Der Punktsieger

Nach dem mit Spannung erwarteten TV-Duell zwischen Emmanuel Macron und Marine le Pen, scheint der Sieger der Wahl am Sonntag festzustehen. Auch, wenn er nur wenig begeistert.

Emmanuel Macron dürfte am Sonntag als das "geringere Übel" wiedergewählt werden. Foto: Eurojournalist(e) / CC-BY 2.0

(KL) – Vor langer Zeit gab es mal eine Situation, in der die Menschen bei Wahlen den oder die Kandidaten oder Kandidatin wählten, von denen sie sich am besten vertreten fühlten, die Programme für die Zukunft präsentierten, die dem entsprachen, was man sich für sein Land wünschte. Doch die Zeiten sind vorbei. Heute wählt man für das „geringste Übel“ und versucht mit dem Stimmzettel, Katastrophen abzuwenden. So auch am Sonntag in Frankreich, wenn die Franzosen entscheiden, ob das Land in den nächsten fünf Jahren von Emmanuel „Jupiter“ Macron oder der Rechtsextremen Marine Le Pen geleitet werden soll. Nach dem TV-Duell vom Mittwochabend deutet nun alles auf Macron hin.

Zwar war Marine Le Pen etwas besser und präsenter im TV-Duell als bei gleicher Gelegenheit 2017, als die Kandidatin des Front National (der sich inzwischen in „Rassemblement National“ umbenannt hat, weil das netter klingt) völlig aus der Rolle fiel, doch war sie auch am Mittwochabend nicht gut. Unsicherheit in den großen Dossiers, permanent in der Defensive, schmallippig und ohne Sympathiepunkte, redete sich die Kandidatin vermutlich erneut um die Präsidentschaft. Auf der anderen Seite, ein deutlich besser gecoachter Emmanuel Macron, etwas paternalistisch, arrogant, faktensicher, staatsmännisch und in Topform. Keine Frage, wer dieses Duell gewonnen hat.

Nur, dieser klare Sieg im TV-Duell bedeutet noch lange nicht, dass die nächsten fünf Jahre in Frankreich schön werden. Auch, wenn Macron am Sonntag gewählt werden sollte, werden ihn die Franzosen mehrheitlich nicht wegen seiner Person, seiner Bilanz und seines Programms gewählt haben, sondern einmal mehr um zu verhindern, dass Frankreich in die Hände der Rechtsextremen fällt. Die Quittung für die Bilanz der ersten Amtszeit Macrons wird er im „dritten Wahlgang“ erhalten, bei den im Juni anstehenden Parlamentswahlen, bei denen ihm die Franzosen sehr wahrscheinlich keine Mehrheit mehr geben werden, sondern eine starke Opposition, mit der er sich dann wird arrangieren müssen. Einen Blankoscheck für das Management Frankreichs wird Macron wohl nicht mehr erhalten, denn Frankreich hat auch gesehen, wie der Präsident das Land in fünf Jahren verändert hat, hin zu einem neofeudalen, digitalen und völlig auf den Präsidenten zugeschnittenen, autoritären Staat. Damit dies nicht im gleichen Tempo weitergeht, wird er aller Voraussicht nach seine Mehrheit in der Assemblée Nationale verlieren, denn eine „Cohabitation“ mit einem Premierminister einer anderen politischen Ausrichtung würde die Franzosen etwas beruhigen.

Marine Le Pen hat 2022 im Grunde den gleichen Fehler gemacht wie 2017 und man könnte das Gefühl bekommen, dass dieses TV-Duell gar nicht die Konfrontation der Kandidaten war, sondern die der Berater und Coaches. Und da lag Macron eindeutig vorne, wobei mit allen psychologischen Tricks gearbeitet wurde. Hätte Marine Le Pen während der Tage zwischen den beiden Wahlgängen geschwiegen, stünden ihre Chancen heute besser. Doch ihre Ankündigungen, wie sie die französische Gesellschaft verändern will, dürften die unentschlossenen Wähler in Richtung Macron getrieben haben.

Und wer weiß, vielleicht findet sich eines Tages auch in Frankreich eine Regierung, die dafür gewählt wird, was sie Positives tun will, statt dass die Franzosen weiterhin, wie seit 20 Jahren, bei Wahlen nur das Schlimmste verhindern können. Das ist nämlich ziemlich schwierig, wenn die angebotenen Alternativen beide mehrheitlich abgelehnt werden. Doch am Sonntag geht es erst einmal darum, das Abrutschen Frankreichs in die neofaschistische Ecke zu verhindern. So, wie es seit 2002 immer ist.

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.

*



Copyright © Eurojournaliste