Der Spalter

Emmanuel Macron hat die Franzosen gespalten. Geimpfte und Nicht-Geimpfte gehen aufeinander los. Und somit gibt es wenigstens einen Sündenbock für die Pandemie – die Nicht-Geimpften.

Emmanuel Macron ist der Spalter - erst die Linke, dann nicht so erfolgreich gegen die Rechten und nun spaltet er die ganze französische Gesellschaft. Foto: Marine Dumény / EJ / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – In ein paar Tagen, am 21. Juli, ist es soweit. Wer dann nicht geimpft ist, wird in Frankreich zum Paria. Weder Kino- noch Restaurant-Besuche, keine Zugfahrten oder Flugreisen, kein Zutritt zu öffentlichen Veranstaltungen, kein Zutritt zu großen Geschäften. Und dazu ein politischer Diskurs des Präsidenten, der bereits im Wahlkampfmodus ist, der den Nicht-Geimpften die Schuld am ganzen pandemischen Geschehen aufbürdet. Die Taktik ist klar – für die eine Hälfte der Franzosen ist Macron nun der „Macher“ (und damit plötzlich wieder wählbar) und die andere Hälfte der Franzosen, die nicht geimpft ist, sind ohnehin keine Macron-Wähler. Nachdem der Präsident erfolgreich die Linke zur Implosion gebracht hat, nachdem er (weniger erfolgreich) versucht hat die Recht zu spalten, hat er es jetzt mit der ganzen französischen Gesellschaft geschafft – das Land ist in zwei Lager gespalten: Geimpfte und Nicht-Geimpfte, Pro-Macronisten und Macron-Gegner. Aber ob ihm eine solche hasserfüllte Konfrontation in der eigenen Bevölkerung die erhoffte zweite Amtszeit bringt, ist mehr als fraglich.

Die regierungstreuen Medien werden nicht müde, von morgens bis in die Nacht die „gute Nachricht“ zu verbreiten. Diejenigen, die der Impfung kritisch gegenüber stehen, sind die Unsolidarischen, die Feinde der Republik, die Verräter der Devise „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“. Fragen zu den sich täglich ändernden Nachrichten über die Vakzine zu stellen, ist ein Verhalten, das sich nahe am Vaterlandsverrat bewegt. Wie brüderlich es ist, zwischen 25 und 40 % der Bevölkerung zu stigmatisieren und indirekt für das Infektionsgeschehen verantwortlich zu machen, das fragt keiner mehr. Und noch besser: Dadurch, dass Macron die Franzosen gegeneinander aufhetzt, stellt niemand mehr unbequeme Fragen zum amateurhaften und verlogenen Management der Krise durch eine völlig überforderte Regierung. Alles ist vergeben und vergessen, jetzt sind die Nicht-Geimpften an der weiteren Entwicklung Schuld.

Beide Lager reagieren hysterisch. - Während die Impf-Zweifler in den Sozialen Netzwerken gelbe Judensterne veröffentlichen und damit auf höchst geschmacklose Weise demonstrieren, dass sie sich nun als die neuen Sündenböcke für die Lage der Nation empfinden, beschimpfen und beleidigen die Geimpften die Zweifler und werfen ihnen vor, am Untergang der Nation Schuld zu sein. Die einzigen, die aus dem Schneider sind, sind die Mitglieder der Regierung. Und statt sich mit der Frage zu beschäftigen, wie es sinnvollerweise weitergehen kann, zerfleischen sich die Franzosen nun gegenseitig.

Der Autor dieser Zeilen lebt in Frankreich und ist doppelt geimpft und damit gar nicht von den Maßnahmen betroffen, die Macron nun verkündet hat. Doch auch nach zwei Dosen Astrazeneca bestehen die Zweifel weiter. Doch statt Antworten zu erhalten, stellen sich immer mehr Fragen.

Warum entwickelt sich in den Ländern mit den höchsten Impfquoten die „vierte Welle“, die viele Länder dazu zwingt, trotz hoher Durchimpfung der Bevölkerung erneut sanitäre Beschränkungen zu verhängen? Wie kann es sein, dass durch die Covid-Impfungen, im Gegensatz zu den anderen Impfungen, die den Nicht-Geimpften vor die Nase gehalten werden, kein echter Schutz gegen die Krankheit entsteht? Wer eine Tetanus-Impfung oder eine Impfung gegen Röteln erhält, der bekommt diese Krankheiten nicht mehr und kann sie auch nicht als „asymptomatischer Träger“ an Dritte weitergeben. Wieso ist das mit den Covid-Impfungen nicht der Fall? Was ist mit Langzeitfolgen? Warum übernimmt niemand eine rechtliche Garantie für die Impfstoffe? Wieso erfährt man plötzlich, dass bestimmte Vakzine gegen einige der Virusvarianten wirkungslos sind? Alleine diese Fragen zu stellen, ist in Frankreich heute der „Beweis“, dass man Komplottist ist, geradezu ein Volksfeind.

Nach anderthalb Jahren der permanenten Lügen dieser Regierung, die weder in der Lage war, die Bevölkerung frühzeitig zu informieren (man erinnert sich an die Aussagen der damaligen Gesundheitsministerin Buzyn, die noch im März 2020 erklärte, dass die Pandemie auf keinen Fall Frankreich erreichen könne – wenige Tage später wurde die Grenze zwischen Frankreich und Deutschland geschlossen), noch Masken oder Impfdosen zu bestellen, darf man sich in Paris nicht wundern, dass ein Teil der Bevölkerung kein blindes Vertrauen mehr in diese Regierung hat, von der Präsident Macron immer wieder stolz sagte, dass es sich um „Amateure“ handele. Aber ab sofort ist nicht mehr die Regierung für das Management der Pandemie und deren Entwicklung verantwortlich, sondern die Staatsfeinde, die sich nicht impfen lassen wollen. Das mag für die politischen Ambitionen von Emmanuel Macron günstig sein, für den Zusammenhalt der französischen Nation ist diese Strategie Gift.

Es mag seltsam anmuten, dass jemand, der selbst doppelt geimpft ist, Verständnis für diejenigen hat, die sich (momentan) nicht impfen lassen wollen. Doch wurde bis heute eigentlich keine einzige Frage zu diesem Virus beantwortet. So ist der Ursprung dieses Virus weiter ungeklärt und obwohl Frankreich als finanzierender Partner des P4-Laboratoriums in Wuhan eigentlich ziemlich direkten Zugang zu Informationen haben müsste, erfährt man nichts. Erstaunlich: In einem Interview mit der Financial Times kündigte Macron an, den chinesischen Partnern „unangenehme Fragen“ stellen zu wollen und Antworten zu liefern. Aber das war auf Englisch gegenüber der Auslandspresse und ist in Frankreich wohl im Tagesgeschäft vergessen worden.

Wir erleben eine kommerzielle, nationalistische und kontinentale Schlacht um die Vakzine. - Jedes Land und jeder Kontinent versucht, „seinen“ Impfstoff auf dem Markt durchzudrücken und dazu möglichst die Konkurrenz durch Medienkampagnen in Zweifel zu ziehen. In Europa ist BionTech-Pfizer das Vakzin der ersten Wahl, auch, wenn man inzwischen weiß, dass selbst zwei Dosen nicht für einen echten Schutz ausreichen. Anderswo macht man Werbung für die anderen Vakzine, deren Wirksamkeit ebenso in den Sternen steht wie bei den anderen. Und da wundert man sich, dass es Menschen gibt, die nicht mit „Hurra!“ in die Impfzentren strömen?

Sich impfen zu lassen, ist eine höchst persönliche Entscheidung. Der Autor dieser Zeilen hat seine Wahl getroffen und diese Impfung aus zwei Gründen über sich ergehen lassen. Zum einen und ohne echte Überzeugung, um eine kollektive Anstrengung zu unterstützen, dieses Virus in den Griff zu bekommen, zum anderen, um auch morgen meinen Beruf ausüben und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Doch diese Entscheidung ändert nichts daran, dass bisher keine einzige Frage zu diesem Virus von denjenigen beantwortet wurde, die Zugang zu den Antworten haben müssen und deshalb müssen auch diejenigen respektiert werden, bei denen die Zweifel (noch?) überwiegen.

Überzeugen statt zwingen, das wäre die richtige Herangehensweise, doch das passt so gar nicht zum „Stil“ des französischen Präsidenten, der in seiner bisherigen Amtszeit keine Gelegenheit versäumt hat, seiner Bevölkerung mit Geringschätzung und Brutalität gegen die sozial Schwächsten zu begegnen. Doch die Gewalt, mit der Macron versucht, soziale und gesellschaftliche Konflikte zu managen, wird zu Gegengewalt führen und dem bereits heute gespaltenen Land stehen schwere Zeiten bevor. Wie schade, dass dies ausgerechnet zu einem Zeitpunkt passiert, zu dem Frankreich von einer fröhlichen Gruppe Amateure gemanagt wird, der außer der Spaltung der Bevölkerung nicht viel einfällt. Diese Spaltung wird ab dem 21. Juli noch ganz andere Formen annehmen, es wird zivilen Ungehorsam geben, gegen den die Regierung mit polizeilicher Repression vorgehen wird, der einzigen Taktik, die man in Paris seit 2018 beherrscht. Was dabei herauskommt, werden wir schon bald erleben…

2 Kommentare zu Der Spalter

  1. Lieber Herr Littmann,
    Vielen Dank für Ihre kluge und besonnene Analyse!! Sowas hätte ich gerne auch mal in den französischen Medien gelesen.
    Beste Grüsse
    Bertrand Linder

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