Der französische Sommer wird unruhig werden…

Nur 48 Stunden nach der TV-Ansprache von Emmanuel Macron kippt die Stimmung in Frankreich. Die Nation ist immer tiefer gespalten. Ob das Absicht ist?

Zehntausende protestierten am Nationalfeiertag gegen Präsident Macron... Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Am Nationalfeiertag, dem 14. Juli, der an den Sturm der Bastille und die Französische Revolution erinnert, fanden nicht nur die üblichen Militärparaden und andere Festivitäten statt, sondern auch Demonstrationen. Das ist für einen 14. Juli sehr ungewöhnlich und der Umstand, dass Präsident Macron bei seiner Fahrt im offenen Jeep über die Champs-Elysees ausgebuht wurde, ist ebenso ungewöhnlich. Doch mit seiner TV-Ansprache vom Montagabend hat Macron etwas geschafft, auf das eigentlich kein Staatenlenker stolz sein sollte – er hat das französische Volk gespalten und schlimmer noch, er hat verschiedene Bevölkerungsgruppen geradezu gegeneinander aufgehetzt.

Die Maßnahmen, die Macron am Montagabend verkündete, unterscheiden sich nicht sehr von denjenigen, die in anderen Ländern gerade ergriffen werden. Doch in anderen Ländern herrscht eine andere Beziehung zwischen Regierung und Bevölkerung – Macron erfährt deshalb so viel Gegenwind, weil seine Regierung seit Beginn der Pandemie die Franzosen auf höchst arrogante Weise belogen hat. Obwohl die Situation die gleiche ist wie in anderen Ländern, ist das Vertrauensverhältnis zwischen Regierung und Bevölkerung zerrüttet und deswegen traut ein großer Teil der Bevölkerung den autoritär vorgetragenen Anweisungen des Präsidenten nicht mehr.

Die unendlich vielen Fragen, die im Zusammenhang mit der Pandemie zu Recht gestellt werden, bleiben ohne Antworten. Statt Informationen zu geben, fordert die Regierung blinden Gehorsam, und stigmatisiert dabei zwei Bevölkerungsgruppen, die ab sofort die Verantwortung für das weitere Infektionsgeschehen tragen – die Pflegeberufe und nicht Nicht-Geimpften. Die Art und Weise, in der Macron seine Entscheidungen vorträgt, hetzt die Bevölkerung gegeneinander auf.

Die Geimpften beschuldigen die Impfzweifler, an der aktuellen Entwicklung die Schuld zu tragen und die Pflegeberufe, denen das ganze Land noch vor einem Jahr jeden Abend Beifall klatschte, sind nun die unsolidarischen Schuldigen, denen ab dem 15. September der Job gekündigt wird und die ab dann kein Gehalt mehr bekommen. .Kurz – alle haben Schuld, die nicht buchstabengetreu die Anweisungen einer Regierung umsetzen, die sich selbst stolz als „Amateure“ bezeichnet. Die einzigen, die keinerlei Schuld an gar nichts tragen, sind die Chefs der Pariser Paläste der Macht.

Die Mehrheit der Franzosen begrüßt die verkündeten Maßnahmen und das ist wenig verwunderlich. Wie in anderen Länder gibt es eine Logik in der Impfung des Pflegepersonals, das die meisten Kontakte mit Infizierten hat. Doch anderswo hat man dem Pflegepersonal nicht gedroht, man hat sie nicht stigmatisiert, man hat sie nicht für die Fehler der jeweiligen Regierungen verantwortlich gemacht. Und das ändert alles.

Ob Macrons Rechnung aufgeht, wird man sehen. Bereits im Wahlkampf-Modus präsentiert sich Macron nun als zupackender Führer, was bei seinen Anhängern geradezu Jubelstürme auslöst. Diejenigen, die den Präsidenten nicht als göttlich inspirierten Heilsbringer betrachten, hörte man am Mittwoch auf den Champs-Elysees, wo sie „Macron – démission“ skandierten und den Präsidenten auspfiffen, was für einen Nationalfeiertag geradezu unerhört ist.

Was Frankreich am Nationalfeiertag erlebte, ist nur der Auftakt. Die sozialen Konflikte werden nun im Sommer wieder komplett aufbrechen und sehr viele Franzosen werden sich über die Anweisungen aus Paris hinwegsetzen. Der Bruch durch die Gesellschaft ist vollzogen, die Auseinandersetzungen erfolgen über Beschimpfungen, Beleidigungen und Bedrohungen der jeweils Andersdenkenden – Frankreich stehen sehr schwere Zeiten bevor. An dieser Entwicklung trägt vor allem einer Schuld: Der Präsident, der nächstes Jahr wiedergewählt werden will. Was die Franzosen von dieser Perspektive halten, haben sie erst kürzlich bei den Regional- und Departementswahlen gezeigt. Wenn man die Ergebnisse aus allen 13 Regionen zusammenrechnet, befindet sich die Partei des Präsidenten LREM gerade noch auf dem 5. Platz der französischen Parteien – selbst die eigentlich implodierte Sozialistische Partei (PS) liegt inzwischen wieder vor LREM.

Der Rest des Jahres 2021 und das „Superwahljahr“ 2022 werden spannend in Frankreich, sehr spannend.

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