Das war ein wenig wie der Goldrausch in Klondyke City…

Vor 25 Jahren fand die letzte Leipziger Messe als reine Ostblockmesse statt. In einer DDR, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Auflösung befand.

So sah es zu Zeiten der DDR an der Leipziger Messe aus. Foto: Bundesarchiv Bild 183-M0905-0118 Leipzig / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0de

(KL) – Doch, es gab sie noch, die innerdeutsche Grenze. Rund drei Wochen nach dem Fall der Mauer herrschte zwischen den beiden Deutschlands eine Art Ausnahmezustand. An der Grenze bei Eisenach saß ein gelangweilter DDR-Grenzer mit offener Uniformjacke, unrasiert und ein kleines Kofferradio plärrte „Billy Jean, one more time“ durch sein Kabuff. Ein Bild, das wenige Wochen vorher vollständig undenkbar gewesen wäre.

In Leipzig traf sich die Industrie Osteuropas zur letzten Leipziger Messe, die noch als echte Ostblockmesse stattfand. Drei Aussteller aus dem Westen hatten sich nach Leipzig verirrt und hofften, die im Osten Europas ausgebrochene Dynamik nutzen zu können – Honeywell Bull, Atari und eine kleine Freiburger Übersetzungsfirma, die auf technische Übersetzungen spezialisiert war, die Profile GmbH.

Am Bahnhof Leipzig standen asiatische Geldwechsler mit überdimensionalen Geldbündeln und wechselten Ost- und Westmark zu Phantasiekursen um, in der Innenstadt verteilte ein Coca-Cola-Truck rote Dosen an Menschen, die wie zuvor geduldig in der Schlange standen und sehnsüchtig auf die US-Brause warteten. An improvisierten Marktständen verkauften Westler die Waren, von denen sie glaubten, dass man sie im Osten am meisten vermisst hatte, Bananen, Ananas, Kiwi und andere Dinge und in der Tat, auch hier standen die Menschen Schlange.

Im Hotel herrschte Goldgräberstimmung. Lange, bevor Klarheit darüber herrschte, wie es politisch zwischen den beiden Deutschlands weitergehen würde, hatte der Kapitalismus bereits die Zähne gefletscht. Im 24-Stunden-Takt wechselten Immobilien, Kombinate oder Land den Besitzer. Westliche Geschäftsleute im Armani-Zwirn konferierten aufgeregt flüsternd mit ostdeutschen Geschäftspartnern im grauen Ostblock-Anzug, denn immerhin herrschte in dieser Übergangszeit die Regelung, dass westliche Unternehmen nur dann in der DDR aktiv werden durften, wenn sie mit DDR-Bürgern gemeinsam ein Unternehmen gründeten, an dem die DDR-Partner mindestens 51 % der Anteile zu halten hatten. Dies war wohl der einzige Schutz vor einem Totalausverkauf der DDR.

Die Menschen in den Straßen von Leipzig hatten sich noch lange nicht daran gewöhnt, dass sie ihre „friedliche Revolution“ gewonnen hatten. Man unterhielt sich leise und die DDR-Bürger schauten beim Sprechen immer wieder besorgt über die Schulter, dass auch niemand mithörte – die Stasi war immer noch allgegenwärtig.

Und dennoch lag eine ungeheure Dynamik in der Luft, in den Wohnvierteln öffneten improvisierte Kunstcafés und Galerien, die Kreativität bahnte sich ihren Weg an die Oberfläche wie Pilze sich durch den Asphalt von Straßendecken durcharbeiten.

Auf der Leipziger Messe waren die drei westlichen Stände die absoluten Renner, vor allem der Stand des Spielskonsolen-Herstellers Atari. Es wurden zwar kaum noch Geschäfte getätigt, da eine große Unsicherheit herrschte, wie die Entwicklung weitergehen würde, aber das war egal. Jeder spürte, dass dies ein historischer Moment war, in dem die Weichen für eine ganz andere Zukunft gestellt wurden.

Was ist in den letzten 25 Jahren aus dieser Dynamik geworden? Zunächst einmal wurde die DDR von der Treuhandgesellschaft abgewickelt. Mehr schlecht als recht, denn in diesem Prozess verdienten sich genau die Falschen eine goldene Nase. Betrüger wurden über Nacht reich, Kombinate und Unternehmen mussten Heerscharen von Menschen in die Arbeitslosigkeit entlassen. Der Kapitalismus zeigte nicht unbedingt, dass er gegenüber 40 Jahren schlecht interpretierten Sozialismus ein „überlegenes“ System war.

Die Folgen dieser Umbruchphase erkennt man heute noch, wenn man die Arbeitslosenzahlen in Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern anschaut. Auf „blühende Landschaften“ warten die Menschen dort immer noch und die Strukturen im ländlichen Raum der früheren DDR zeigen, dass es mindestens noch einmal 25 Jahre dauern wird, bis die Menschen in den neuen Bundesländern so leben werden wie in der alten BRD.

Hat es sich trotzdem gelohnt? Natürlich, keine Frage. Was 1989 in der DDR stattfand, hat eine weite Auswirkung, auf Deutschland, auf Europa, auf das Gleichgewicht in der Welt. Die Menschen in der DDR haben bewiesen, dass man einen Umsturz unmenschlicher Verhältnisse auch mit friedlichen Mitteln bewerkstelligen kann, was ein ermutigendes Zeichen für alle aktuellen Konfliktherde auf der Welt sein sollte. Und wenn es noch einmal 25 Jahre dauern sollte, bis diese Revolution endgültig ihre Früchte trägt, dann sei es eben so. Wichtig ist doch am Ende des Tages nur, dass Unrecht nicht ewig dauert und der Wunsch nach Freiheit und Menschenwürde offensichtlich stärker ist als politische Systeme oder selbst staatliche Gewalt und Unterdrückung.

Deutschland erwächst aus dieser historischen Entwicklung eine neue Verantwortung – die Verantwortung, ein Beispiel zu geben, wie Konflikte im Sinne der Menschen und eben nicht im Sinne von Machtsystemen gelöst werden können. Es wird Zeit, dass Deutschland diese Verantwortung richtig wahrnimmt und gemeinsam mit den europäischen Partnern eine positivere und sichtbare Rolle als Friedenskraft und nicht als Kriegspartei übernimmt. Aber das kommt sicher auch noch.

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