„Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine ist nicht vorbei…“

Interview mit Olivier Védrine, Professor und Chefredakteur des „The Russian Monitor“, einem Medium der Opposition in Russland.

Olivier Védrine hat Russland aus Protest gegen die Annektierung der Krim verlassen. Foto: © Yann Merlin

(KL) – In Clermont-Ferrand geboren hat Olivier Védrine lange Jahre lang in Russland gearbeitet. Chefredakteur der russischen Ausgabe der französischen „Révue Défense Nationale“ hat er ebenfalls Politikwissenschaften an mehreren russischen Universitäten unterrichtet, von Moskau bis Omsk in Sibirien. Nach der Annektierung der Krim verließ er Russland, um gegen diese Annektierung zu protestieren und zog in die ukrainische Hauptstadt Kiew, wo er heute seine Berufe als Journalist und Lehrer ausübt. Interview.

Olivier Védrine, nach der Annektierung der Krim durch Russland haben Sie Moskau und einen lukrativen Job als Chefredakteur der „Revue Défense Nationale“ verlassen – um ihre zahlreichen Aktivitäten in Kiew fortzuführen. Erste Frage – sind Sie in der Ukraine in Sicherheit?

Olivier Védrine: Ja, ich bin in der Ukraine sicher. Ich bin vor 9 Jahren in der Ukraine angekommen, zunächst auf Einladung eines entfernten Cousins, da ich Familie sowohl in der Ukraine wie auch in Russland habe. Von 2010 bis 2012 bin ich zwischen Frankreich und Russland gependelt und war, wie Sie sagten, Chefredakteur der russischen Ausgabe der französischen „Revue Défense Nationale“ der Militärschule in Paris. Diesen Posten habe ich 2014 aufgegeben, um gegen die Annektierung der Krim zu protestieren. Ich war ebenfalls Gastprofessor der Staatlichen Universität Lomonossov in Moskau und habe Kurse an der Universität Omsk in Sibirien gegeben. Ich habe viel verloren, um die Ukraine zu unterstützen, aber dafür habe ich meine Ehre behalten!

Können Sie in Kiew ihren Beruf frei ausüben oder müssen Sie Sicherheits-Maßnahmen treffen?

OV: Ja, ich kann meinen Beruf sicher in der Ukraine ausüben. Allerdings ist die Internet-Site meines russischsprachigen Mediums „The Russian Monitor“ https://therussiamonitor.com/ der Opposition regelmäßig Zielscheibe von DDOS-Angriffen, wir haben Mails mit Drohungen und Einschüchterungen erhalten. Mit 500.000 Besuchern pro Monat steht „The Russian Monitor“ weit oben auf der Putin-Liste der oppositionellen Medien, die seine Macht in Frage stellen.

Momentan steigen die Spannungen zwischen Moskau, Peking und Washington. Spielt die Europäische Union noch in diesem „Konzert der Großen“ mit, falls sie dies je getan hat?

OV: Die Europäische Union gehört zu den „Großen“, allerdings hat sie keinen Führer – und dennoch ist die EU in vielen Bereichen führend. Manchmal wirkt die EU auf mich wie ein Löwen-Rudel, dass von Schafen angeführt wird. Das Fehlen eines echten europäischen Führers und die Egoismen und kleinkarierten nationalen Interessen der Mitgliedsstaaten der EU liegen genau im Interesse von Moskau, Peking und Washington.

Aktuell hat man den Eindruck, als würden sich die Diplomaten der drei „Supermächte“ um die Führerschaft in der internationalen Politiklandschaft streiten. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Wie weit kann dieses „Armdrücken“ gehen?

OV: Die wahre Rivalität besteht zwischen den USA und China. Putin will uns nur weismachen, dass Russland auf der gleichen Ebene der beiden Supermächte USA und China mitmischt, aber das stimmt nicht! Diese Lüge ist sehr wichtig für Putin, vor allem, dass die Welt diese Lüge glaubt und vor allem handelt es sich hierbei um die russische Innenpolitik, denn die russische Propaganda zielt nicht auf Europa oder die USA ab, sondern vor allem ist sie für das russische Volk gedacht. Das „Armdrücken“ zwischen den USA und China fängt gerade erst an und dabei sind alle Entwicklungen möglich, bis hin zum Krieg.

Die Spannungen zwischen der Ukraine und Russland sind immer noch sehr präsent. Wie schätzen Sie die Lage zwischen beiden Ländern in einem Jahr ein, in drei oder auch fünf Jahren?

OV: Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine im Donbass ist nicht vorbei. Der Westen hat diesen Krieg leider vergessen. Ich befürchte, dass das Absinken der Beliebtheit Putins in Russland und das Ansteigen interner Probleme Putin veranlassen könnte, einen Sieg in der Ukraine zu suchen, um seine national ausgerichtete Propaganda neu zu befeuern. Leider sind wir immer noch in einer Logik der Konfrontation, der Konflikt kann jederzeit wieder aufbrechen und sich zwischen Russland und der Ukraine im Donbass wieder intensivieren.

Olivier Védrine, vielen Dank für das Gespräch!

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