Der Spalter

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eröffnet die Jagd auf Ungeimpfte. Um seine Chancen auf eine Wiederwahl zu steigern, spaltet der Mann die französische Gesellschaft.

In seiner Amtszeit hat Emmanuel Macron keine der vielen Krisen gelöst - dafür hat er die Gesellschaft gespalten. Foto: Amaury Laporte / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die deutschen Medien waren gnädig mit Emmanuel Macron. Mit seinen Aussagen in einer Frage-Antwort-Runde der Zeitung „Le Parisien“ hatte er seinen ungeimpften Landsleuten auf äußerst vulgäre Weise den Kampf angesagt. Doch während die deutschen Medien diese Aussagen mit „Ich habe große Lust, die Ungeimpften zu ärgern“ übersetzten, hatte Macron den Begriff „emmerder“ verwendet, der deutlich schärfer und eben vulgärer ist als „nerven“. Die Eröffnung der Jagd auf Ungeimpfte gehört zu Macrons Wahlkampfstrategie – durch die Ausgrenzung der Ungeimpften hofft er auf Zustimmung der Geimpften. Aber gleichzeitig hat sich der Mann für das höchste Staatsamt disqualifiziert. Die Aufgabe eines Präsidenten ist es, sein Volk zu einen und nicht etwa, die Gesellschaft zu spalten und gegeneinander aufzuhetzen.

Die Ungeimpften zu „ärgern“, das will Macron „bis zum bitteren Ende“ durchziehen. Alleine seine Aussage, dass er „sie [die Ungeimpften] nicht ins Gefängnis stecken und sie nicht zwangsimpfen“ lassen will, zeigt, dass er bereits mit diesem Gedanken spielt. Und bis es so weit ist, sollen sich die Ungeipften warm anziehen: „Ab dem 15. Januar könnt ihr nicht mehr ins Restaurant gehen, ihr könnt kein Glas Rotwein mehr trinken, ihr könnt keinen Kaffee trinken gehen, ihr könnt nicht mehr ins Theater gehen, ihr könnt nicht mehr ins Kino gehen.“ Dass er dies mit unverhohlener Freude zum Besten gibt, zeigt, dass dem Mann die moralische Reife fehlt, das höchste Staatsamt zu bekleiden.

Macrons Strategie ist offenkundig. Durch die Ausgrenzung von rund 10 % der Bevölkerung lenkt er vom völligen Versagen seiner Regierung in dieser Krise ab und nährt das Märchen der „Welle der Ungeimpften“. Die aktuelle Entwicklung in Frankreich, mit einer Inzidenz von fast 1900 (!), liegt nicht etwa an den Ungeimpften, sondern ist das Ergebnis der Entscheidung der Regierung, die Weihnachtsmärkte offen zu halten, die Fußballstadien zu füllen und Massenveranstaltungen aller Art zu genehmigen. Für Delta und Omikron war diese Entscheidung optimal, im Gedränge, das in Frankreichs Städten den ganzen Monat Dezember herrschte, konnten sich die Varianten frei ausbreiten.

Das Kalkül ist einfach: Durch das Ausgrenzen von 10 % der Bevölkerung (denen Macron sogar die Eigenschaft als Franzosen abspricht), hofft er, die übrigen 90 % der Bevölkerung für sich zu gewinnen. Doch was soll man von einem Präsidenten halten, der die Jagd auf 10 % seiner Bevölkerung eröffnet, um sich an der Macht zu halten?

Seine wieder einmal völlig inakzeptablen Sprüche werden allerdings bei vielen Franzosen ein positives Echo finden. In einer politischen Situation, die ein wenig an die Weimarer Republik mit ihrer Kakophonie der kleinen und kleinsten Parteien erinnert, wünschen sich immer mehr Franzosen einen „Führer“ und eine Welle eines dumpfen Nationalismus schwappt durch Frankreich. Rund die Hälfte der Franzosen geben in den Umfragen an, für einen der rechtsextremen Kandidaten (Le Pen, Zemmour) stimmen zu wollen, oder für die konservative Valérie Pécresse, die, um ihre Chancen intakt zu halten, inzwischen ebenfalls durch einen überraschenden Autoritarismus auffällt. Angesichts dieser Konkurrenz von Rechtsaußen, die Macron eine zweite Amtszeit kosten kann, hält es Macron offenbar für angebracht, durch noch mehr hemdsärmelige politische Brutalität aufzufallen. Und viele Franzosen werden Beifall klatschen und in die Falle der Spaltung der Gesellschaft stolpern.

Inzwischen mehren sich allerdings auch die Stimmen, die lieber einen rechtsextremen Kandidaten im Elysee-Palast sehen würden (die linken Kandidaten werden keine Rolle spielen, da sie es wie immer vorziehen, sich gegenseitig zu zerfleischen, statt die wirklich gefährlichen politischen Gegner zu bekämpfen), als Macron die Gelegenheit zu geben, den Umbau der französischen Gesellschaft in einen „digitalen Totalitarismus“ zu perfektionieren.

Mit seinen unglaublichen Aussagen hat Macron seine Position für die anstehenden Wahlen weder verbessert, noch verschlechtert. Allerdings hat er den bereits existierenden Riss, der sich durch die französische Gesellschaft zieht, zu einem Graben vertieft, der nur schwer zu überbrücken sein wird. Aber immerhin – nach seinen Aussagen kann niemand mehr in Frankreich sagen, dass er nicht gewußt hat, dass dieser Mann für Frankreich gefährlich ist. Wer dennoch für ihn stimmt, nimmt bewußt in Kauf, dass Frankreich einen schlimmen Weg einschlägt.

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