Der Chef ist wieder da

In etwas mehr als 2 Stunden hat gestern Abend Emmanuel Macron das Herz der Elsässer und der Franzosen zurückerobert. Gut für Frankreich – schlecht für Randalierer.

Der Kondolenzbesuch von Emmanuel Macron in Strassburg hatte etwas kennedyeskes... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Bei seinem Blitzbesuch in Straßburg gestern Abend hat der zuletzt arg gebeutelte Präsident Emmanuel Macron alles richtig gemacht – und seinen Landsleuten und ganz speziell den Elsässern gezeigt, dass er auch anders kann. Auch jenseits der politischen Inszenierung. Er zeigte bei seiner Hommage an die Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt republikanische Größe und angemessene Würde, um von dort seinen vermutlich schwierigsten, dann aber wohl auch erfreulichsten Gang durch die Menge anzutreten. Was dabei passierte, war erstaunlich.

Wochenlang hatte man „Macron – démission!“ in Frankreichs Straßen gehört und an jedem gelb besetzten Verkehrskreisel gelesen. Wochenlang hatte er während der Eskalation der Krise zwischen den „Gelbwesten“ und dem Staat geschwiegen und seinen Premierminister Edouard Philippe dabei heftigsten Stürmen ausgesetzt. Als er sich dann anfangs der Woche in einer 13-minütigen TV-Ansprache mit der Ankündigung mehrerer sozialer Maßnahmen und der Ankündigung eines gesellschaftlichen Dialogs zu Wort meldete, war das vielen „Gelbwesten“ zu wenig, zu spät.

Doch gestern kippte die Stimmung. Emmanuel Macron erwies den Opfern des Anschlags auf den Straßburger Weihnachtsmarkt sehr würdig und ohne allzu großen Pomp die letzte Ehre, bevor er sich per Handschlag bei den angetretenen Polizisten (inklusive eines Vertreters der baden-württembergischen Polizei), Spezialeinheiten, Soldaten, Sanitätern und Feuerwehrleuten bedankte, wobei da bereits auffiel, wie viel Zeit er sich für das Gespräch mit den einzelnen Beamten nahm.

Dann machte sich sein Tross mit der Straßburger Stadtspitze und anderen Honoratioren in Richtung des Weihnachtsmarkts auf dem Broglie-Platz auf. Konnten ihn die Sicherheitsleute in der engen Gasse am Kleber-Platz noch abschirmen, ging es danach nicht mehr. Doch erstaunlicherweise löste sich die Spannung der Sicherheitsleute und des Präsidenten von Minute zu Minute immer weiter auf.

Denn Macron tat genau das, was die Franzosen seit Monaten von ihm erwarten – er ging auf sie zu, hörte sie an und war nicht etwa abgehoben und arrogant, sondern spontan, verbindlich und ja, nett. Dabei bekam er alles mögliche zu hören, von Passanten und Marktbeschickern, von Beamten und Besuchern des Weihnachtsmarkts – die einen gaben ihm Tipps zur schnellen Umgestaltung seiner Sozialpolitik, andere dankten ihm für seine Solidarität mit der erschütterten Stadt Straßburg, manche rieten ihm zu Steuersenkungen und wieder andere wollten einfach nur ein Selfie mit ihrem Präsidenten ergattern. Und alle bekamen das, was sie sich von ihrem Präsidenten wünschen: Macron hörte zu, antwortete, diskutierte, lächelte, herzte Kinder, erfüllte jeden Selfie-Wunsch und das, tatsächlich, war genau das, was Frankreich, das Elsass und Straßburg in genau diesem Moment brauchten. Ein Präsident, der mitten in der Bevölkerung steht und tröstet, der zusammenschweißt und Zuversicht vermittelt, der in der Krise Format beweist. Seine Botschaft an die Straßburger war ebenso staatsmännisch wie die von François Hollande nach den Anschlägen 2015 in Paris, als dieser ebenfalls Größe zeigte und die Franzosen einte, statt der Versuchung zu erliegen, politisches Kapital aus dieser Krise zu schlagen.

In einem Moment, in dem die französische Gesellschaft durch die immer konfuser wirkende Sozialbewegung der „Gelbwesten“ gespalten wird, das Land von den seit Wochen nicht abreißenden Bildern der Gewalt in Paris und anderen Städten erschüttert ist, in dem sich die Zwischenfälle an den zu „Bidonvilles“ mutierenden Verkehrsblockaden der „Gelbwesten“ häufen (mittlerweile 6 Tote, hunderte Verletzte, tausende Verhaftungen), doch vor allem nach den Tagen der Unsicherheit in der blutenden Stadt Straßburg, bis der geflüchtete Attentäter erschossen wurde – sehnen sich die meisten Franzosen nach Ruhe, Frieden, ein wenig Advents- und Weihnachtszeit und wollen eben keine Gewalt mehr auf Straßen und in den Städten.

Die Franzosen haben gestern Abend ihren Präsidenten in einem geläuterten Licht erlebt, und jeder Händedruck, jedes Gespräch, jede Geste sagte laut und deutlich „ich habe euch gehört, ich habe euch verstanden“. Und folglich wird sich heute, am Samstag zeigen, wohin sich die Situation mit den „Gelbwesten“ entwickelt. Wollen diese tatsächlich soziale Fortschritte erzielen? Dann sollten sie diesen Moment nutzen und entscheiden, wer von ihnen mit welchem Mandat mit der Regierung und den anderen Sozialpartnern verhandeln soll. Oder wollen sie tatsächlich das Land mit Gewalt reformieren? Dafür wird ihnen allerdings der Rückhalt in der Bevölkerung fehlen. Weitere Gewaltexzesse werden über kurz oder lang die Unterstützung für die „Gelbwesten“ implodieren lassen.

Der Chef ist wieder zurück. Er hat Straßburg auf überraschend einfache und authentische Weise das Mitgefühl der Republik überbracht, er hat auf den Startknopf für die Wiederaufnahme einer Art „Normalität“ des Lebens in Straßburg gedrückt, er hat den Franzosen signalisiert, dass er bereit ist, anders mit ihnen umzugehen. Einen solchen Schritt sollten jetzt auch die anderen Kräfte der Gesellschaft unternehmen, ob Parteien, Verbände, Vereine, Initiativen oder Bewegungen. Letztlich sollte es den Franzosen ja auch um ein gemeinsames Ziel gehen – dass es dem Land gutgeht und dass es sich zum Wohle aller entwickeln kann. Und dieses Ziel erreicht man kaum, indem man es in Brand setzt und Gewalt in die Straßen trägt. Auch das gehörte gestern zu den stillen Nachrichten des französischen Präsidenten in Straßburg.

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