Der Fasching startet heute – sind wir eigentlich noch ganz dicht?

Während sich die Welt von einem katastrophalen Datum zum nächsten hangelt und in schmerzhafter Erinnerung innehält, haben wir nichts Besseres zu tun als die „5. Jahreszeit“ mit viel Alkohol zu starten…

Während die Welt der Opfer der von Deutschen angezettelten Kriege gedenkt, setzen wir uns Pappnasen auf und besaufen uns. Klasse. Foto: Hammer des Thor @ de.wikipedia / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – In Ordnung, man kann nicht immer nur todernst durchs Leben gehen, ab und zu muss man auch mal Dampf ablassen und einfach eine sinnlos gute Zeit haben. Und die startet ja bekanntlich am 11.11. um 11:11 Uhr. Wie passend. Und wie unendlich witzig. Dass wir Deutschen an diesem Tag so prächtig saufen und feiern können, wird anderswo mit leichtem Kopfschütteln wahrgenommen – denn der Termin ist einfach zu dämlich gewählt.

Nur mal so zur Erinnerung – wir befinden uns gerade in der Phase, in der sich die Welt an etliche Dinge erinnert, die wir Deutschen am liebsten vergessen würden, die aber nicht vergessen werden können und dürfen. Nur mal so zur Erinnerung, welche Termine Anfang November die Welt geprägt haben – am 9. November 2016 wurde Donald Trump zum „Führer der freien Welt“ gewählt, am 9. November 1938 fand die Reichskristallnacht statt, am 9. November 1989 brach die Berliner Mauer in sich zusammen. Am 11. November 1918, also heute, unterzeichnete die deutsche Führung den Waffenstillstand, der den I. Weltkrieg beendete, der fast 20 Millionen Menschen das Leben kostete. Und während sich die Welt an diese Dinge erinnert und sich vor den Opfern deutschen Wahnsinns verneigt, setzen wir uns Pappnasen auf und lassen die Schnapsflaschen kreisen – Leute, da stimmt doch was nicht!

Nichts gegen Fasching. Dass die Menschen auch mal richtig abgehen wollen, geschenkt. Das hatte ja sogar schon Napoleon begriffen, als er das Rheinland besetzt hatte und die Stadtoberen von Köln und Bonn bei ihm vorstellig wurden und ihm besorgt mitteilten, dass wenn er den Karneval (so nennt man den Fasching nördlich des Weißwurstäquators) verbieten sollte, man nicht mehr für die Ruhe in der Bevölkerung garantieren könne. Alles klar für Fasching. Aber muss der wirklich ausgerechnet an dem Tag starten, an dem sich die Welt an fast 20 Millionen Tote erinnert, die unsere Vorväter auf dem Gewissen haben? Die einen trauern und wir machen Alkoholparty? Geht’s noch?

Es wäre deutlich einfacher, würde man in Deutschland diese Termine wie den 11. November und auch den 8. Mai (für alle, die auch das vergessen haben – an diesem Tag kapitulierte das III. Reich, das mehr als 20 Millionen Menschenleben gekostet hatte…) als Gedenktage begehen und den Start in die „5. Jahreszeit“ ein wenig nach hinten verlegen würde. Und dabei geht es nicht darum, sich Asche aufs Haupt zu streuen für schlimme Dinge, die unsere Generationen nicht zu verantworten haben. Doch wenn wir nicht die Verantwortung für diese Kriege haben, die von unseren Vorvätern angezettelt wurden, dann haben wir doch die Verantwortung dafür zu sorgen, dass so etwas nicht wieder vorkommt. Und genau deswegen wäre es so wichtig, dass diese Termine auch bei uns begangen würden, dass in den Schulen über die Mechanismen gesprochen wird, die zu Krieg und Elend führen und dass man sich gemeinsam verspricht, so etwas nie wieder zuzulassen.

Stattdessen werden wir uns heute wundern, dass so viele Franzosen in unseren Städten auf Einkaufs- und Besuchstour sind (bei denen ist ja auch Feiertag…) und mit der uns eigenen Sensibilität für historische Zusammenhänge bereits zur Mittagszeit besoffen in den Fußgängerzonen Gassenhauer grölen. Und uns dann wundern, warum wir auch Jahrzehnte nach den schlimmen Ereignissen immer noch nicht so richtig im Ausland beliebt sind. Aber das dürfte uns auch ziemlich egal sein. Hauptsache, das Bier ist kalt, der Schnaps fließt reichlich und niemand nervt uns mit ollen Kamellen. Na, dann – Prost.

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