Der (nicht ganz so) neue Antisemitismus in Europa

Wenn die Zeiten härter werden, braucht Europa immer wieder Sündenböcke. Wie üblich, trifft es wieder einmal die jüdische Bevölkerung.

Das ist alles, was vom Mahnmal für die Opfer der Shoah in Sarre-Union übrig blieb. Foto: Claude Truong-Ngoc / Eurojournalist(e)

(KL) – So gut gemeint es war, die Botschaft, die Bundeskanzlerin Angela Merkel an die jüdischen Mitbürger aussandte, ist beunruhigend. Wie weit ist es denn schon wieder gekommen, wenn eine deutsche Bundeskanzlerin folgende Worte sagen muss: „Die Bundesregierung wird alles dafür tun, dass die Sicherheit jüdischer Bürger und deren Einrichtungen gewährleistet wird. Wir sind froh und auch dankbar, dass es wieder jüdisches Leben in Deutschland gibt.“ Das ist hoch anständig und gleichzeitig eine Art Bestätigung, dass die Sicherheit der jüdischen Mitbürger in Deutschland ebenso wenig gewährleistet ist wie in Paris oder Kopenhagen.

Dabei waren die Attentate in Paris und Kopenhagen nur die „Spitze des Eisbergs“. Bereits zuvor gab es eine Welle antisemitischer Anschläge in verschiedenen europäischen Ländern und es ist nicht nachvollziehbar, wieso sich der Antisemitismus so hartnäckig in Europa hält. Es ist kein Zufall, dass es sowohl in Paris wie in Kopenhagen nach den ersten Anschlägen („Charlie Hebdo“ und „Kulturcafé“) direkte Folgetaten gab – die sich offen und direkt gegen die jüdische Gemeinschaft richteten.

In die gleiche Kategorie fällt die Verwüstung des jüdischen Friedhofs in Sarre-Union im Nordwest-Elsass. Einer der ältesten und schönsten jüdischen Friedhöfe des Elsass wurde offenbar von fünf Jugendlichen zerstört, doch sollte man das nicht als „Jugendstreich“ abtun, sondern sich fragen, woher Jugendliche diesen Hass und diese Gleichgültigkeit gegenüber anderen Kulturen und Religionen haben. Die Profanation von Kultstätten gehört zum Miesesten, was man machen kann – es ist die Negierung einer ganzen Kultur. Eigentlich hatten wir gedacht, dass wir in Europa dieses Stadium nach dem Schrecken des letzten Jahrhunderts überwunden hätten.

Doch gar nichts ist überwunden. Die Gesellschaften Europas verfallen wieder und wieder in die gleichen Reflexe. Angespannte Wirtschaftlage, unstabile politische Lage, Zukunftsängste und eventuell eine verschlechterte persönliche Situation – und schon rufen wir in Europa (und anderswo) nach dem „starken Mann“, der sich in der Regel dadurch profiliert, dass er den Hass und die Angst der Menschen auf eine Minderheit kanalisiert. In Europa trifft es dann seit Jahrhunderten immer wieder die Juden. Momentan, und das ist paradox, trifft es allerdings genauso die Moslems – kurz, alles, was fremd wirkt und den deutschen Michel und seine Kollegen in anderen Ländern beunruhigt.

Angela Merkel sagte zwar trotzig, „Wir möchten gerne mit den Juden, die heute in Deutschland sind, weiter gut zusammenleben“, doch wie gut ist ein Zusammenleben, wenn jüdische Schulen, Kindergärten und andere Einrichtungen von schwer bewaffneten Soldaten oder Polizisten geschützt werden müssen, wenn sich die schrecklichsten Angriffe und Attentate mehren und eine Stimmung entsteht, wie wir sie in Deutschland in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts bereits einmal erlebt haben?

Der israelische Premierminister Benjamin Netanyaju hat nicht Unrecht, wenn er sagt: „Juden wurden auf europäischem Boden ermordet, nur weil sie Juden waren“ – und die europäischen Juden einlädt, nach Israel auszuwandern.

Gefordert sind nun wir alle – sämtliche gesellschaftlichen Kräfte, von Schulen über Vereine bis zu den großen Glaubensgemeinschaften. Die Bekräftigung, die übrigens in Frankreich auch Präsident Hollande und Premierminister Valls ähnlich formulierten wie die Bundeskanzlerin, ist richtig und wichtig, doch müssen jetzt viele, viele Taten folgen. Toleranz und der Wille zum friedlichen Miteinander ist nichts, was per Dekret umgesetzt werden kann. Intoleranz und Hass beginnen allerdings schon daheim, in der Erziehung, in der Schule, in der Ausbildung siehe Sarre-Union. Wir befinden uns in einer Zeit, in der sich im Grunde sofort Dinge ändern müssten, doch die Änderungen, die erfolgen müssen, benötigen Zeit. Eine Generation, vielleicht zwei oder drei. Zeit, die wir kaum haben werden.

Ganz Europa muss nun aufpassen, nicht gemeinsam in eine Art IV. Reich abzudriften, in dem Hass und Rassismus regieren. Die Terrorwelle, die gerade durch die Welt schwappt, ist nicht etwa der Kampf zwischen den Religionen, sondern das Machwerk geistig verwirrter und sozial ausgegrenzter Schwachköpfe – denen unsere Gesellschaften alles entgegen werfen müssen, was sie haben. Die fremdenfeindlichen Tendenzen, die wir zuletzt in Deutschland erlebt haben und die zum Glück genauso schnell abebben, wie sie aufgetaucht sind, waren nicht das Ende dieser Entwicklung. Sondern leider nur der Anfang.

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