Der Auszug der Juden aus Frankreich sollte uns nachdenklich stimmen

Die zahlreichen antisemitischen Übergriffe in Frankreich und jetzt die Attentate von Paris veranlassen immer mehr französische Juden, Zuflucht in Israel zu suchen.

Wenn sich Angehöriger religiöser Gemeinschaften bei uns nicht mehr sicher fühlen können, haben wir richtig viel falsch gemacht. Foto: Adam Reinmann / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0

(KL) – Das, was gerade in Frankreich passiert, haben wir in Deutschland auch schon einmal erlebt. Die massive Auswanderung der jüdischen Mitbürger ist der Vorbote von gesellschaftlichen Entwicklungen, die nichts Gutes verheißen. Denn wer sich im von Feinden umzingelten Israel, das sich in einer Art permanentem Kriegszustand mit der arabischen Welt befindet, sicherer als im europäischen Frankreich fühlt, der muss schon ziemlich verzweifelt sein. Und wir? Wir schließen die Augen vor diesen Phänomenen, für die wir über historische Referenzen verfügen, die wir offenbar nicht wahrhaben wollen.

Die jüdische Auswanderung nach Israel schießt gerade in die Höhe. Im Jahr 2014 wanderten nicht weniger als 7.231 Personen jüdischen Glaubens nach Israel aus, während es im Jahr davor nur 3.293 waren. Seit den Anschlägen von Paris ist die Zahl derjenigen, die an Informations-Veranstaltungen zu den Modalitäten einer Auswanderung nach Israel in Paris teilnehmen, von knapp über 100 auf über 2000 Teilnehmer angestiegen. Vor den jüdischen Schulen in Frankreich patrouillieren schwer bewaffnete Soldaten – und wir scheinen immer noch nicht zu merken, dass die Gesellschaften in Europa genau die Fehler wiederholen, die vor 80 Jahren den Boden für die größte Katastrophe bereiteten, unter der die Menschheit je gelitten hat.

Wie müssen Angehörige von in der zahlenmäßigen Minderheit lebenden Religionsgemeinschaften nur ihr Leben in Europa empfinden? Welche völlig überzogene Bedeutung messen wir der Frage bei, an welchen Gott jemand glaubt? Wie unsicher ist das Leben in Europa für diese Menschen schon wieder geworden, wenn sie lieber den ständigen Raketenbeschuss in Tel Aviv und anderswo in Kauf nehmen, als in den Arrondissements von Paris zu leben?

Angesichts der steigenden Spannungen nach den Attentaten von Paris, muss man damit rechnen, dass einerseits der Antisemitismus unverändert weiter grassieren wird und gleichzeitig eine ebenso massive antimuslimische Stimmung auftritt, wie wir es ja bereits in Deutschland beobachten müssen. Und da erreichen wir einen Punkt, an dem wir uns auch einmal an die eigene Nase fassen müssen.

Die Gesellschaften Europas haben sich auf den Weg gemacht, die Entwicklung zum Faschismus ein zweites Mal zu machen. Wirtschaftskrisen, politische Ideenlosigkeit, Terror in den Städten, Radikalisierung von Teilen der Jugend – alle Zutaten für einen neuen Faschismus sind heute wieder gegeben. Wenn wir nicht sofort anfangen, gegen diese Entwicklung gegen zu steuern, statt nach Verständnis für diejenigen zu suchen, die in geistiger Umnachtung versuchen, die Gesellschaft zu spalten, werden wir 1933 ein zweites Mal erleben. Nur dieses Mal nicht nur in einem europäischen Land, sondern in mehreren Ländern. Mag auch die Genese der nächsten Katastrophe anders aussehen als im letzten Jahrhundert – das Ergebnis wird das gleiche sein. Tod, Not und Elend. Vielleicht sollte man die Anzeichen für diese Entwicklung nicht nur als Meldung von Seite 3 abtun.

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