Der „Literarische Adventskalender“ (32)

Autor Stefan Böhm und Eurojournalist(e) präsentieren: „Straßburger Glaubensbekenntnis - Kommissar Sturnis dritter Fall“. Heute: Kapitel 32 – „Hochzeit“

Hier heiratet man in Strasbourg - im Hôtel de Ville ! Foto: Mister No / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(Red) – Dieses Jahr dauert die Adventszeit bei uns etwas länger… und deshalb läuft jetzt noch unser „Literarischer Adventskalender“ von Stefan Böhm. ? Aber nicht mehr lange…

Kapitel 32 – Hochzeit

Exakt eine Minute vor elf Uhr kam er an der Place Broglie vor dem Hôtel de Ville, dem Rathaus der Stadt, an. Die gesamte Hochzeitsgesellschaft wartete schon auf das Brautpaar. Nur Margaux fehlte noch. Diesmal war er ausnahmsweise pünktlicher als sie. Sie würde ihn doch nicht etwa sitzen lassen, am Tag der Hochzeit? So wie er sich ihr gegenüber während der Ermittlungen verhalten hatte, würde es ihn nicht wundern …

An den Treppenstufen, die zum Rathaus hinaufführten, stand ein älteres Ehepaar, in traditioneller elsässischer Tracht. Eigentlich hatte er nur seine eigene Mutter in so einem Aufzug erwartet. Das mussten seine Schwiegereltern sein. Zut – Mist –, er hätte das von Margaux geplante Treffen zum Kennenlernen vorab nicht verpassen sollen. Die Hochzeitsfeier war kein guter Beginn zum Knüpfen familiärer Bande. Nun war es zu spät. Sturni versuchte, sich von seiner Schokoladenseite zu zeigen und begrüßte die beiden freundlich.

„Daer will ich nit!“

Sein angehender Schwiegervater verschränkte die Arme und verweigerte ihm den Handschlag. Hatte er gerade richtig gehört? Er wollte ihn nicht, als Schwiegersohn? Weshalb das denn? Er wollte ihn ja auch nicht, allenfalls seine Tochter. Das konnte ja heiter werden …

Zum Glück ließ Margaux ihn nicht vor versammelter Hochzeitsgesellschaft – und mit feindselig gestimmten Schwiegereltern – sitzen. Punkt Elf kam sie um die Ecke gebogen, mit Jean im Arm.

Hand in Hand gingen sie die Treppe zum Rathaus hinauf, um sich im Festsaal des Rathauses das Jawort zu geben.

Cédric Zeller war als sein Trauzeuge aus Brüssel angereist. Die Oberbürgermeisterin konnte die Trauung leider nicht persönlich vornehmen, sie hatte gerade andere Prioritäten, und so mussten sie mit einem adjoint au maire vorlieb nehmen …

Sturni freute sich, dass seine Ex-Frau Caroline mit ihrem neuen Mann, Christian, und dessen Halbschwester mit dabei waren. Mit Jean war die Patchwork Familie endgültig komplett. Auch Mama Clothilde und sein Bruder samt Familie aus Ribeauvillé waren mit von der Partie.

Er hoffte inständig, dass Margaux besser mit seinem Lebensstil zurechtkam als Caroline damals. Er war nun einmal Mordermittler mit Leib und Seele, daran konnte und wollte er auch in Zukunft nichts ändern. Margaux würde ihn so nehmen müssen, wie er eben war. Es schien ihr bewusst zu sein. Zumindest machte sie ihm keine Vorhaltungen, dass er sie während der letzten Tage mit Umzug, anstehender Hochzeit und Geburt vernachlässigt hatte.

Sturni hatte kein Recht, sich über das Verhalten seiner Schwiegereltern zu beschweren. Er dachte an das gemeinsame Wochenende, das er mit Clothilde, Margaux und Christian in Paris verbracht hatte, ein Fiasko sondergleichen. Margaux war leidensfähig in familiären Dingen, das musste er ihr lassen. Er hätte damals an ihrer Stelle schon längst das Weite gesucht. Nun schien er derjenige zu sein, der auf die Probe gestellt wurde. Mit seinen Schwiegereltern würde er keinen Spaß haben, das sah man auf den ersten Blick.

***

Als sie mit der Hochzeitsgesellschaft das Rathaus wieder verließen, warteten zu seiner Überraschung einige Kollegen der police municipale auf ihn. Damit hatte er nicht gerechnet. So eng waren sie eigentlich nicht, und er hatte sie auch nicht eingeladen.

„Sturni, wir haben noch ein kleines Hochzeitsgeschenk für dich. Vermisst du nicht etwas?“

Sie drückten ihm seine trotinette in die Hand, die sie mit einer dicken Schleife umwickelt hatten. Sein geliebter Roller war also gar nicht geklaut, sondern nur von den Kollegen in Gewahrsam genommen worden, weil er im Halteverbot stand. In Straßburg war die Welt eben doch noch in Ordnung…

„Freu dich nicht zu früh, Sturni. Die offizielle Untersagung zum Betrieb deines Scénic in der Innenstadt geht dir morgen mit der Post zu. Wir wollten dir heute nicht den Tag verderben.“

Die kleine Einlage sorgte für großes Gelächter bei der Hochzeitsgesellschaft. Zum Dank lud Sturni die Kollegen noch mit zum Apero ins Café Atlantico ein, auf das Schiff, das direkt gegenüber seiner alten Wohnung auf der Ill lag. Natürlich gab es dort eine Runde Juliette Bier aus Uberach für alle, dazu planchettes mit charcuterie und regionalem Käse – diesmal ohne Munster –, sehr zum Bedauern von Inspektor Straumann, der die sportliche Einlage auf dem Münster inzwischen gut verwunden hatte.

***

Reichlich angeschickert begab sich die Hochzeitsgesellschaft im Anschluss zu Fuß in die Corde à Linge an der Petite France. Margaux wollte die abendliche Feier gemütlich, in einem möglichst informellen Rahmen halten, da war die Corde à Linge genau die richtige Lokalität. Der engste Familienkreis versammelte sich wie selbstverständlich am Tisch um das Brautpaar, obwohl Margaux bewusst auf das Placement verzichtet hatte. Margaux musste sich also mit Clothilde arrangieren, obwohl sie seit ihrem gemeinsamen Paris Abenteuer kein Wort mehr miteinander gewechselt hatten, und Sturni bekam ebenfalls eine volle Breitseite seiner neuen Verwandtschaft zu spüren.

Mitten im Raum war ein leckeres Buffet für die Hochzeitsgäste angerichtet worden. Abgetrennt von einer Glaswand gab es auf der anderen Seite einen kleinen Tisch für die Hochzeitsgeschenke. Rund um Buffet und Gabentisch nahmen die Hochzeitsgäste Platz.

Üblich war, dass die Gäste ihre Hochzeitsgeschenke ohne viel Aufhebens auf den Gabentisch legten. Freunde und Verwandte, die ein paar Worte zu ihren Geschenken verlieren wollten, konnten das Brautpaar an den Tisch bitten und ihr Geschenk persönlich überreichen. Zumindest war es von Margaux so geplant gewesen. Doch da hatte sie die Rechnung ohne ihren Vater gemacht.

Noch vor der offiziellen Begrüßung und der Rede des Brautvaters stellte er sich wie ein Wachhund neben den Gabentisch und nahm die Geschenke persönlich in Empfang. Das war nicht mit Sturni abgestimmt, wie auch, er sah seinen Schwiegervater heute zum ersten Mal. Und er hatte Angst gehabt, dass seine Mutter Clothilde sich bei der Feier daneben benehmen würde …

Ein kurzer Augenkontakt mit Margaux reichte aus, um abzustimmen, dass auch sie keine Ahnung davon hatte, was ihr Schwiegervater im Schilde führte.

Das war kein elsässischer Brauch, zumindest nicht im Haut-Rhin, dem südlichen Elsass, aus dem er stammte. Kein Wunder, dass die Bewohner des Haut-Rhin bis heute mit Argwohn auf die Nachbarn des Bas-Rhin, zu dem auch Straßburg zählte, blickten.

„Wo vill isch, will vill anna.“

Sein Schwiegervater inspizierte jedes Geschenk und kommentierte es eingehend. Schon im Café Atlantico hatte er dem Juliette ausgiebig zugesprochen und anschließend die erste Flasche Riesling geköpft, kaum, dass er die Corde à Linge betreten hatte. Umschläge mit Geld konnten von den Gästen nicht diskret auf dem Geschenktisch platziert werden, sondern wurden vom Schwiegervater persönlich in Empfang genommen und umgehend geöffnet.

„Wer güat schmîrt, fährt güat!“

Wurde der gespendete Geldbetrag vom Schwiegervater nicht für ausreichend erachtet, stellte er die Schenkenden vor der versammelten Hochzeitsgesellschaft bloß und forderte weitere Scheine ein. Besonders hart wurden Sturnis Freunde und Verwandte ins Gebet genommen, während die eigene Sippschaft des Schwiegervaters verschont wurde …

„Gìschs’m gschwind, schùnsch wùrsch gstrooft!“

Sturni versank fast im Boden vor Scham. Auch Maman Clothilde saß mit hochrotem Kopf neben ihm und fragte so laut, dass Margaux es hören musste, wie er sich nur eine Braut aus dem Bas-Rhin nehmen konnte. Es sei doch allgemein bekannt, dass das noch nie gutgegangen sei. Sie passten einfach nicht zusammen, Haut-Rhin und Bas-Rhin, Gebietsreform hin oder her …

Als sie den Gegenschwieger dabei ertappte, wie er einen der zusätzlich eingeforderten Geldscheine nicht in das Couvert steckte, sondern klammheimlich in seine Hostentasche wandern ließ, platzte ihr der Kragen. Hätte sie einen Regenschirm zur Hand gehabt, dann hätte sie der neuen Verwandtschaft eins damit übergebraten. Die Technik hatte ihr ja schon auf dem Eiffelturm gegenüber den renitenten Asiaten gute Dienste erwiesen. Nun sollte ihre Handtasche dafür herhalten. In letzter Sekunde erwischte Sturni den Rockzipfel ihres Kleides und zog seine Mutter zurück an ihren Platz. Um die Situation zu retten, erhob er sich, titschte mit seinem Messer gegen sein Crémant-Glas, das Zeichen, dass er eine kurze Begrüßungsrede halten wolle.

Seine spontane und – typisch für Sturni – nicht vorab einstudierte Rede wurde allerdings immer wieder vom lautstarken Dialog der Schwiegereltern – der Brautvater hatte sich wieder an seinen Platz bemüßigt – unterbrochen.

„Ich wìll ebbs essa!“

Seine belle-mère – seine Schwiegermutter – versuchte mäßigend auf ihren Gatten einzuwirken.

„Wenn da nìt so vill gattsch trìnka.“

Der wiederum befasste sich nun ebenfalls mit dem Thema, wer denn nun die wahren Elsässer seien, die aus dem Haut- oder dem Bas-Rhin …

„Wer mìt’ma Elsaess’rin zammakùmma wìll, müass friaj ùfstehn!“

Entnervt gab Sturni auf. Den ersten Ausbruch häuslicher Gewalt innerhalb der Großfamilie hatte er zu verhindern gewusst, immerhin … Er beschloss, den Dingen nun seinen Lauf zu lassen, komme was wolle, hob sein Glas und leerte es in einem Zug.

Nun sah sein Schwiegervater seinen großen Moment gekommen, erhob sich schwerfällig und stimmte zur Rede des Brautvaters auf seine wohlgeratene Tochter an:

„Si ka bücha, sie ka bacha, sie ka kleini Kìnd’r macha. So-n-a Wîwala müass m’r ha, wo alles schaffa ka!“

Sturni blickte Margaux an, die nun ihrerseits mit hochrotem Kopf dasaß und gerne im Boden versunken wäre. Die Eltern der Braut heiratest du immer mit, hatte Cédric Zeller ihm noch spaßhaft zugeflüstert, bevor er seine Zustimmung zum Jawort des Brautpaars gab. Wie recht er doch hatte … Dann mussten die frisch Vermählten lächeln. Sie hatten gemeinsam schon so viel durchgestanden, sie würden auch diesen Abend überleben.

Nach der Rede des Brautvaters wurde das Buffet eröffnet und Margaux und Sturni nutzten die Gelegenheit, sich davonzustehlen. Clothilde würde so lange auf Jean – Johann Sturni – achtgeben wie auf ihren Augapfel. Die Gegenschwieger bekamen ihn jedenfalls nicht …

Am Wehr neben der Ill genossen sie für einen kurzen Moment die letzten Sonnenstrahlen eines ereignisreichen Tages. Sturni zündete sich eine filterlose Gauloises an und inhalierte tief.

Hatte er die letzten Tage etwa das Rauchen vergessen? Er erinnerte sich nicht. Alles änderte sich. Sturni nahm es als ein gutes Zeichen und umarmte seine Frau, zum ersten Mal an diesem Tag.

Fortsetzung folgt…

Stefan Böhm

Straßburger Glaubensbekenntnis
Kommissar Sturnis dritter Fall

Originalausgabe
1. Auflage
© 2020 Stefan Böhm
Taschenbuch-ISBN: 978-3-969-66410-0
Umschlagsgestaltung und Satz:
Sarah Schemske (www.buecherschmiede.net)
Lektorat: Martin Villinger
Korrektorat: Bücherschmiede (www.buecherschmiede.net)
Bestellung und Vertrieb: Nova MD GmbH, Vachendorf
Druck und Bindung:
Sowa Sp. z o.o.
ul. Raszyńska 13
05-500 Piaseczno
Polen

Alle Rechte vorbehalten. Alle Figuren und deren Biografien sind erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Straßburger Glaubensbekenntnis“ erscheint demnächst als Taschenbuch und ist bereits jetzt als E-Book erhältlich!

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