Der Splitter im Auge der anderen…

Svenja Schulze, Bundesumweltministerin, kritisiert das französische Atom-Credo. Da mag sie Recht haben, doch vergisst sie geflissentlich, dass Deutschland bis 2038 auf Kohle setzt…

Wären sie nicht gefährlich, könnten Anlagen wie Cattenom sogar "schön" sein... Foto: Les Meloures at Luxembourgish Wikipedia / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 1.0

(KL) – Ja, ja, die politische Kommunikation… Was die Energiepolitik in Europa anbelangt, hält sich jeder für den Schlausten, den Besten, den Erfolgreichsten. Nur – die Strategien der verschiedenen Länder haben alle ihre eigenen Haken. Deswegen ist es falsch, mit dem Finger auf andere zu zeigen, während man selbst genauso viele Fehler begeht. Die Kritik Schulzes am französischen Atom-Credo mag richtig sein, doch braucht Frankreich wohl keine Tipps aus einem Land, das seine lobenswerten Anstrengungen im Bereich der Erneuerbaren Energien selbst durch das Festhalten an der Kohle bis 2038 zunichtemacht. Denn was Deutschland im Energiesektor richtig macht, hebt die Politik durch die rein politisch begründete Verlängerung der Kohle-Nutzung bis 2038 wieder auf.

„Ich respektiere den Grundsatz der nationalen Energie-Souveränität“, sagte die Bundesumweltministerin, doch die Überalterung der französischen Atomanlagen mache ihr Sorgen. Durchaus nachvollziehbar. Doch wäre es besser, würde man nicht übereinander, sondern miteinander reden. Denn den Franzosen macht das deutsche Kohle-Credo ebenso große Sorgen. Mit einer Nutzung der Kohle bis 2038 werden die ambitionierten Klimaziele nicht erreicht werden und das, was heute angesagt wäre, ist eine europäische Energiepolitik, ebenso wie eine europäische Gesundheitspolitik. Doch von beidem sind wir Lichtjahre entfernt.

Anlass für die Stellungnahme von Svenja Schulze war die im Februar in Frankreich beschlossene Verlängerung der Betriebsgenehmigungen für mehrere Atomkraftwerke, die bereits in den 80er Jahren ans Netz gingen, ursprünglich für eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt waren und nun (mindestens) 10 Jahre lang weiterlaufen sollen. Dass Deutschland nach seinem nach Fukushima beschlossenen Atomausstieg und das komplett auf Atomkraft gepolte Frankreich hier keinen Konsens finden werden, liegt auf der Hand.

In Europa sind die Stromnetze heute international ausgelegt und überschüssig produzierter Strom wird durch komplizierte Netze und Schaltungen dorthin transportiert, wo er benötigt wird. Da läge es nahe, dass man sich auch dazu durchringt, eine europäische Energiepolitik zu führen, doch will sich keiner der EU-Mitgliedsstaaten in die Karten schauen lassen. Kein Wunder, ist doch beispielsweise in Frankreich der Staat größter Aktionär des Energie-Monopolisten EdF und daher in stetiger Sorge über die Rentabilität des Energiesektors.

Niemand in Europa braucht mit dem Finger auf andere zu zeigen. Frankreich wird sich wundern, wenn es eines Tages die Rechnung für den Rückbau von 57 Atomanlagen präsentiert bekommt, plus die Kosten für die schier unmöglich erscheinende Endlagerung der radioaktiven Abfälle dieser Anlagen, die für knappe 125.000 Jahre sicher gelagert werden müssen. Doch auch Deutschland wird sich wundern, wenn eines Tages die Bilanz der weiteren Nutzung der Kohle präsentiert wird, denn die nächsten 20 Jahre wird Deutschland weiterhin Europas größter Luftverschmutzer bleiben. Doch statt miteinander nach Lösungen zu suchen, rechtfertigt man lieber die eigenen Fehler mit denen der anderen. Na klar – bei den anderen sieht man jeden Splitter im Auge – den Balken vor der eigenen Nase erkennt man jedoch nicht…

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