Der Staat greift um 5:30 Uhr an…

Die uniformierten Herren des Morgengrauens arbeiten am liebsten im Schutz der Dunkelheit. Vor allem, wenn es darum geht, Big Business vor den BürgerInnen zu schützen.

Der Generalsekretär der Präfektur Yves Seguy überzeugte sich vor Ort, dass die Polizeikräfte auch ordentlich durchgreifen. Kein Problem - das haben sie auch gemacht. Foto: Eric Taryné / CC-BY-SA 4.0int

(KL) – Sie kamen um 5:30 Uhr, 515 Polizisten in voller Kampfmontur, um das Protestdorf der GCO-Gegner in Kolbsheim plattzuwalzen. Die Stimmung bei den Polizisten war blendend, es wurde gelacht und gelächelt, zum Beispiel, als man eine 80jährige Rollstuhlfahrerin mit Tränengas einnebelte. Eine echte Heldentat, von der man in den Polizeikasernen noch lange singen wird. Dass der französische Staat durch diese Gewaltanwendung selbst dafür sorgt, dass die Menschen den Extremisten hinterherlaufen und sich nach innen radikalisieren, darauf ist die französische Politik mit all ihren hoch bezahlten Beratern und anderen Hofschranzen noch nicht gekommen.

Natürlich unterstrich das Büro des Statthalters der Zentralregierung, des Präfekten, dass das Protestdorf „illegal“ sei. Klar, für Protestdörfer erteilt die Präfektur ja auch keine Baugenehmigungen. Diese erteilt sie lieber an den Baugiganten VINCI, dem ja unbedingt die 700 Millionen Euro zugeschustert werden müssen, die eine neue, verkehrstechnisch völlig sinnlose Autobahn rund um Straßburg kosten soll. Dass sich praktisch jede staatliche Stelle, die zu diesem Projekt Stellung zu nehmen hatte, das Projekt GCO als sinnlos und geradezu schädlich bezeichnet hat, interessiert niemanden. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass man Gutachten nur dann ernst nimmt und berücksichtigt, wenn die das aussagen, was man hören will.

Niemand bestreitet mehr, dass das GCO im Idealfall den Stadtverkehr in und um Straßburg um maximal 4 % entlasten wird. Die verbleibenden 96 % werden die Autofahrer auch künftig im Stau stehen, nur dass sie dafür eine Mautgebühr an VINCI bezahlen und auf etwas neuerem Asphalt im Stau stehen dürfen. Nutzen wird das Projekt GCO lediglich der Gruppe VINCI und einer Handvoll lokaler Unternehmen, die praktischerweise so nah an den Entscheidungsträgern sind, dass eine mächtige Front wirtschaftlicher Interessen entstanden ist, die dieses Projekt durchziehen, koste es, was es wolle. Mit „Demokratie“ hat das nicht mehr viel zu tun…

Gewalt gegen die eigenen BürgerInnen ist genau das Mittel, mit dem man den sozialen Frieden ruiniert und die Menschen in die Arme politischer Extremisten treibt. Die Ohnmacht, die engagierte Bürger angesichts martialisch gekleideter und feixender Polizisten empfindet, ist der Nährboden dafür, dass diese Menschen überhaupt nicht mehr wählen gehen oder aber sich für Extremisten entscheiden.

Die Opposition Staat-BürgerInnen ist ungefähr das kontraproduktivste, was ein Staat produzieren kann. Denn in einer Demokratie, so zumindest die Definition, ist das Volk der oberste Souverän. Dass die französische Regierung Elitetruppen entsendet, um den Menschen per Schlagstock und Tränengas zu vermitteln, dass dies ein Irrtum ist und der oberste Souverän des Landes die finanziellen Interessen von Aktienbesitzern sind, ist mehr als schäbig.

Viele Franzosen hatten letztes Jahr den Wahlkampfversprechen geglaubt, dass die neue Regierung eine „neue Welt“ erschaffen wollte. Die „neue Welt“ ist leider die alte, durchsetzt von den Interessen eben jener Wirtschaft, die den Sturz des politischen Establishments in Frankreich mit finanziert hat. Doch das letzte Wort zum Thema GCO ist noch lange nicht gesprochen. Unrecht, auch mit Knüppeln und Tränengas durchgesetzt, bleibt dennoch das, was es ist – Unrecht.

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