Der Mensch ist eine Plastikflasche – moderne Kunst in Straßburg

Straßburg versucht sich auf dem internationalen Spielfeld der modernen Kunst als Marke zu etablieren. Nicht nur das überdimensionierte Museum für modernen Kunst MAMCS gehört zu den Leistungsträgern, sondern die vielen kleinen Galerien und Kunstinitiativen – und ihre Besucher!

Picture of an exhibition... Foto: Appolonia european arts exchange - Stephen Wilks

(Von Michael Magercord) – Es kann schon ziemlich herausfordernd sein, nichts zu tun. Einfach nur zu gucken. Einfach so zu schauen. Klingt, als wäre das ganz leicht. Ist aber nicht, weil man, kaum schaut man, schon an irgendwas denkt – und damit doch was macht. „Machen“ aber eben im Sinne von nichts tun.

Worum geht’s? Um Kunst, beziehungsweise den Konsum davon. Genauer: von zeitgenössischer Kunst, beziehungsweise das bloße Beschauen davon. Diese Kunst verfolgt uns heutzutage überall hin. Jedenfalls die Vorstellung, alles sei nur noch Kunst. Jedes quer irgendwo etwas schräg in der Gegend postierte Objekt könnte ein absichtlich dorthin drapiertes Werk sein. Ganz schön anstrengend geworden, Kunst von künstlich zu scheiden.

Besser, man geht gleich dorthin, wo Kunst hingehört. In die Galerie oder einen dafür bestimmten Ausstellungsort. Da weiß man ja zumindest, dass es sich wirklich um bloße Kunst handelt, was da zur Beschauung ansteht. Und dort geschieht es dann, dass man was denkt. Und dann gleich wieder was anderes, sobald ein weiteres Objekt unsere Aufmerksamkeit fordert. Und dann muss man das gerade Gedachte vom eben noch Gedachten scheiden, weil genau das das Denken ist – hat jedenfalls schon Plotin 200 Jahre nach Christi rausgefunden. Der sagt auch, dass schauen ohne zu denken gar nicht geht. Jedenfalls solange man zwischen Objekt und Subjekt scheidet. Was man aber muss, wenn man was erkennen will. Denn er nur so schaut, erkennt nichts.

Das klingt alles ganz schön anstrengend, anstrengender jedenfalls, als Kunst zu machen. Und kreativer allemal. Mindestens genauso wichtig jedenfalls. Denn niemals könnte zum Beispiel die Kunstinitiative „Syndicat Potentiel“ an diesem Donnerstag sein 25-jähriges Bestehen feiern, wenn niemand gekommen wäre, um sich die dann doch oft etwas verwirrenden Werke zu beschauen.

Und niemals wäre erst vor wenigen Jahren so etwas wie das Kunstzentrum „Apollonia“ in Robertsau entstanden, worin derzeit das ziemlich aufwendige Werk des in Berlin lebenden Briten Stephen Wilks zu sehen ist: neunhundert Plastikflaschen aus Keramik, die einen Fluss bilden. Deren Herstellung dauerte ein Jahr, sie anzusehen ein paar Minuten, die aber wie eine Ewigkeit erscheinen können. Denn was sagt uns das, wenn es zu Ende denkt? Der Mensch ist eine Plastikflasche: ein Massenprodukt, das – vom Leben individuell deformiert in den Fluss der Zeit gestellt – als Keramiknachbildung noch als Skulptur taugt. Na dann danke schön Herr Künstler, dass Sie mich auf diesen ach so erhabenen Gedanken gebracht haben.

Also dann doch lieber ein paar simple Fotos mit Stadtansichten? Etwa die gerade nicht mehr aktuellen Ansichten von Frank Lei aus dem untergehenden alten Macao, das schon bald nur noch betrachten kann, wer sich seine Fotografien anschaut, die im Rahmen der „Strasbourg photografie“ im ersten Stock des „Café Mandala“ zu sehen sind. Oder die von Fred Stein im „La Chambre“ aus dem New York der 1930er Jahre, das im Gegenteil irgendwie zeitlos in der Welt verbleibt. Aber selbst das hält einen nicht vom Denken ab, denn was ist er denn nun, der Strom der Zeit?

Und dann kommt auch noch das: das übernächste Wochenende wurde in Straßburg zum Wochenende der modernen Kunst erklärt. Fast alle Galerien und Ausstellungsorte machen da mit und die Künstler erwarten unseren Besuch. Ja, unsere Beschauung, unser Denkvermögen, unsere Kreativität, unser Nichtstun werden da abverlangt, kurz: unser Innerstes und Äußerstes.

Kunsttermine in Straßburg:

DO, 9. März: 25 Jahre Syndicat Potentiel
Vernissage und Feier ab 18 Uhr
13 rue des couples
www.syndicatpotentiel.org

DO 9. bis 18. März im HEAR La Chaufferie:
festival pour un temps sismique
www.festivalsismique.hear.fr

17. – 19. März
Wochenende der zeitgenössischen Kunst im Elsass
https://versantest.org/

17. März im CEAAC
Doppelvernissage ab 18.30 Uhr
www.ceaac.org

noch bis 26. März in der Galerie Bertrand Gillig:
Iranische Kunst
www.bertrandgillig.fr

seit 1. bis 30. März: Strasbourg photografie
Ausstellung an unterschiedlichen Orten in der ganzen Stadt
www.strasbourg-artphotografy.fr

noch bis 16. April im La Chambre:
Fred Stein, Dokumentarfotografie der 30er und 40er Jahre
www.la-chambre.org

noch bis 31. Mai im Apollonia: Philoxénie
Wilks, Seiple, Bürkle, Kollektiv KUNSTrePUBLIK, Berlin
www.apollonia-art-exchanges.com/fr/

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