Das sichere Hinterland

Nach dem erneuten Terrorangriff in Paris, bei dem ein gewisser Khamzat A. zwei Menschen erstach und sich in einer Botschaft auf den sogenannten Islamischen Staat berief, schaut Frankreich nach Straßburg.

Dem Terrorismus muss jetzt das sichere Hinterland entzogen werden. Foto: Medium69 (et al.) / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Wieder einmal haben die französischen Ermittler eine Verbindung zwischen einem Attentat in Paris und Straßburg festgestellt. Allem Anschein nach lebte der Attentäter eine Weile in Straßburg oder in Schiltigheim – und gestern verhaftete die Polizei einen Freund des Attentäters im Straßburger Viertel Esplanade. Und das passiert nicht zum ersten Mal. Die Straßburger Community scheint in Teilen den islamistischen Terror zu begrüßen, ja, sogar zu unterstützen. Und hier sind jetzt in allererster Linie die muslimischen Verbände gefordert.

Man erinnert sich spontan an die Stunden nach dem Attentat auf das Bataclan im November 2016 – bereits damals führte eine Spur nach Straßburg und bei der Razzia, die von der Polizei damals durchgeführt wurde, fand man zwar keine Terroristen, dafür aber Waffenlager und andere Dinge, die definitiv nicht zur Durchführung legaler Aktivitäten geplant waren. Und genau hier liegt der einzig sinnvolle Ansatz, wie man den terroristischen Sumpf dort bekämpfen kann, wo er seine Unterstützung findet und sich entfalten kann.

In den „heißen Vierteln“ sind die radikalen Kräfte sehr wohl bekannt und genießen dort sogar den Status von kleinen Helden. Im Schutz der Omerta können sie sich organisieren, vernetzen, andere Personen radikalisieren, sich auf neue Anschläge vorbereiten. Währenddessen schauen die Viertel wohlwollend zur Seite, niemand käme auf die Idee, diese radikalisierten Personen an die Behörden zu verraten. Das würde dem „Ehrenkodex“ dieser Viertel widersprechen.

Was die Kinder in der Schule erzählen. – Nur, es ist bekannt, was in diesen Vierteln gesprochen wird. Der zuverlässigste Gradmesser für die Radikalisierung der Vorstädte sind die Erstklässler in den Schulen. Denn das, was man von den Kleinsten nach Anschlägen hört, ist das, was die Kinder selbst daheim beim Abendessen von den Gesprächen der Erwachsenen aufschnappen. Und wenn sich ein Achtjähriger weigert, an der Schweigeminute für die Opfer eines Anschlags teilzunehmen und zum Besten gibt, dass „die Ungläubigen es auch nicht anders verdient hätten“, dann weiß man, was im Viertel gesprochen wird.

Dabei geht es gar nicht um die Frage, ob 99 % der in Europa lebenden Muslime friedfertige Zeitgenossen sind, die genauso unter dem Terror ihrer Glaubensbrüder leiden wie alle anderen. Es geht um die Frage, warum diese friedfertigen Menschen es nicht schaffen, sich offen gegen die Terroristen zu stellen, diesen das sichere Hinterland trocken zu legen, die radikalisierten Kräfte des Viertels an die Behörden melden und selbst dazu beitragen, dass die Terroristen ihren Heldenstatus und damit die Unterstützung dieser Viertel verlieren.

Es reicht einfach nicht mehr, wenn sich nach einem Anschlag irgendwann auch ein muslemischer Verband zu Wort meldet und das Attentat schmallippig verurteilt. Die gleichen Verbände hätten auch die Möglichkeit, radikale Imame aus ihren Moscheen zu verjagen, ihre eigenen Viertel zu durchkämmen und diejenigen zu isolieren, die Anschläge planen, unterstützen oder durchführen.

Es ist längst klar, dass keine der staatlichen Maßnahmen ausreichen kann, Terroranschläge zu verhindern. Das Anlegen von entsprechenden Datensätzen („Fiche S“) verhindert ebenso wenig Anschläge wie die Militärpatrouillen, Grenzkontrollen oder der Ausnahmezustand. All diese Massnahmen helfen sicherlich dabei, entsprechende Täter schnell dingfest zu machen, können aber keine Anschläge verhindern. Wer Terrorismus bekämpfen will, muss das dort tun, wo Terrorismus entsteht und sich entwickeln kann – und das ist in den Vierteln, die entgegen offizieller Kommunikationen längst zu rechtsfreien Räumen geworden sind, in denen nachts die Kommissariate schließen, in denen Krankenwagen, Straßenbahnen und Polizisten angegriffen werden und in denen die radikalen Kräfte die Helden der lokalen Banden sind.

Die Terroristen stammen fast alle aus Europa. – Hier entsteht der europäische Terrorismus. Wenn man sich die Attentäter der letzten Jahre anschaut, dann stellt man fest, dass diese nicht etwa für ihre Anschläge aus dem Ausland einreisen, sondern dass die Attentäter in den Ländern geboren sind, in denen sie ihre Anschläge verüben. Auch, wenn der Attentäter von Paris am Samstag ein gebürtiger Tschetschene ist, so ist er doch auch französischer Staatsbürger. Es handelt sich also um nicht integrierte Einwanderer, zumeist der dritten Generation, die hier bei uns so radikalisiert wurden, dass sie sich zu Terroristen entwickelten. Diese Entwicklung bleibt den Menschen in den Vierteln allerdings nicht verborgen – man schweigt einfach. Doch dieses Schweigen macht aus Mitwissern Mittäter.

Bevor die Stimmung in den europäischen Ländern vollständig umkippt und rechtsextreme, ausländerfeindliche und rassistische Kräfte endgültig ans Ruder kommen, ist es an der Zeit, die muslemischen Verbände, die Gemeinden und die Verantwortlichen in den Vierteln in die Pflicht zu nehmen. Denn diese sind die einzigen, die zuverlässig wissen, was sich wo zusammenbraut.

Dabei haben die muslemischen Verbände, die Gemeinden und die Verantwortlichen in den Vierteln selbst ein gesteigertes Interesse daran, das „sichere Hinterland“ des Terrorismus trocken zu legen. Denn erst, wenn in diesen Vierteln glaubhaft vermittelt wird, dass man sich an der allgemeinen gesellschaftlichen Anstrengung zur Bekämpfung des Terrorismus beteiligt, statt diesen klammheimlich zu begrüßen, können sich die Dinge verändern.

Die übliche Verteidigung, dass damit alle Muslime unter Generalverdacht gerieten, ist lächerlich – die Kooperation mit den Behörden würde genau diesen Generalverdacht entkräften und irgendwann muss man die Dinge auch beim Namen nennen. Die Terroranschläge werden in Europa nicht von großgewachsenen blonden Norwegern verübt, sondern fast ausnahmslos von in Europa geborenen Nachfahren maghrebinischer Einwanderer. Folglich ist es auch nicht rassistisch, wenn man genau in dieser Bevölkerung den Hebel ansetzt und der riesigen Mehrheit der bei und mit uns lebenden Muslime die Möglichkeit gibt, gemeinsam gegen die Brutstätten des europäischen Terrorismus vorzugehen. Wer dies ablehnt, darf sich nicht wundern, wenn er in den Verdacht gerät, selbst Unterstützer des Terrors zu sein. So lange der europäische Terrorismus in unseren Städten ein sicheres Hinterland vorfindet, wird sich nichts ändern.

1 Kommentar zu Das sichere Hinterland

  1. Hervorragende Analyse, Herr Littmann!

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