Der „Literarische Adventskalender“ (28)

Autor Stefan Böhm und Eurojournalist(e) präsentieren: „Straßburger Glaubensbekenntnis - Kommissar Sturnis dritter Fall“. Heute: Kapitel 28 – „Nonnenalarm im Polizeipräsidium“

Oha, wissen die Nonnen etwa mehr, als sie sagen wollen? Foto: National Library of Ireland on The Commons / Wikimedia Commons / PD

(Red) – Dieses Jahr dauert die Adventszeit bei uns etwas länger… und deshalb läuft jetzt noch unser „Literarischer Adventskalender“ von Stefan Böhm. Die gute Nachricht – das Buch endet erst Anfang Januar; bis dahin kommen Sie weiter täglich in den Genuss eines neuen Kapitels!

Kapitel 28 – Nonnenalarm im Polizeipräsidium

Vor den Vernehmungsräumen ging es zu wie im Hühnerstall. Der Gang war voll mit gackernden Nonnen. Die sonst so bedächtigen Dienerinnen des Herrn waren völlig aus dem Häuschen. Er fragte sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, alle auf einmal ins Polizeipräsidium vorzuladen. Das war einfach zu viel für sie. Für ihre Vernehmung könnte es aber eine Chance sein, die Nonnen waren nervös.

Die Gespräche hatte er sich mit Straumann und Isinger aufgeteilt. Seit einer Stunde arbeitete er sich an der Priorin ab. Sturni war sich sicher, dass sie log wie gedruckt. Gutenbergs Druckerschwärze klebte an ihren Fingern. Sie verbarg ihm etwas, so viel stand fest. Priorin Meyer kannte den Mann, mit dem Valerie Geiler intimen Umgang hatte, und deckte ihn. Wenn er den Mörder überführt hatte, würde er auch sie zur Rechenschaft ziehen. Er hasste es, bei Zeugenvernehmungen für dumm verkauft zu werden.

Für einen kurzen Moment unterbrach er die Befragung, um seinen Blutdruck wieder unter Kontrolle zu bekommen und sich zu erkundigen, wie Straumann und Isinger mit ihren Nonnen vorankamen. Außerdem plagten ihn Kopfschmerzattacken. Das Gespräch mit Manon Bellerose spukte ihm noch im Kopf herum. „Ich bin immer für Sie da, Commissaire Sturni. Sie wissen nun ja, wie Sie mich erreichen können.“ Die Sätze hallten nach in seinen Gehirnwindungen. Brauchte er wirklich Hilfe? Oder hatte er sich gar verliebt in die schöne Manon Bellerose? Schnell schob Sturni den Gedanken beiseite.

Vielleicht sollte er seine Strategie ändern und sich eine der jüngeren Nonnen vornehmen. Jung war in diesem Zusammenhang relativ. Die einzige „junge“ Nonne war Novizin Geiler gewesen, alle anderen waren Ü50. Außerdem war Geiler noch gar keine echte Nonne gewesen. Aus Schwester Leonore würde er nichts herausbekommen, zumindest nicht ohne eine List. Er würde ihr eine Falle stellen müssen, um sie zu überführen, wusste allerdings nicht, wie er es anstellen sollte.

Straumann hatte keine neuen Erkenntnisse. Das überraschte ihn nicht, bei Zeugenbefragungen war er ein Totalausfall. Bei genauerer Überlegung fragte er sich, wo eigentlich die Stärken seines ersten Inspektors lagen, außer in der ausgiebigen Verkostung elsässischer Weine und dem Sprücheklopfen in elsässischer Mundart. Fähigkeiten, die im Dienst eher selten gewinnbringend waren.

„Wie ist dein Eindruck, Bernard?“

Von seinem zweiten Inspektor erhoffte er sich schon mehr. Wenn er mit dem gleichen Engagement weitermachte, würde er es noch weit bringen. Schon war er als Abteilungsleiter für einen anderen Bereich im Gespräch. Sturni würde wahrscheinlich schon bald auf ihn verzichten müssen. Seine einzige Hoffnung war, dass auch Bernard Isinger mit Leib und Seele Mordermittler war und deshalb seine Abteilung nicht verlassen wollte.

„Irgendetwas stimmt hier nicht. Jede der befragten Nonnen leugnet, von einem intimen Verhältnis Valerie Geilers Kenntnis gehabt zu haben. Keine von ihnen hat angeblich jemals einen Mann in den Fluren ihrer Schlafkammern gesehen. Auffällig ist nur, dass jede von ihnen bei ihrer Aussage genau den gleichen Wortlaut verwendet.“

„Die Damen wurden doch alle von der Obernonne instruiert. Die haben einen Maulkorb bekommen.“

„Sieht ganz danach aus. Es ist offensichtlich, dass sie sich mit ihren Lügen schwertun. Die meisten bekommen einen hochroten Kopf, wenn sie gebetsmühlenartig das abspulen, was ihnen Schwester Leonore eingetrichtert hat: Valerie Geiler unterhielt keine intime Beziehung, kein Mann hat jemals die Schwelle ihrer Gemächer betreten … Das ich nicht lache!“

Sturni und Isinger überlegten, wie sie eine der Nonnen doch noch zum Reden bringen könnten. Das gute alte „good cop, bad cop“-Spiel sollte dafür herhalten, verbunden mit einigen Drohungen und einem Appell an ihren christlichen Wertekodex.

***

Sie stimmten gerade ab, welche von ihnen wohl das schwächste Glied in der Kette war, als die Tür aufgerissen wurde.

„Sturni, sind Sie von allen guten Geistern verlassen? Sind Sie sich darüber im Klaren, was Sie da gerade anrichten?“

Sein Vorgesetzter hielt es nicht für notwendig, abzuwarten, bis man ihn aufforderte, die Tür zu öffnen und einzutreten. Wozu auch, es war sein Polizeipräsidium, er war hier der Chef.

„Raten Sie mal, wer mich gerade angerufen hat?“

Sturni seufzte. Musste das sein, gerade jetzt?

„Der Präfekt?“

Es war immer der Präfekt, wenn Bouget ihm diese Frage stellte …

„Äh, richtig, woher wissen Sie das?“

Sturni sparte sich eine Antwort.

„Ist ja auch egal. Sie lassen ein komplettes Nonnenkloster zum Verhör antanzen, ohne es vorher mit mir abzustimmen? Ich hoffe, Sie haben triftige Gründe dafür. Ich dachte, die Mordfälle seien aufgeklärt, die Mörderin beging Selbstmord, Akte geschlossen? Und in Zukunft möchte ich solche Informationen von Ihnen direkt, nicht immer aus zweiter Hand von Inspektor Straumann!“

„So einfach ist es leider nicht. Die Mörderin wurde selbst ermordet. Dieses Verhör ist unabdingbar, um ihren Mörder zu überführen.“

„Was hier unabdingbar ist, entscheide ich, und sonst niemand!“

Sturni hasste es, wenn sein Direktor sich in seine Ermittlungen einmischte. Er behinderte ihn dann nur bei der Arbeit und brachte alles durcheinander.

„Die Priorin des Klosters hat umgehend den Erzbischof informiert, nachdem Sie die gesamte Belegschaft ins Präsidium einbestellt haben. Der Bischof wiederum hat sich beim Präfekten über Sie beschwert. Ist Ihnen klar, was das bedeutet?“

Minuspunkte für Bougets nächsten Schritt auf der Karriereleiter, das bedeutete es. Ihm war klar, was nun kommen würde, und dabei standen sie so kurz vor dem entscheidenden Durchbruch …

„Wir sind ganz nah dran, Herr Direktor. Geben Sie uns noch eine Stunde, und wir haben den Mörder von Valerie Geiler überführt.“

„Kriminalhauptkommissar Sturni, der Erzbischof von Straßburg ist eine der wichtigsten Instanzen im Elsass, das muss ich Ihnen doch hoffentlich nicht sagen.“

Gab es nicht eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat in Frankreich, schon seit der Französischen Revolution? Sie lebten doch in einem durch und durch laizistischen Staat, meinte er sich zu erinnern … außerdem gab es einen Rechtsgrundsatz, der sie zur Ermittlung von Amts wegen verpflichtete, wenn es eine Straftat aufzuklären galt, und in diesem Fall ging es immerhin um zwei Mordfälle. Waren vor dem französischen Strafgesetz nicht auch hohe Geistliche nur einfache citoyens, Bürger?

„Ich habe eine strikte Order von ganz oben bekommen. Die Befragung der Nonnen wird sofort eingestellt! Ist das klar? Keine einzige Frage mehr an Schwester Leonore und ihre Nonnen, ansonsten haben sie disziplinarische Konsequenzen zu vergegenwärtigen!“

Disziplinarische Konsequenzen zu vergegenwärtigen … Sturni hasste den Sprech dieser Pariser Elite-Zöglinge. Es hatte keinen Sinn mehr zu widersprechen. Er musste der Anweisung Folge leisten.

Konnte man eigentlich auch einen Polizeidirektor wegen Strafvereitelung im Amt drankriegen? Oder vielleicht sogar einen Präfekten? Da würde er sich mal schlau machen müssen … Aber nein, so etwas lief ja immer nur am Telefon oder im direkten Gespräch, ohne einen schriftlichen Nachweis. Und er war dann derjenige, der den Kopf dafür hinhalten musste, wenn etwas schiefging.

„Wie Sie wünschen, Herr Direktor. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie mit dieser Weisung unter Umständen die Aufklärung eines Mordfalls verhindern. Könnte ich das bitte schriftlich haben?“

Bouget hatte bereits den Raum verlassen und die Tür hinter sich zugeknallt. Er duldete in solchen Fällen keinen Widerspruch. Dabei wäre es an ihm gewesen, Rückgrat zu beweisen, sich den Anweisungen der politischen Ebene zu widersetzen und auf ihre Pflicht, von Amts wegen zu ermitteln, hinzuweisen, wenn es der Aufklärung eines Mordfalls diente, immerhin des kapitalsten Verbrechens im französischen Strafrecht.

***

Sturni war gerade dabei, Straumann und Isinger darüber zu informieren, dass sie ihr Verhör kurz vor dem Durchbruch würden abbrechen müssen, als sein Diensthandy klingelte. Es war sein Kollege Auguste Romain, der Leiter der IT-Abteilung.

„Auf deinen Anruf habe ich gewartet. Konntet ihr die Handydaten von Oriane Jacquesson schon auswerten?“

„Du kennst mich. Wir sind die Speerspitze des Polizeipräsidiums, wenn es um Schnelligkeit, Effizienz, Präzision und Ermittlungserfolg geht!“

Auguste Romain war ein Perversling mit einem ausgeprägten Selbstbewusstsein.

„Spann mich nicht auf die Folter. Hatte Oriane Jacquesson noch mit jemandem telefoniert vor ihrem Tod? Hat sie gemailt oder sonstige Nachrichten verschickt? Jedes Detail ist wichtig für uns!“

Nachdem Bouget ihnen einen Ermittlungserfolg über die klassische Verhörmethode verwehrte, hing er wieder mal voll und ganz von seinem IT-Kollegen ab, ob es ihm passte oder nicht.

„Nur ein Telefonat am Tag vor ihrer Ermordung.“

Sturni war gespannt wie ein Flitzebogen. Mit wem hatte Oriane vor ihrem Tod telefoniert? Mit Valerie Geiler? Das würde sie nicht weiterbringen. Es war klar, dass Oriane von Valerie ermordet worden war. Doch wer war ihr Auftraggeber? Der Schattenmann, der Unverwundbare, Gottgleiche?

„Habt ihr die Nummer? Wer war der Anrufer?“

Obwohl er Auguste Romain nur am Telefon hatte, hörte er am knarzenden Geräusch, wie sich sein schwer übergewichtiger Kollege in seinem sesselartigen Bürostuhl zurücklehnte und jeden Moment des nun Folgenden genoss. Er, Auguste Romain, war es wieder einmal, der den entscheidenden Hinweis zur Überführung des Mörders gab. Das Schlimme war, dass er damit auch noch recht hatte. Ohne seine Auswertungen keine Überführung des Mörders.

„Mach es dir bequem, Sturni. Ich möchte nicht, dass du aus den Latschen kippst, wenn ich dir Name und Funktion des Anrufers durchgebe.“

Romain hatte ihn genug auf die Folter gespannt. Er sollte endlich die Katze aus dem Sack lassen.

„Bei dem Anrufer handelte es sich um niemand Geringeren als den weltlichen Vertreter des Erzbischofs der Straßburger Diözese, seine rechte Hand sozusagen!“

Der Generalvikar! Irgendwie war Sturni nicht allzu überrascht. Der Küster, der Pfarrer, Claude Wattwiller, und der Generalvikar …

Sie hatten Zugang zum Münster, auch nachts, konnten Oriane Jacquesson demnach beim Diebstahl des Gutenberg-Buches beobachtet haben. Kannte der Generalvikar etwa schon zuvor das von Oriane gelüftete Geheimnis? Sturni würde es herausfinden.

„Kannst du sein portable orten? Wo befindet sich der Anrufer gerade?“

Sturni hörte nur ein selbstgefälliges Schmatzen am anderen Ende der Leitung, dann einige schnelle Klicks auf einer Tastatur.

„Du hast Glück. Der Anrufer befindet sich nur einen Katzensprung von dir entfernt. Er ist mitten im Straßburger Münster.“

Im Münster … das passte ja zu diesem Fall.

„Merci, ich schulde euch etwas, mal wieder!“

„Mache ich doch gerne für dich!“

Sturni wollte schon auflegen …

„Eine Kleinigkeit noch, Sturni.“

„Oui?“

„Ich habe spaßeshalber auch mal mittels Geo-Tracking überprüft, wo sich Frau Jacquesson in den letzten zwei Wochen aufgehalten hat.“

Sturni biss sich auf die Unterlippe. Das hätte Romain mal besser gelassen …

„Die Nächte hat sie ja wohl meistens bei dir verbracht …. hätte ich dir gar nicht zugetraut, Alter! Respekt! Aber sag mal, wollten Margaux und du nicht demnächst heiraten?“

Merde … merde, merde, merde!!! Sturni ballte die Faust in der Tasche …

„Na ja, geht mich ja auch nichts an. Eure Kommunikation per WhatsApp und SMS behalte ich natürlich auch schön für mich. Du schuldest mir tatsächlich was, würde ich sagen …“

Vor seinem inneren Auge sah Sturni seinen Kollegen breit grinsen.

„Ich werde bei Gelegenheit darauf zurückkommen, wenn ich einmal einen Gefallen von dir benötige! Könnte früher kommen, als du denkst!“

War das eine Drohung?

„Äh, ja, okay, geht klar …“

Romain hatte aufgelegt. Die Zusammenarbeit mit ihm würde nicht einfacher werden. Immerhin hatte er die entscheidende Information erhalten. Für einen Moment überlegte er, wie er vorgehen sollte. Das Münster stürmen mit einer großen Polizeieinheit, dem Sondereinsatzkommando?

Überflüssig. Er hatte seinen Täter, der Generalvikar würde ihm nicht mehr entkommen. Den letzten Schritt würde er auch noch allein vollbringen können. Da es auf eine Minute hin oder her nicht mehr ankam, entschloss er sich dazu, der renitenten Obernonne noch eine Lektion zu erteilen, bevor er den Mörder von Valerie Geiler ins Gefängnis bringen würde. Dieses Gespräch würde ihm ein besonderes Vergnügen bereiten.

***

Er war gerade im Begriff, die Tür zum Vernehmungsraum zu öffnen, als sein Diensthandy erneut klingelte. Bouget? Was wollte der denn schon wieder? War ihm noch eine weitere Schikane eingefallen?

„Würden Sie mir bitte erklären, wie Ihre DNA-Spuren auf die Leiche von Oriane Jacquesson gekommen sind?“

Jetzt war es also doch noch rausgekommen … Wer hatte da bei Bouget gepetzt, Arbogast, Josmeyer? Hätten die neuen Kollegen nicht einfach den Dienstweg einhalten und ihn selbst mit ihrer Analyse konfrontieren können? Mais bon, die DNA-Spuren auf Orianes Leiche machten ihn natürlich selbst zum Verdächtigen. In gewisser Weise konnte er die Vorgehensweise seiner neuen Kollegen, zu denen er noch kein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte, verstehen.

Sturni seufzte nur. Er wusste, was das für ihn bedeutete …

„Das hätten Sie melden müssen, Sturni, dann hätte ich Sie natürlich sofort von dem Fall abgezogen.“

Genau deshalb hatte er es nicht gemeldet, weil er wollte, dass der Mordfall gelöst wird …

„Damit haben Sie alles nur noch schlimmer gemacht. Sie sind hochgradig tatverdächtig, das ist Ihnen doch klar, Sturni!“

Hochgradig tatverdächtig … Wer so einen Vorgesetzten hatte, benötigte keine Feinde mehr …

Sturni wusste, wer wirklich „hochgradig tatverdächtig“ war, aber es würde nichts bringen, es seinem supérieur zu erklären. Im Gegenteil, das würde alles nur noch komplizierter machen, und Bouget würde ihn wahrscheinlich sofort in U-Haft nehmen lassen, wenn er ihn über seine Absicht informierte, den Stellvertreter des Erzbischofs zu verhaften.

„Eigentlich sollte ich Sie in U-Haft nehmen lassen, bei den erdrückenden Indizien!“

Wusste er es doch, bei den „erdrückenden Indizien“ …

„Doch ich will noch einmal Gnade vor Recht walten lassen. Sie sind ab sofort vom Dienst suspendiert.“

Das war nicht das erste Mal …

„Straumann wird die Aufklärung der Mordfälle ab sofort übernehmen. Sie gehen jetzt nach Hause und warten weitere Anweisungen von mir ab, verstanden?“

Zum Glück hatte er den Mordfall soeben gelöst, sonst wäre das jetzt das Ende der Ermittlungen. Er entschloss sich dazu, keine Widerworte zu geben und den Mörder im Alleingang dingfest zu machen. War er erst einmal überführt, so würde selbst Bouget ihn nicht mehr retten können, der DNA-Test würde den ultimativen Beweis liefern … und er selbst wäre rehabilitiert.

Oui, monsieur le directeur! Toujours à votre service! – wie Sie wünschen, Herr Direktor!“

***

Schwester Leonore saß immer noch stoisch im Vernehmungsraum, als habe sie sich nicht gerührt, seit er ihn verlassen hatte. Eine Salzsäule, kontrolliert mit jeder Faser ihres Körpers.

„Wir haben die DNA-Spuren auf Valeries Leiche analysiert. Sie stammen von Jean-Michel Bott, dem Generalvikar. Der Täter ist überführt. Es macht keinen Sinn mehr zu leugnen. Die Indizienlage ist eindeutig. Er wird ins Gefängnis gehen, für den Rest seines Lebens.“

Eine Überführung mittels DNA-Analyse schien ihm hieb und stichfester als der bloße Nachweis eines Telefonats. Der noch durchzuführende DNA-Abgleich würde das gewünschte Ergebnis erbringen, da war er sich ganz sicher.

Immer noch Schweigen bei seinem Gegenüber. Immer noch keine Regung. Nur etwas in ihrem Blick hatte sich verändert. Etwas brach in diesem Moment zusammen in Schwester Leonore.

Sturni setzte sich ihr gegenüber und blickte ihr ruhig in die Augen, sah zu, wie die harte, stolze Priorin Stück für Stück in sich zusammensackte. Eine Fassade, die sie über Jahrzehnte aufrechterhalten hatte, eine Weltanschauung, eine Religion, von der sie tief in ihrem Inneren längst wusste, dass sie nicht der Wahrheit entsprach, dass die Realität eine andere war in der katholischen Kirche, in ihrer Kirche, der sie ihr Leben gewidmet hatte, fiel in sich zusammen wie ein Kartenhaus.

Sie war Teil des Systems, war selbst zur Täterin geworden, indem sie Generalvikar Bott hatte gewähren lassen, mit Valerie Geiler, die sich in ihre Obhut begeben, ihr vertraut hatte. Sie hätte sie beschützen müssen, als noch Zeit dafür war. Sie hätte ihr die Erfahrung ersparen müssen, die sie selbst in jungen Jahren gemacht hatte, psychisch und physisch missbraucht zu werden von einem Geistlichen, der es inzwischen bis zum Stellvertreter des Erzbischofs gebracht hatte.

„Sie wissen ja nicht, wie das ist. Sie bekommen gesagt, all das geschehe im Namen des Herrn, sei Gottes Wille. Widerstand gegen den Willen Gottes werde im Jenseits bestraft, mit Höllenqualen. Ihr Leben lang haben Sie geglaubt, inbrünstig geglaubt, an das Wort Gottes, an seinen Vertreter auf Erden, den Papst, und die Seinen, die hohen Würdenträger. Dann werden Sie selbst missbraucht, als junge Nonne, immer und immer wieder. Sie werden zum Stillschweigen verpflichtet, es sei der Wille Gottes, dem man sich fügen müsse. Sie fragen sich, wie so etwas vereinbar sein soll mit der Heiligen Schrift, wie Gott einem solche Schmerzen, solche Seelenqualen zufügen könne, er, der Barmherzige. Und dennoch wehren Sie sich nicht, der Gehorsam, die strenge Hierarchie, Ihr Glaube verbietet es Ihnen. Irgendwann hören Sie auf, innerlich zu rebellieren, fügen sich, machen mit, übernehmen Verantwortung, werden selbst zur Täterin. Ich hätte es verhindern, hätte Valerie Geiler beschützen können. Doch mir fehlte die Kraft dazu. Er hat mich gebrochen, schon vor vielen Jahren, und mir fehlte der Mut, Valerie Geiler zu bewahren vor dem, was er mir selbst einmal angetan hat.“

Nein, Commissaire Sturni wusste nicht, wie das ist. Er wusste nur, dass sein zweites Kind nicht getauft werden würde, mochten Clothilde, Margaux, oder wer auch immer sich auf den Kopf stellen.

Langsam kullerten die Tränen über ihre Wangen, ihre Mimik und Körperhaltung blieben auch weiterhin wie versteinert. Leonore Meyer war am Ende, eine gebrochene Frau, schon seit ihrer Jugend, gebrochen von einem Mann, der sich für unantastbar – gottgleich – hielt und den er nun dingfest machen und für den Rest seines Lebens hinter Gitter bringen würde. Mit Schwester Leonore würde er sich noch einmal befassen müssen, wenn alles vorüber war. Sie war nur eine Randfigur, eigentlich schon genug gestraft, doch auch sie würde sich vor der Justiz verantworten müssen.

„Die Befragung ist beendet. Sie und Ihre Nonnen können gehen, zurück in Ihr Kloster.“

Wieder keine Regung seitens der Priorin, außer den stummen Tränen, die nun in Strömen über ihre Wangen flossen.

Leise verließ Sturni das Zimmer. Er wies Straumann und Isinger an, alle Nonnen nach Hause zu schicken, begleitet von einer Polizeieskorte. Seine Suspendierung vom Dienst verschwieg er seinen beiden Inspektoren vorerst. Er würde sie noch brauchen, später. Den nächsten Schritt würde er allein gehen. An der Lösung des Falls würde Bouget ihn nicht mehr hindern können.

Fortsetzung folgt…

Stefan Böhm

Straßburger Glaubensbekenntnis
Kommissar Sturnis dritter Fall

Originalausgabe
1. Auflage
© 2020 Stefan Böhm
Taschenbuch-ISBN: 978-3-969-66410-0
Umschlagsgestaltung und Satz:
Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)
Lektorat: Martin Villinger
Korrektorat: Bücherschmiede (www.buecherschmiede.net)
Bestellung und Vertrieb: Nova MD GmbH, Vachendorf
Druck und Bindung:
Sowa Sp. z o.o.
ul. Raszyńska 13
05-500 Piaseczno
Polen

Alle Rechte vorbehalten. Alle Figuren und deren Biografien sind erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Straßburger Glaubensbekenntnis“ erscheint demnächst als Taschenbuch und ist bereits jetzt als E-Book erhältlich!

Seit dem 21. Dezember – die „Straßburger Geheimnisse“ auch als Taschenbuch! Bestellen kann man’s hier!

Straßburger Geheimnisse – Kommissar Sturnis erster Fall“ finden Sie beispielsweise hier!

Pariser Enthüllungen – Kommissar Sturnis zweiter Fall“ finden Sie, wie immer Amazon-frei, hier!

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste