Der „Literarische Adventskalender“ (31)

Autor Stefan Böhm und Eurojournalist(e) präsentieren: „Straßburger Glaubensbekenntnis - Kommissar Sturnis dritter Fall“. Heute: Kapitel 31 – „Tout est bien qui finit bien…“

Auch bei Pressekonferenzen gibt es strenge Hackordnungen... Foto: © Raimond Spekking / CC-BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

(Red) – Dieses Jahr dauert die Adventszeit bei uns etwas länger… und deshalb läuft jetzt noch unser „Literarischer Adventskalender“ von Stefan Böhm. Die gute Nachricht – das Buch endet erst Anfang Januar; bis dahin kommen Sie weiter täglich in den Genuss eines neuen Kapitels! Und heute, mit einem Titel „en français dans le texte“…

Kapitel 31 – Tout est bien qui finit bien

Journalisten aus der ganzen Welt waren zu diesem denkwürdigen Ereignis angereist. Sturni hatte es sich in den hinteren Reihen bequem gemacht. Nur für diesen Anlass hatte man den größten Saal im Palais Rohan, direkt gegenüber vom Münster, zum Presseraum umfunktioniert. Er platzte aus allen Nähten.

Hoffentlich würde die Pressekonferenz rechtzeitig beginnen. Er hatte einen wichtigen Anschlusstermin …

Auf die Minute pünktlich betraten die neue korsische Präfektin, die Oberbürgermeisterin von Straßburg und Direktor Bouget den umfunktionierten Presseraum. Der Erzbischof hatte sich entschuldigen lassen, er habe gesundheitliche Probleme…

Begleitet wurden sie von einer renommierten Kunsthistorikerin der Fondation de l’Œuvre Notre-Dame, ein akademisches Backup war immer hilfreich bei solchen Terminen. Ihr Kollege, der den Termin bestimmt auch gerne wahrgenommen hätte, Claude Watt-will-er, war leider gerade unabkömmlich … Er hatte sich vor der Strafjustiz zu verantworten.

Den hochgestellten Persönlichkeiten konnte man förmlich ansehen, dass sie vor Stolz fast platzten. Auf einem gesonderten Tischchen stand, von Panzerglas umgeben und von zwei bewaffneten Uniformierten bewacht, das erste mit beweglichen Lettern gedruckte Buch der Welt.

Zu gern hätte Bouget hier das Regiment übernommen, doch er spielte nur die dritte Geige, musste die Bühne der Präfektin und der Oberbürgermeisterin überlassen.

„Heute ist ein denkwürdiger Tag für die Stadt Straßburg. Die Geschichte des Buchdrucks wird umgeschrieben werden müssen. Nicht in Mainz hat Johannes Gutenberg den Buchdruck erfunden, sondern in Straßburg!“

Allgemeines Raunen der regionalen, nationalen und internationalen Presse. Nur einem neben Sturni sitzenden distinguierten, älteren Herrn schien die Aussage körperliche Schmerzen zu bereiten. Jedenfalls krümmte er sich zusammen, als habe ihn ein plötzlicher Magenkrampf erfasst.

„Den Beweis dafür sehen Sie direkt vor sich.“

Die Oberbürgermeisterin zeigte auf den Glaskasten, in dem das wertvolle Buch aufgeschlagen auf einer Spezialvorrichtung ruhte.

„Wir haben mehrere renommierte Wissenschaftler aus der ganzen Welt mit der Prüfung der Echtheit dieses Buchs beauftragt. Die Gutachten liegen vor und alle Wissenschaftler kommen zum gleichen Ergebnis: Vor sich sehen Sie das erste von Johannes Gutenberg im Jahr 1444 in Straßburg gedruckte Buch der Welt!“

Lauter Applaus brandete auf. Viele Journalisten waren so begeistert, dass sie sich von ihren Sitzen erhoben und laut klatschten.

Bei seinen eigenen Pressekonferenzen hatte er so etwas noch nie erlebt. Nun ja, da handelte es sich auch um irgendwelche auf grausame Art und Weise aus dem Leben geschiedene Mordopfer, das konnte man schlecht vergleichen. Meistens klärte er das Wissenswerte direkt mit der für Kriminalfälle zuständigen Journalistin der Dernières Nouvelles d’Alsace.

Nur Sturnis Nebensitzer erhob sich nicht, sank vielmehr auf seinem Stuhl zusammen wie ein Häuflein Elend. Auf seinem Namensschildchen konnte er lesen, dass es sich um den Direktor des Gutenberg-Museums der Stadt Mainz handelte … Ja, das war natürlich dumm gelaufen … für Mainz. Sturni klopfte ihm mitfühlend auf die Schulter.

„Dank der erfolgreichen Ermittlungsarbeit unseres Polizeipräsidiums, gestützt auf modernste digitale Ermittlungsmethoden, konnten wir im Zusammenhang mit der Aufklärung zweier Mordfälle das kostbare Buch sicherstellen, dessen Existenz der Fachwelt bislang gänzlich unbekannt war. Für die hervorragende Arbeit möchte ich unserem Polizeipräsidenten, Herrn Alain Bouget, an dieser Stelle ausdrücklich danken.“

Bouget strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Als hätte sein Direktor mit der Aufklärung der Fälle auch nur das Geringste zu tun gehabt… Bouget erhob sich und wollte zu längeren Ausführungen ansetzen, wurde aber von der Präfektin mehr oder weniger sanft in seinen Sitz zurückgeschoben.

Auch hier galt eine strenge Hackordnung. Die Nummer war zu groß, als dass die Damen Bouget ein Stück vom Kuchen hätten abgeben wollen. Bouget versank mit hochrotem Kopf auf seinem Stuhl. Eine neue Zeit brach an, auch für Direktor Bouget. Die korsische Präfektin ließ keinen Zweifel aufkommen, wer hier den Ton angab. Natürlich wurde er selbst mit keinem Wort erwähnt, doch hatte er auch nichts anderes erwartet. Sturni lehnte sich auf seinem Stuhl zurück und lächelte zufrieden. Eigentlich war doch alles ganz gut ausgegangen, mal wieder.

Auf den Inhalt des Buches, dessen Geschichte und die Rolle der katholischen Kirche dabei, ging niemand weiter ein. Was im Moment zählte, war der Sensationsfund, der sich zu einem neuen Touristenmagneten in Stadt und Region entwickeln würde, nur darum ging es.

Die Rolle der Kirche würde jedoch demnächst genauer beleuchtet werden. Olivia stand kurz vor der Fertigstellung ihrer Abhandlung, in der sie die Entstehungsgeschichte des Buches in einen neuen historischen Kontext setzen würde. Nicht nur die Geschichte des Buchdrucks, auch die Kirchengeschichte des ausgehenden Mittelalters würde danach in einem anderen Licht erscheinen.

Straßburg würde in Kürze noch eine weitere Touristenattraktion erhalten, aus dem frühen Mittelalter. Olivia war auch dem Geheimnis der Mordwaffe auf den Grund gegangen. Durch aufwendige Analysen konnte sie feststellen, dass es sich dabei höchstwahrscheinlich um ein Kreuz aus dem Reliquienschatz des heiligen Arbogast von Straßburg handelte, der seit Mitte des 15. Jahrhunderts als gestohlen und verschollen galt.

Das Buch war nicht das einzige Geheimnis, das über Jahrhunderte von den Generalvikaren gehütet wurde. Nach stundenlangem Verhör gestand der Verwaltungsleiter der Diözese, dass die Gebeine des heiligen Arbogast tief unter der Krypta des Münsters gelagert wurden. Das Kreuz als Teil des Reliquienschatzes wurde ebenfalls von Generalvikar zu Generalvikar weitergegeben, um es eines Tages als Waffe gegen die Feinde der Kirche einzusetzen, wenn sie angegriffen werde.

Mit Orianes Diebstahl des Gutenberg-Buches hielt des Erzbischofs Stellvertreter diesen Zeitpunkt für gekommen und brachte es zum Einsatz, ließ es vielmehr zum Einsatz bringen, von Valerie Geiler.

Es war die eigene Überheblichkeit, die den Generalvikar zu Fall gebracht hatte. Verblendet von religiösem Eifer hielt er sich immer noch für unschuldig, vertrat die Auffassung, im höheren Auftrag für eine gute Sache gehandelt, die Interessen der Kirche verteidigt zu haben. Er zeigte keinerlei Reue, schien nicht verstehen zu wollen, dass er schwere Straftaten begangen hatte, die ihn vermutlich für den Rest seines Lebens hinter Gitter bringen würden. Diesen Mangel an Einsichtsfähigkeit in begangenes Unrecht hatten sie im Präsidium bei Geistlichen auch schon im Zusammenhang mit anderen Straftaten erlebt, mit Missbrauch … Er dachte an den Film, den er gemeinsam mit Margaux im Kino angesehen hatte. In diesem Fall hatte die gestörte Geisteshaltung des hochrangigen Vertreters der katholischen Kirche zwei junge Frauen das Leben gekostet.

***

   „Ich darf Ihnen hiermit ankündigen, dass wir hier, an dieser Stelle, im Palais Rohan, ein eigenes Museum zu Ehren des berühmtesten ehemaligen Bewohners der Stadt einrichten werden, in dem das von nun an wertvollste Buch der Welt ausgestellt werden wird.“

Des berühmtesten Bewohners der Stadt … Johann Wolfgang von Goethe, Madame Tussaud, Tomi Ungerer und Arsène Wenger mussten also künftig mit der zweiten Reihe Vorlieb nehmen … Bescheiden war die ebenfalls neue Oberbürgermeisterin jedenfalls nicht.

Sturni erhob sich leise von seinem Sitz und verließ den Raum. Das hier lief auch ohne ihn. Er hatte Wichtigeres zu tun …

Fortsetzung folgt…

Stefan Böhm

Straßburger Glaubensbekenntnis
Kommissar Sturnis dritter Fall

Originalausgabe
1. Auflage
© 2020 Stefan Böhm
Taschenbuch-ISBN: 978-3-969-66410-0
Umschlagsgestaltung und Satz:
Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)
Lektorat: Martin Villinger
Korrektorat: Bücherschmiede (www.buecherschmiede.net)
Bestellung und Vertrieb: Nova MD GmbH, Vachendorf
Druck und Bindung:
Sowa Sp. z o.o.
ul. Raszyńska 13
05-500 Piaseczno
Polen

Alle Rechte vorbehalten. Alle Figuren und deren Biografien sind erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

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