Der Prozess um die Pressefreiheit
Der Prozess um die Auslieferung von Julian Assange hat in London begonnen. Es steht nicht nur das Leben des Wikileaks-Whistleblowers auf dem Spiel, sondern die Pressefreiheit als Konzept.
(KL) – James Lewis, der Anwalt der USA im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange, an dem die USA nur zu gerne ein Exempel statuieren wollen, machte die Position seines Landes bereits zum Prozessbeginn deutlich – es geht den USA darum, auch weiterhin unbeobachtet Kriegsverbrechen begehen zu können, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt. In seiner Argumentation stellte er die Realitäten einfach auf den Kopf.
Durch seine Veröffentlichungen, so James Lewis, habe Julian Assange Menschenleben gefährdet, da Informanten der USA im Irak und Afghanistan der Gefahr ausgesetzt worden seien, gefoltert oder getötet zu werden. Nur – es ist kein Fall bekannt, in dem solche US-Informanten aufgrund der Wikileaks-Veröffentlichungen gefoltert oder getötet worden sind. Diejenigen, die in diesen Ländern foltern und töten, sind die USA. Und genau das hat Julian Assange durch seine Veröffentlichungen dokumentiert.
Mit Julian Assange wollen die USA auch die Pressefreiheit töten. Den australischen Whistleblower erwarten in den USA 175 Jahre Gefängnis, als Strafe dafür, der Weltöffentlichkeit die Kriegsverbrechen der USA aufgezeigt zu haben. Dagegen muss sich die Europäische Union entschieden verwahren.
Nach rund acht Jahren des politischen Asyls in der Botschaft Ecuadors in London wurde Assange nach einem Regierungswechsel in Quito den englischen Behörden ausgeliefert, die nun eine Art Schauprozess mit starken politischen Noten gegen Assange führen. Denn Assange soll die „Morgengabe“ für das Brexit-Großbritannien für die anstehenden Verhandlungen zwischen London und Washington für ein neues Freihandelsabkommen werden.
Die Behandlung von Julian Assange im britischen Hochsicherheitsgefängnis, aber auch bereits zuvor in der Botschaft Ecuadors, bezeichnete der UN-Sonderbeauftragte für Folter, Nils Melzer, als den Versuch, Journalisten einzuschüchtern. Nachdem bereits der konstruierte Vorwurf der Vergewaltigung in Schweden still und heimlich zu den Akten gelegt wurde, probieren es die USA nun eben so – wobei auch die Rolle Schwedens, Großbritanniens und der neuen USA-hörigen Regierung Ecuadors Gegenstand scharfer Kritik durch Nils Melzer ist.
Acht lange Jahre hat die EU weggeschaut, doch kommt nun, wo eine Auslieferung Assanges zu einer realen Möglichkeit wird, endlich Bewegung in den Prozess. Nachdem der Europarat in einer Entschließung die Freilassung Assanges gefordert hatte, bieten inzwischen mehrere europäische Städte Julian Assange Asyl an. Nur – der ganze Prozess ist nicht viel mehr als ein Schauprozess, geleitet von Richterin Lady Emma Arbuthnot, die direkte familiäre Verbindungen in den britischen Militärapparat hat und Mitglieder ihrer Familie sind selbst beruflich mit dem US-Sicherheitsapparat verbandelt. Wer kann da noch einen fairen Prozess erwarten?
Der Aufruf des Europarats zur Freilassung Assanges ist nicht ausreichend. Die gesamte Europäische Union ist nun gefordert, mit allen Mitteln. Das Verabschieden von Erklärungen, dass man künftig Whistleblower und die Pressefreiheit schützen will, ist eine Sache, sich zu engagieren eine andere. Und worauf wartet die Europahauptstadt Straßburg, Julian Assange Asyl anzubieten? Worauf wartet das Europäische Parlament, eine klare Aussage zu treffen, dass weitere Verhandlungen mit Großbritannien über die Zeit nach dem Brexit davon abhängig zu machen, dass das Vereinte Königreich seine Folterpraktiken einstellt und Julian Assange in die EU überstellt?
Die heiße Phase hat begonnen – es geht nun konkret um das Überleben von Julian Assange. Und gleichzeitig geht es auch um das Überleben der Pressefreiheit, die im Jahr 2020 mehr gefährdet ist als je zuvor. Auch bei uns.
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