Der griechische Albtraum nimmt immer weiter Formen an

Sie reden von „Rettung“, von „Einigung“, von „Hilfe“ und von „Reformen“ - doch faktisch macht die EU unbeirrt mit ihrem Versuch eines Staatsstreichs in Griechenland weiter.

"Der Grieche nervt" - vor allem, weil er versteht, dass Alexis Tsipras nicht für die Misere verantwortlich ist, sondern diese beheben will. Foto: ArielGlenn / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Was die Spitzenkräfte der EU, des IWF und der EZB am meisten irritiert, ist nicht die katastrophale Lage der Menschen in Griechenland, sondern die Ankündigung von Alexis Tsipras, im September Neuwahlen durchführen zu wollen. Diese Irritation der EU-Bosse liegt allerdings vor allem daran, dass erste Umfragen in Griechenland darauf hinweisen, dass Alexis Tsipras und seine Syriza bei vorgezogenen Neuwahlen die absolute Mehrheit erringen könnten. Was dann die ganzen schönen Pläne der EU, die linke Regierung in Griechenland zu stürzen, zunichtemachen könnte. Folgerichtig mehren sich die Aufrufe an Tsipras, doch seine Energie nicht mit solchen Neuwahlen zu vergeuden. Gleichzeitig wurden in Griechenland die ersten neuen Sparmaßnahmen eingeführt. Ab sofort wird das Leben für die Menschen in Griechenland noch unerschwinglicher und schwerer zu ertragen. Aber das interessiert in den samtbezogenen Chefetagen Europas niemanden.

Die Begrifflichkeiten sind verwirrend. Die „Reformen“, von denen die ersten heute gültig werden, tragen diese Bezeichnung zu Unrecht. Eine „Reform“, das klingt nach Innovation, nach Verbesserung, nach Modernität. Doch gemeint ist nicht etwa ein Fortschritt, sondern eine dramatische Verschlechterung der Lebensumstände in Griechenland. Seit Montag gilt dort eine von 13 auf 23 % erhöhte Mehrwertsteuer auf einige Grundnahrungsmittel und in anderen Bereichen, was die ohnehin schon extrem schwere Lage der Menschen in Griechenland weiter erschweren wird. Aber klar, „Reform“ klingt deutlich schöner als „Zwangsmaßnahme“.

Was man in Europa nicht wahr haben will, ist dass die Menschen in Griechenland seit Beginn des Troika-Kahlschlags sparen, sparen und nochmal sparen. Die durchschnittlichen Gehälter in Griechenland sind seit fünf Jahren um 25 % gesunken, während die Lebenshaltungskosten gleich geblieben, bzw. gestiegen sind. Jeder kann sich vorstellen, wie er klarkommt, wenn er nur noch 75 % seines heutigen Gehalts aufs Konto bekommt. Oder arbeitslos ohne Anspruch auf Grundsicherung ist.

Auch die Selbstzufriedenheit Europas, man habe schließlich eine „Einigung“ und „Vereinbarungen“ mit Griechenland getroffen, sind reiner Hohn. Griechenland wurde erpresst, die gnadenlosen Sparmaßnahmen waren die Voraussetzung, dass man überhaupt weiter mit Griechenland verhandeln will. „Mit der Pistole an der Schläfe“ wurden diese „Vereinbarungen“ erzielt. Doch Begriffe sind dehnbar. Auch die Familie eines Entführungsopfers trifft eine „Vereinbarung“ mit den Entführern, wenn sie sich bereit erklärt, ein Lösegeld zu zahlen. Von Freiwilligkeit kann in beiden Fällen wohl kaum die Rede sein.

Nur – durch die ständige Wiederholung von Begriffen wie „Rettung“, „Hilfen“, „Reformen“ und anderen, entsteht in der Bevölkerung der völlig falsche Eindruck, wir würden Griechenland tatsächlich helfen. Nur, das tun wir seit 5 Jahren nicht. Seit die Troika in Athen dafür sorgt, dass die internationalen Finanzorganisationen pünktlich ihre Spekulationsgewinne überwiesen bekommen, ist die Arbeitslosigkeit in Griechenland explodiert und die Lebensbedingungen der Menschen sind in einen Albtraum abgedriftet. Doch die Menschen in Deutschland, das zeigen alle Umfragen, glauben immer fester, dass die Griechen „faul“ sind (pro Jahr arbeitet ein griechischer Arbeitnehmer 2042 Stunden, ein deutsche Arbeitnehmer 1378 Stunden…), dass die griechische Bevölkerung auf Kosten des deutsche Steuerzahlers Party macht und dass es an der Zeit ist, Griechenland nach deutschem Vorbild zu disziplinieren. Wie sagte Thomas Strobl? „Der Grieche hat lange genug genervt…“ Schade, dass wir Deutschen nicht merken, dass wir gerade Europa und die ganze Welt nerven.

Was weder die europäische Politik, noch die meisten deutsche Medien verstanden haben, ist dass die Griechen trotz der Arbeit der Troika nicht vollständig verblödet sind. Sie haben sehr wohl verstanden, dass Alexis Tsipras erpresst und genötigt wurde, unfreiwillig Dinge im Athener Parlament durchzusetzen, die er offen ablehnt. Daher würden sie bei Neuwahlen nicht, wie von der EU gewünscht, wieder den willfährigen Samaras als EU-Statthalter in Griechenland einsetzen, sondern massiv für Syriza stimmen. Womit der ganze schöne Masterplan der konservativen Umstürzler in Brüssel und Berlin leider am Ende doch nicht funktionieren würde. Man darf sich aber auf Wolfgang Schäuble und Angela Merkel verlassen – sie werden so lange die Daumenschrauben weiter anziehen, bis die Syriza gestürzt ist. Dafür lassen sie sich auch, wenn es sein muss, alle Zeit der Welt. Dass in der Zwischenzeit das griechische Volk leidet, ist wohl doch nur eine „Randerscheinung“ unserer Finanzpolitik, die einige in Europa wohl immer noch für richtig halten.

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