Das wurde aber auch Zeit!

Sechs verzweifelte Wochen lang konnte eine junge Mutter aus Straßburg ihre Tochter nicht sehen, die bei ihrem getrennt lebenden Vater in der Ortenau lebt. Ein Lichtblick, der auf einen Albtraum folgt.

Das war der entscheidende Moment - Vivian Philippe konnte die Grenze passieren und ihre Tochter in die Arme nehmen. Foto: (c) Florence Grandon (France Television)

(KL) – Was für eine Erleichterung! Viviane Philippe aus Straßburg ist wohl das, was man eine Löwenmutter nennen kann – nach Wochen der schroffen Ablehnung durch die Bundespolizei an der Grenze zwischen Straßburg und Kehl konnte sie gestern endlich diese fürchterliche Grenze passieren und ihre Tochter in die Arme nehmen. Dass trotz einer eindeutigen Rechtslage, die ihr bereits vor Tagen erlaubt hätte, diese Grenze ohne weitere Schikanen zu überqueren, die Unterstützung von Politik und Medien erforderlich war, damit die Beamten an der Grenze sich an die Vorschriften halten, stimmt trotz aller Glückseligkeit über diesen erneuten Kontakt nachdenklich.

Die getrennt lebenden Eltern hatten es geschafft – im Dialog konnten Vater und Mutter eine Ebene der Verständigung finden, die das Umgangsrecht der Tochter mit beiden Elternteilen ermöglicht. Dabei muss man vor beiden Eltern den Hut ziehen, dass sie ihr Handeln und Verhalten nun auf das Wohl der gemeinsamen Tochter ausrichten. Doch die Coronakrise machte allen einen Strich durch die Rechnung.

In den ersten Wochen der Grenzschließung, als Viviane Philippe ihre Tochter sehen wollte, lautete die Antwort einfach „Nein“. Ende der Durchsage. Gehen Sie nach Hause. Dann, am 11. April, verabschiedeten die Bundesländer 16 verschiedene Regelungen, die den Zutritt auf deutsches Territorium regeln. Ein Hoffnungsschimmer, denn die Regelung für Baden-Württemberg besagte bereits zu diesem Zeitpunkt ausdrücklich, dass zur Ausübung eines gemeinsamen Sorgerechts Eltern und Kinder die Grenze passieren können und von der 14tägigen Quarantäne-Regelung ausgenommen sind, unter der Voraussetzung, dass der Aufenthalt im jeweils anderen Land die Dauer von 48 Stunden nicht überschreitet.

Mit dieser Regelung in der Hand präsentierte sich Viviane Philippe erneut an der Grenze. Antwort: „Nein. Gehen Sie nach Hause.“ Warum die Beamten in dieser Situation nicht die geltenden Vorschriften anwandten, das wissen wohl nur sie selber.

Letzte Woche dann informierte Bundesinnenminister Horst Seehofer die Behörden, dass in diesen Fällen der besonderen familiären Härte sofort ein anderes Verhalten an den Tag zu legen sei und diese familiären Kontakte zu erleichtern sind, im Sinne der von den Bundesländern verabschiedeten Verordnungen. Nur, an der Grenze änderte sich nichts.

Unmittelbar danach veröffentlichte der Grenzüberschreitende Ausschuss, in dem nationale, regionale und lokale Abgeordnete gemeinsam mit Experten versuchen, etwas Ordnung in die gerade aus dem Rahmen gelaufenen deutsch-französischen Beziehungen zu bringen, einen Offenen Brief, in dem völlig zu Recht gefordert wurde, dass die Anweisungen unverzüglich umzusetzen sind, um weiteren Schaden in den deutsch-französischen Beziehungen zu verhindern.

Viviane Philippe, die Kenntnis von all diesen offiziellen Schreiben hatte, schöpfte neue Hoffnung und rief vorgestern Abend die Bundespolizei in Kehl an und fragte, ob sie am nächsten Tag, also gestern, die Grenze überqueren und ihre Tochter sehen könne. Lapidare Antwort der Beamtin am Telefon „noch nicht.“ Keine weitere Erklärung. Nur „noch nicht“.

Aber „noch nicht“ ist keine Aussage, mit der sich eine Mutter, die ihre Tochter liebt, zufrieden geben kann. Gestern nun präsentierte sie sich an der Grenze, begleitet von der exzellenten deutsch-französischen Journalistin Florence Grandon (France Télévision), die den Versuch von Viviane Philippe die Grenze zu überqueren mit der Kamera dokumentierte. Und siehe da, „noch nicht“ hatte ausgedient und Viviane Philippe konnte die Grenze überqueren und zum ersten Mal nach sechs Wochen ihre Tochter in die Arme nehmen.

Die Freude ist, das versteht man leicht, riesig. Und man kann den Verantwortlichen in der Politik von Berlin bis an den Oberrhein nur für ihr Engagement danken, diese durch nichts zu rechtfertigende Härte zu beenden. Langsam haben viele politische Verantwortliche erkannt, dass die letzten Wochen einen großen Schaden an den deutsch-französischen Beziehungen angerichtet haben, mit dessen Reparatur jetzt begonnen werden muss, will man diese Beziehungen nicht um 30 Jahre zurückwerfen (was an einigen Stellen bereits passiert ist).

Und wenn man auch den Beamten an der Grenze danken möchte, dass diese endlich geltendes Recht angewandt haben, so bleibt doch die Frage, ob dieser Grenzübertritt ebenso reibungslos verlaufen wäre, hätte ihn nicht eine engagierte Reporterin dokumentiert. Freuen wir uns heute für die „Löwenmutter“ Viviane Philippe, für den Vater und vor allem für die gemeinsame Tochter – und richtig applaudieren können wir, wenn sich ALLE Eltern und Kinder in dieser Situation endlich wieder in die Arme schließen können. Und das ist leider noch nicht der Fall.

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