Der alltägliche Antisemitismus

Ein Fahrer des Lieferservice „Deliveroo“ hat sich in Straßburg geweigert, koscheres Essen auszuliefern. Begründung: „Ich liefere nicht an Juden“. Die Reaktionen sind entsprechend.

Das türkise Liefer-Equipment gehört inzwischen zum Stadtbild. Foto: shopblocks / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die jüdische Küche ist ein Gedicht, vielfältig, traditionell, modern, inspiriert, eine echte „World Kitchen“, in der sich die Einflüsse aus aller Herren Länder mischen, in denen jüdische Gemeinden leben. So auch in Straßburg mit einer großen jüdischen Gemeinde, wo es folglich auch hervorragende jüdische Restaurants gibt. Wie alle Restaurants sind auch sie in der Coronakrise auf einen Betrieb im Liefermodus angewiesen, da sie, wie die Restaurants überall in Europa, geschlossen sind. Doch das Liefersystem funktioniert nur, wenn der Lieferservice funktioniert – doch das ist nicht immer der Fall. In zwei Fällen weigerte sich vor einigen Tagen ein Lieferfahrer (man kann noch nicht sicher sagen, ob es in beiden Fällen der gleiche Fahrer war), eine Bestellung auszuliefern. Seine Begründung: „Ich liefere nicht an Juden“. Beide Restaurants haben Anzeige gestellt.

Es wird immer schwerer, den gesellschaftlichen Zusammenhalt sicherzustellen. Der Extremismus wird immer mehr zu einer Art beunruhigender „Normalität“, an die man sich nicht gewöhnen will und kann. Als sich der Fahrrad-Lieferfahrer bei den Restaurants, für die er Bestellungen ausliefern sollte, erkundigte, um was für Essen es sich handelt und hörte, dass es bei der Bestellung um Spezialitäten aus der jüdischen Küche ging, verweigerte er die Auslieferung antwortete er mit diesem unglaublichen Satz: „Ich liefere nicht an Juden“. Der Antisemitismus dringt in alle Lebensbereiche ein. Ein Einzelfall? Ja und nein.

Es handelt sich deshalb nicht um einen Einzelfall, da die Unverfrorenheit, mit der eine solche antisemitische Haltung vorgetragen wird, das Ergebnis dessen ist, dass Antisemitismus seit Jahren unterschwellig toleriert und sogar immer weiter befeuert wird, allen schönen Sonntagsreden zum Trotz. Das ist auch der Grund, warum sich das Israelitische Konsistorium als Nebenkläger der Klage der beiden Gastronomen angeschlossen hat. Dass heute ein Lieferfahrer ein solch diskriminierendes, antisemitisches Verhalten an den Tag legt, das zeigt, wie tief der Antisemitismus immer noch oder schon wieder in der Gesellschaft verankert ist.

Ein Einzelfall, ja, da es sich ganz offensichtlich um einen ausgemachten Schwachkopf handelt, der vermutlich vor seinen Kumpels angeben wollte, und für seine 60 Sekunden dauernde „Heldentat“ nun seinen Job verliert und sich vor Gericht verantworten muss. Doch auch, wenn es sich um einen Einzelfall handelt, so ist dieser der Ausdruck einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, die nicht hinnehmbar ist.

Nach Agenturberichten hat der betroffene Lieferservice „Deliveroo“ mittlerweile die beiden Gastronomen kontaktiert und Aufklärung angekündigt. „Sollten sich die Berichte bestätigen, werden wir den Vertrag mit dem Lieferfahrer definitiv kündigen“, erklärte ein Sprecher. Doch sollte „Deliveroo“ auch aktiv dafür sorgen, dass nicht nur der Schuldige sofort gekündigt wird, sondern dass auch Maßnahmen ergriffen werden, dass sich so etwas nicht wiederholen kann.

Extremismus aller Art darf nicht toleriert werden. Die beiden Zwischenfälle von Straßburg sind keine Bagatellfälle und müssen Konsequenzen haben, erinnern sie uns doch daran, dass jüdische Mitbürger jedes Jahr Opfer von Gewaltakten aller Art werden, dass Synagogen immer noch von starken Polizeikräften geschützt werden müssen und der Antisemitismus im täglichen Leben eine Realität ist, die es zu bekämpfen gilt.

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