Der Ton verschärft sich weiter

Die Erläuterungen zur geplanten Rentenreform, die Premierminister Edouard Philippe am Mittwoch abgegeben hat, haben die Lage in Frankreich nicht entspannt. Im Gegenteil.

Premierminister Edouard Philippe konnte die Lage am Mittwoch nicht beruhigen - im Gegenteil. Foto: ScS EJ

(KL) – Um ehrlich zu sein, momentan weiß niemand in Frankreich so genau, was die geplante Rentenreform der Regierung wirklich zu bedeuten hat. Schafft sie mehr Gerechtigkeit? Senkt sie das Gesamtniveau ab? Schafft sie uralte Privilegien ab und sorgt dafür, dass die Zukunft der französischen Rentner menschenwürdig wird? Steigt das Renteneintrittsalter? Wie wirkt sich die Reform für jeden einzelnen aus? Auf all diese Fragen gibt es momentan noch überhaupt keine zuverlässigen Antworten. Allerdings hat die Ankündigung dieser Reform bereits eines geschafft – sie hat die Gräben, die sich unverkennbar durch das Land ziehen, noch weiter vertieft.

Obwohl die konkreten Auswirkungen dieser geplanten Reform noch weitgehend unklar sind, gibt es heute bereits zwei Lager. Diejenigen, die radikal gegen die Reform und bereit sind, dagegen auf der Straße zu kämpfen und diejenigen, die kompromisslos dafür sind und in einer Art religiösem Eifer alles verteidigen, was von dieser Regierung kommt. Dazwischen gibt es nicht mehr viel. Doch diese Auseinandersetzung dreht sich nicht alleine um eine Rentenreform, die in ihrer Komplexität noch kaum jemand richtig versteht. Der Bruch, der heute durch die französische Gesellschaft geht, lässt sich auf einen einfachen Nennen kürzen – es geht um Arm gegen Reich.

Unzufrieden sind viele. - Das ist auch der Grund, warum inzwischen alle diejenigen gemeinsam auf die Straße gehen, die das Gefühl haben, dass in der heutigen französischen Gesellschaft einiges schief läuft. So protestieren inzwischen Eisenbahner-Gewerkschaften, die ihre in Jahrzehnten der Arbeitskämpfe errungenen Privilegien verteidigen gemeinsam mit „Gelbwesten“, die gegen den Sozialabbau demonstrieren – ein gemeinsamer Kampf für im Grunde radikal entgegengesetzte Anliegen. Dazu kommen zahlreiche andere Berufsgruppen, vor allem aus dem Öffentlichen Dienst, wie Feuerwehrleute, Krankenschwester, Ärzte in öffentlichen Krankenhäusern und sogar Polizisten, die gegen Stellenabbau, nicht mehr tragbare Arbeitsbedingungen, schlechte Bezahlung und marode Infrastrukturen und Ausrüstungen demonstrieren.

Der Konflikt wird dadurch weiter verschärft, dass die Regierung einerseits ihren neo-feudalen Stil aufrecht erhält, sich von einem Personalskandal zum nächsten hangelt und permanent das Gefühl „alle korrupt“ befeuert. Der immer wieder angekündigte Dialog findet kaum statt, man spricht seit zwei Jahren vor allem übereinander, aber nicht miteinander.

Enttäuschte Erwartungen. – Dazu kommt eine große Frustration bei denjenigen, die vor zweieinhalb Jahren Emmanuel Macron zum Präsidenten und seine neue Partei LREM („La République en Marche“) zur Regierungspartei gewählt haben, da sie der Ankündigung Macrons, eine „neue Welt“ erschaffen zu wollen, Glauben geschenkt hatten. In der Tat schaffte es Macron, die bestehende Politiklandschaft in den Boden zu stampfen – die beiden großen Volksparteien, die sich seit Beginn der V. Republik an der Macht abgewechselt hatten, die Konservativen und die Sozialisten, sind innerhalb von zwei Jahren in der politischen Bedeutungslosigkeit versunken. Doch das entstandene Vakuum konnte Macron bislang nicht konstruktiv füllen, im Gegenteil. Seine von vielen Franzosen als arrogant bis beleidigend empfundene Art hat dazu beigetragen, dass Macron heute von sehr vielen Franzosen als „Präsident der Reichen“ betrachtet wird, der ärmeren Landleuten außer Missachtung nicht viel entgegenbringt. Das begann unmittelbar nach seinem Amtsantritt, als er als erste Maßnahmen die Vermögenssteuer ISF abschaffte und gleichzeitig das Wohngeld für die Ärmsten um 5 € kürzte – was allgemein als Zeichen gewertet wurde, wohin die Reise geht.

Die Proteste, die sich nach der Ankündigung der Einzelheiten der Rentenreform erneut beleben und in den kommenden Tagen und Wochen wieder an Fahrt aufnehmen werden, sollten gehört und wahrgenommen werden. Hunderttausende, am 5. Dezember sogar über eine Million Menschen gehen auf die Straße und die Vermischung ganz unterschiedlicher Protestgruppen kann diese Proteste weiter radikalisieren. Ausschreitungen und Straßenkämpfe gehören mittlerweile schon fast zur Normalität und hier handelt es sich um eine Entwicklung, die sich nicht etwa abschwächen und irgendwann verlaufen, sondern die immer härter werden wird. Man mag sich nicht ausmalen, was passiert, wenn bei diesen Demonstranten Menschen zu Tode kommen – dass dies bislang nicht passiert ist, ist angesichts der militanten Auseinandersetzungen fast schon ein Wunder.

Frankreich ist heute ein Pulverfass und niemand scheint in der Lage und Willens, die bereits länger glimmende Lunte zu löschen. Die diesjährige Weihnachtszeit wird alles andere als erholsam für Frankreich werden.

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