Der Hütchen-Spieler der Macht
Emmanuel Macron zieht alle Register, um sich trotz der heftigen Wahlniederlage an der Macht zu halten. Und es steht zu befürchten, dass er das auch weiterhin tut.
(KL) – Wer schon einmal in Paris war, der kennt sie, die Hütchen-Spieler auf dem Trocadero oder am Eiffelturm. In gut organisierten Banden zocken diese Hütchen-Spieler geschickt die Touristen ab, die gar nicht richtig merken, wie sie betrogen werden. Ähnlich verfährt der französische Präsident Emmanuel Macron mit seinen Landsleuten, nachdem seine Partei „Renaissance“ bei den von Macron ausgerufenen vorgezogenen Parlamentswahlen eine derbe Schlappe kassiert hatte. Am Dienstag nahm er das zunächst abgelehnte Rücktrittsgesuch seines Premierministers Gabriel Attal an. Frankreich hat seine Regierung abgewählt – und bekommt exakt die gleiche Regierung wieder, auf unbestimmte Zeit und in geändertem Format. Dazu macht Macron die Opposition für die unmögliche Regierungsbildung verantwortlich und bereitet alles dafür vor, nach den Olympischen Spielen als Alleinherrscher weiterzumachen – der Verfassungsartikel 16 bietet ihm hierfür die Möglichkeit.
Seit vorgestern hat Frankreich nur noch eine kommissarische Regierung mit stark eingeschränkten Kompetenzen. Die zurückgetretene Regierung bleibt „vorerst“ im Amt, darf allerdings nur noch die „laufenden Angelegenheiten“ verwalten, aber keine neuen Gesetze auf den Weg bringen, keine Dekrete erlassen und eigentlich nichts mehr beschließen. Angesichts fehlender Mehrheiten im neu gewählten Parlament befindet sich Frankreich im Zustand der politischen Lähmung. Dieser Zustand soll „so schnell wie möglich“ beendet werden, sagt der Präsident und fordert die anderen Parteien auf, mit seinen 99 Abgeordneten im Parlament so zusammenzuarbeiten, dass man eine mehrheitsfähige Regierung auf die Beine stellen kann, natürlich unter Kontrolle des Präsidenten. Doch das wird nicht möglich sein, da Macron bereits jede Zusammenarbeit mit der stärksten Fraktion („Neue Volksfront“) und der stärksten Einzelpartei („Rassemblement national, ex-Front national“) ausgeschlossen hat. Doch ohne diese beiden Parteien ist es rechnerisch nicht möglich eine Koalition zu schmieden, die tatsächlich auf die erforderlichen 289 Sitze im Parlament käme.
Und so fordert der Präsident nun die Parteien der linken „Neuen Volksfront“ auf, dieses linke Wahlbündnis zu sprengen, die linksextreme „La France Insoumise“ zu isolieren und gemeinsam mit „Renaissance“ und den konservativen „Les Républicains“ eine neue Mehrheit um seine verbliebenen 99 Abgeordneten zu bilden. Politisch ist das ein Machiavelli-Stück, denn sollten die sozialistische PS, die kommunistische PCF und die grüne EELV diese „Neue Volksfront“ verlassen und verraten, dürfte Frankreichs Linke auf lange Jahre unwählbar werden und in der Versenkung verschwinden, aus der sie gerade mühsam wieder auftaucht. Sollte die „Neue Volksfront“ halten, dann hätte Macron den idealen Sündenbock für die Unregierbarkeit Frankreichs und damit einen Vorwand, um Verfassungsartikel 16 zu aktivieren, der ihm ein fast uneingeschränktes Recht gäbe, das Land alleine zu regieren.
In der Tat, die linke „Neue Volksfront“ hat bereits begonnen, sich selbst zu zerfleischen, da sich die in diesem Bündnis vertretenen Parteien nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten für das Amt des nächsten Regierungschefs einigen können (den der Präsident akzeptieren oder ablehnen kann, wie es ihm gefällt). Dass es Macron selbst war, der diese Situation durch die überstürzte Auflösung des Parlaments und die Wahltermine noch vor den Olympischen Spielen herbeigeführt hat, spielt keine Rolle mehr – und für Macron laufen die Dinge so, wie er sie sich gewünscht hat. Denn auch im Elysée-Palast wusste man nach der ebenso derben Schlappe bei der Europawahl am 7. Juni, dass die „Macronie“ auch diese Parlamentswahlen verlieren würde. Und so spielt Macron auf Zeit und schafft eine Situation, die es ihm ermöglichen kann, die alleinige Macht an sich zu reißen.
Die Art und Weise, wie dieser Präsident mit dem Schicksal seines Landes, seiner Landsleute und der politischen Institutionen zockt, ist unglaublich. Nicht nur, dass Macron das Wahlergebnis vom 30. Juni und 7. Juli vollständig ignoriert und einfach so weitermacht, als sei seine Regierung nicht abgewählt worden, dazu macht er mit der Zerstörung der politischen Landschaft Frankreichs weiter wie zuvor, indem er versucht, die „Neue Volksfront“ zu sprengen. Dass er dabei für die nächsten Wahltermine den Weg für die Rechtsextremen frei macht, ist ihm egal, denn dann ist für ihn ohnehin Feierabend, da er sich kein drittes Mal zur Wahl zum Präsidenten 2027 stellen darf. Dass diese Politik, bei der es ausschließlich um seine persönliche Macht geht, in Frankreich verbrannte Erde hinterlassen wird, kümmert Macron wenig.
Dass die französische V. Republik mit ihrer Machtfülle für den Präsidenten am Ende ist und dass dringend eine modernere und demokratische VI. Republik geschaffen werden muss, ist die einhellige Meinung praktisch aller Beobachter. Doch da eine solche grundlegende Änderung des politischen Frankreichs von denen bewerkstelligt werden müsste, die persönlich von dieser unhaltbaren Situation profitieren, werden die notwendigen Änderungen und Reformen wohl nicht „von oben“ kommen, sondern von der Straße.
Seit 2018 befindet sich Frankreich in einem Dauerzustand der sozialen Unruhen, die natürlich die Konsequenz der arroganten und hauptsächlich den Reichen nützenden Politik Macrons ist. Bis auf die Zeiten der Pandemie-Lockdowns finden seitdem jedes Wochenende Demonstrationen in Paris und den großen Städten der Provinz statt, hat sich der Präsident mit Studenten, Arbeitslosen, Gewerkschaftern, Krankenpflegern, Arbeitnehmern und anderen Bevölkerungsgruppen angelegt und dafür gesorgt, dass heute nur noch knapp 15% der französischen Wählerschaft hinter ihm stehen. Dass das Tischtuch zwischen ihm und den Franzosen zerschnitten ist, erkennt er nicht, stattdessen will er den Franzosen weiterhin seinen „göttlichen Willen“ und sein „komplexes Denken“ aufzwingen, da er seine Landsleute grundsätzlich für geistig minderbemittelt hält.
Doch die politische Gewalt, die Macron Frankreich antut, kann sich schnell als Bumerang erweisen. Wenn dieser Mann so weitermacht, dann wird er eine neue Welle der Gewalt auslösen, die er kaum noch mit seinen Polizeikräften eindämmen kann, denn auch die Polizei hat der Präsident inzwischen mehrheitlich gegen sich. Man darf gespannt sein, wie sich diese Situation weiter entwickelt, doch ist nun klar, dass Macron die Lage nicht etwa für mehr Parlamentarismus und Demokratie in Frankreich nutzen wird, sondern einzig zum Ausleben seiner ganz persönlichen Macht. Und das könnte böse enden.
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