das noch ein Alleinstellungsmerkmal wäre. Vielleicht das Grundeinkommen? Oder wenigstens die darauf fußende Idee einer gleichen Grundversorgung für alle? Doch würde sie nicht sogar schon an den Gewerkschaften scheitern, die an der Gleichbehandlung von Lohnarbeitern und vermeintlich faulen Nichtsnutzen – sprich: Künstlern – eine “Ungerechtigkeit” ausmachen könnten?

Revolution und antifaschistischer Kampf wie damals in den 1930ern als Vorbild? Doch mit welchen Waffen soll man heute kämpfen? Und mit welchen Verbündeten? Vielleicht sollte man die Kämpfer daran erinnern, dass niemand ohne eigenes Interesse handelt. Fordern etwa jene, die Solidarität einfordern, sie ohne eigene Absichten? Üben jene, die sie ausüben, sie nicht immer zu ihrem Gewinn – und sei es einer an Anerkennung und wohligem Zugehörigkeitsgefühl, reinem Gewissen und Gewissheiten oder an – im wahrsten Sinne des Wortes – Leidenschaft?

Ich bin okay… – Dieses Gewinnstreben ist nicht nur legitim, sondern menschlich normal – und zwar so normal, dass es unmöglich ist, dass alle mit ein und demselben solidarisch sein können. Und das liegt im Wesen der Solidarität, unterliegt sie doch einem Paradox: Sobald sich die bei Weitem meisten Menschen gegenüber einem zunächst umstrittenen Anliegen oder einer für viele gewöhnungsbedürftigen Seinsweise zumindest tolerant geben – und wer wollte bestreiten, dass viele Minderheiten heute über weit größere Freiräume verfügen, als vor dreißig oder auch nur zwanzig Jahren? -, war die Waffe der Solidarität erfolgreich und bedarf keiner weiteren Munition. Wer sie dann aber weiter für ein Anliegen, das sich im Grunde schon durchgesetzt hat, zum Einsatz bringt, fördert eher den erneuten Verdruss mit eben diesem Anliegen, als dessen endgültige Erledigung zu erreichen – und wer wollte bestreiten, dass so manche Geländegewinne der letzten Jahrzehnte Gefahr laufen, wieder rückgängig gemacht zu werden.

Doch liegt vielleicht genau dort das unbewusste Ziel der Bewaffneten, denn mit der Erledigung des Anliegens ginge ja auch der Verlust ihrer eigenen Solidaritätsgewinne einher. Laue Zustimmmung genügt ihnen nicht: alles oder nichts, einen grundlegenden Wandel zum postulierten Ideal gilt es durchzusetzen, zumal, wenn sich es sich noch nicht in Gänze vollzogen hat. Allerdings nutzt sich die Waffe der Solidarität zunehmend ab und man braucht mehr und mehr Munition. Doch wie das mit ausgedienten Waffen so ist, geht der Schuss auch schon mal nach hinten los, wenn sie besonders viel Ladung erhalten.

… und du auch – Aus dem Paradox, dass sich die Waffe der Solidarität gegen sich selbst wendet, sobald sie erfolgreich war, ließe sich nun ein Auftrag an die linken Kräfte ableiten: Es muss ihnen endlich gelingen, die Menschen, deren Solidarität sie ja schließlich einfordern, nicht ständig für ihre Lauheit und Beharrung die demokratische Reife abzusprechen, sondern an sie die Botschaft zu senden, die ihnen derzeit leider nur die Rechte zu vermitteln versteht: Wie du bist, bist du okay. Oder anders ausgedrückt: Es gilt immer auch Solidarität oder wenigstens Toleranz gegenüber den Sorgen und Befürchtungen derer zu üben, die erst einmal keinen Gewinn aus einem Wandel zu erwarten haben – denn soweit sind deren wahren Nöte vielleicht gar nicht von den eigenen entfernt.

Bislang werden die Schlachten allerdings erbitterter geschlagen, als je zuvor in halbwegs demokratischen Zeiten. Die Fronten gehen hin und her, und ein Ausflug in die weite Welt macht wenig Hoffnung, dass sich daran schon bald etwas ändern wird. Brasilien ist ja gerade noch einmal davon gekommen, aber in Italien, Israel und kommenden Dienstag wohl auch in den USA rücken die Rückschläge wieder näher. Wie wird es weitergehen? Rot sieht schwarz? Schwarz sieht rot? Die Geschichte wird es entscheiden, doch sollte man sich immer bewusst sein, dass ihre Entscheidungen niemals endgültige sind.

Black and Red
Gemeinschaftsausstellung junger Künstler aus halb Europa und Hongkong

Syndicat Potentiel, 109 Ave. de Colmar, Straßburg, Stadtteil Neudorf
bis 19. November MI – SA, 15 – 19 Uhr

Eintritt frei

Infos unter: www.syndicatpotentiel.org

Und einen klitzekleinen Einblick in die zarte grüne Seele Europas erlaubt dieses Video ab Minute 10’30″.

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