Der Irrsinn des Wild West-Kapitalismus

Trotz aller Krisen schütten die im DAX vertretenen Unternehmen dieses Jahr 62,5 Milliarden Euro an ihre Aktionäre aus. Auch die Volkswagen AG, trotz bedrohlicher Schräglage.

Die Volkswagen AG will "zehntausende" Mitarbeiter entlassen, zahlt aber dennoch Milliarden an Dividenden. Foto: Filip Frid / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Die Volkswagen AG befindet sich in der tiefsten Krise seit dem II. Weltkrieg. Falsche strategische Ausrichtung, Überschwemmung des Markts durch chinesische Anbieter, unklare Perspektiven zwischen auslaufenden Verbrennermodellen, E-Fahrzeugen und der nächsten Generation von H2-betriebenen Fahrzeugen – der VW-Gruppe geht es schlecht. So schlecht, dass nach Konzernangaben „mindestens drei Werke“ geschlossen werden sollen, eine Beschäftigungsgarantie für Mitarbeiter einseitig vom Konzern aufgekündigt wurde und „zehntausende Arbeitsplätze“ wegfallen sollen. Doch das hält die AG nicht davon ab, rund 6 Milliarden € an Dividenden an ihre Aktionäre auszuschütten, darunter die Milliardärsfamilie Piëch und das Land Niedersachsen. Der Kapitalismus zeigt sich einmal mehr von seiner übelsten Seite.

Insgesamt werden die im Aktienindex DAX vertretenen Unternehmen 2024 mehr als 62 Milliarden € an Dividenden ausschütten. Das ist in Zeiten genereller Krisen schon schlimm genug, denn per Definition werden Dividenden an diejenigen ausgeschüttet, die zu den Reichen gehören und diese Dividenden eigentlich gar nicht brauchen. Doch sollte man langsam zu der Regelung kommen, dass Unternehmen, die Arbeitsplätze abbauen, generell keine Dividenden ausschütten dürfen, sondern die hierfür vorgesehenen Gelder in die Rettung von Arbeitsplätzen investieren müssen.

Die Allgemeinheit hat die Großunternehmen seit mehr als 20 Jahren durch alle möglichen Krisen gehievt. Ob nun die Bankenkrise nach dem Kollaps der Lehman Brothers in den USA, die Europas Steuerzahler 1,5 Billionen € gekostet hat, ob während der Covid-19-Pandemie – wenn es darum ging, große Unternehmen zu retten, war die Allgemeinheit immer zur Stelle. Was die Bankenkrise anging, war das Argument „too big to fail“ – also wurden Steuergelder mit beiden Händen in Banken gepumpt, die sich verspekuliert und verloren hatten. Das ist dann ungefähr so, als würde man am Ausgang des Spielkasinos einen Stand aufbauen, an dem Spielern, die ihr Geld verzockt haben, der Verlust durch Steuergelder zurückgezahlt wird. Abstrus, doch genau das war die Praxis in der Bankenkrise.

Zu Zeiten, in denen Regierungen gestürzt werden, weil man keinen tragfähigen Haushalt auf die Beine stellen kann, ist es geradezu verwerflich, dass sich die Inhaber der DAX-Unternehmen mehr als 62 Milliarden € an Dividenden auszahlen. Und gleichzeitig Arbeitsplätze streichen, Produktionen in Billiglohn-Länder verlagern und sich nicht um das Schicksal derjenigen kümmern, die ihren Reichtum tatsächlich erwirtschaften.

Man muss kein Kommunist sein um festzustellen, dass dieses Wirtschaftssystem zum Scheitern verurteilt ist, da es einseitig die „happy few“ der Wohlhabenden bevorzugt, während die im Grundgesetz verankerte soziale Verpflichtung des Kapitals mit Füssen getreten wird. An der Basis dieses Problems befindet sich das Börsensystem, wo Superreiche und Investment-Fonds auf steigende und fallende Aktienkurse wetten, sich mit allen möglichen „Derivaten“ amüsieren, die dem Normalsterblichen nur noch pervers vorkommen können und immer in der angenehmen Gewißheit, dass wenn man sich verzockt, der Steuerzahler schon einspringen wird. Wie immer.

Krise? Was für eine Krise? Die 2024-Dividenden liegen sogar um 1,6 % höher als die Ausschüttungen im Vorjahr. Die Gier der Superreichen ist nicht zu stillen, doch gezahlt wird von denjenigen, die am wenigsten haben. Dass ein solches System nicht ewig funktionieren kann, erscheint logisch. Um hier gegenzusteuern, doch das wird sich niemand trauen, müsste man das aktuelle Börsensystem durch etwas ersetzen, was die SPD schon in den 80er Jahren gefordert hatte – den „staatsmonopolistischen Kapitalismus“, kurz „Stamokap“.

Zur Finanzierung wirtschaftlicher Projekte würde dann der Staat die heutigen Börsen ersetzen, was verhindern könnte, dass die Finanzmärkte alles abschöpfen, was von der Realwirtschaft erwirtschaftet wird. Ein solches „Stamokap“-System würde den Vorteil bieten, sich selbst finanzieren zu können und gleichzeitig verhindern, dass Zocker das gesamte Wirtschaftssystem gefährden und der Allgemeinheit pharaonische Summen für ihr Versagen aufbürden.

Da dies aber voraussichtlich nicht passieren wird, sollte man wenigstens dafür sorgen, dass Konzerne, die Gewinne erwirtschaften oder staatliche Hilfen beziehen, keine Dividenden ausschütten dürfen. Der letzte Bundeshaushalt, an dem die Ampel-Koalition zerbracht, scheiterte an einem Finanzierungsloch von 40 Milliarden €. Würden die 62 Milliarden Dividenden für die DAX-Aktionäre in diesen Haushalt kommen, wäre manche Krise verhindert. Alleine mit den Dividenden 2024 könnte man das gesamte, marode Schienennetz der Deutschen Bahn sanieren, und es wäre sogar noch genug übrig, um zahlreiche Schulen zu renovieren und andere dringend benötigte Infrastruktur-Maßnahmen zu ergreifen. Mit den Dividenden eines einzigen Jahres!

Aber da diejenigen, die dieses in sich völlig pervertierte System ändern könnten, auch diejenigen sind, die persönlich am meisten davon profitieren, wird wohl alles beim Alten bleiben – und die sozialen Konflikte werden sich immer weiter verschärfen. Und das alles nur, weil die Superreichen, denen es egal sein könnte, ob sie nun 1 Milliarde mehr oder weniger auf dem Konto haben, ihre Gier nicht zügeln können. Ob das ein gutes Ende nimmt?

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