Den Gelbwesten geht die Puste aus

Die französischen Gelbwesten sind dabei, sich selbst überflüssig zu machen. Ein halbes Jahr damit zu kokettieren, dass man sich weder organisieren, noch klare Forderungen formulieren will, war kein Erfolgskonzept.

Die Gelbwesten haben immer noch nicht verstanden, worum es eigentlich bei der Europawahl geht. Und jetzt geht ihnen die Puste aus. Foto: ScS EJ

(KL) – Ob es nun 18.600 Demonstranten am Samstag in ganz Frankreich waren (Zahlen des Innenministeriums) oder 32.000 (Zahlen der Gelbwesten), ist im Grunde egal. Fakt ist, dass diese Bewegung, die anfangs noch behauptete „Wir sind das Volk“, heute nicht einmal mehr ein Fußballstadion füllen würde. Nachdem die Gelbwesten ein halbes Jahr damit kokettiert hatten, dass sie sich nicht organisieren, dass sie keine Ansprechpartner für Verhandlungen bestimmen und keine einheitlichen (und damit verhandelbaren) Forderungen aufstellen wollen, haben sie sich genau mit dieser „Strategie“ ins Abseits manövriert.

„Akt 26“ zeigte, dass es mit den Gelbwesten nun zuende geht. Niemand kann mehr ernsthaft eine Handvoll Schläger unterstützen, die sich jeden Samstag in einer oder zwei französischen Städten treffen, um sich dort Prügeleien mit der Polizei zu liefern. Um nichts anderes geht es mehr bei diesen Gelbwesten, die Gewalt ist der kleinste gemeinsame Nenner der Gelbwesten, die langsam auf den Boden der Tatsachen zurückkommen.

Monatelang hörte man das Märchen, dass drei Viertel der Franzosen diese Bewegung unterstützen und unbedingt eine Fortführung der samstäglichen Gewaltorgien wünschen. Seltsam nur, dass die „Heilsbringer in Gelb“ mit ihrer Liste für die Europawahl zwischen 1,5 und 2,0 % herumdümpeln. Bei dieser angeblichen Begeisterung der Franzosen müssten die Kandidaten und Kandidatinnen der Gelbwesten eigentlich in den Umfragen führen.

Generationen von Soziologen werden sich an dieser Bewegung abarbeiten. Denn die Gelbwesten hatten eine einmalige Chance, tatsächlich zum Akteur von sozialen Veränderungen in Frankreich zu werden und haben diese Chance selber zunichte gemacht. Eitelkeiten, Gewaltphantasien, extremistische Positionen von links und von rechts, eine fehlende Schwarmintelligenz und – nach sechs Monaten geht den Gelbwesten die Puste aus, da sie weder für sich, noch für andere, eine Perspektive entwickeln können. Mit so rudimentären und unrealistischen Forderungen wie „Macron – Rücktritt!“ gewinnt man eben doch keine Wahlen. Und viel mehr ist den Gelbwesten eigentlich nicht eingefallen.

Nein, Frankreich wird nicht für ein halb gefülltes Fußballstadion seine Verfassung über den Haufen werden, nein, Macron wird nicht zurücktreten und nein, die Gelbwesten werden keine Abgeordneten ins Europaparlament schicken (was für Frankreich und Europa vermutlich auch besser ist…) – allen, die mit den politischen Verhältnissen unzufrieden sind, steht eine relativ einfache Möglichkeit offen: Es reicht, wenn man sich in einer bestehenden oder neuen Partei engagiert und seinen Landsleuten eine Alternative zu den bestehenden Verhältnissen präsentiert. Das nennt man Demokratie. Natürlich ist es einfacher, Autos anzuzünden und Schaufenster einzuwerfen als sich hinzusetzen und ein politisches Programm zu entwickeln, aber so sieht es nun einmal in einer Demokratie aus.

In der Geschichte Europas ist die Bewegung der Gelbwesten wohl einzigartig. Noch nie gab es eine solche Sozialbewegung in Europa, die in kurzer Zeit derart die politische Aktualität eines Landes dominiert hat – um dann nichts daraus zu machen. Die Gelbwesten werden das Beispiel sein, wie man ein Land nicht verändert – das Gegenbeispiel einer erfolgreichen Revolution. Ein halbes Jahr lang hatten sie die Gelegenheit, Frankreich und damit auch Europa zu verändern und diese Gelegenheit haben sich die Gelbwesten von ihren „Führern“ nehmen lassen. Die Nicolles, Chalençons, Drouart und anderen haben diese Bewegung genutzt, um ihre Egos zu pflegen – für einen echten politischen Ansatz fehlte es leider an den intellektuellen Kapazitäten. Es wird sicherlich noch ein paar „Akte“ geben, doch bereits jetzt ist klar, dass die Episode „Gelbwesten“ vorbei ist. Sie hätten das Land verändern können, doch dazu fehlten ihnen einfach ein paar schlaue Menschen, ein wenig Nachdenken und eine Perspektive. Die Gelbwesten werden in die französischen Geschichtsbücher eingehen – als eine Bewegung der verpassten Chancen, die an sich selbst gescheitert ist.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste