Der Traum von 1789
Die Gewerkschaft CGT und die „Gelbwesten“ rufen für heute zum Generalstreik auf. Die „Gelbwesten“ sogar zu einem „unbefristeten Generalstreik“. Blöd nur, dass das niemanden interessiert.
(KL) – Die Forderungen, mit denen die CGT heute für ihren Generalstreik an den Start geht, lesen sich gut. Soziale Forderungen, die immerhin eine solide Grundlage für Gespräche mit der Regierung bilden können, doch ist die Frage offen, wer diese Gespräche führen soll. Die „Gelbwesten“ sind seit Monaten unfähig sich zu organisieren, einen klaren Forderungskatalog zu definieren und Verhandlungsführer zu bestimmen – und genau deswegen werden sie an diesem sozialen Dialog nicht teilnehmen. Pech gehabt. Allerdings kann man sich die Frage stellen, was man von einer „Bewegung“ halten soll, die seit drei Monaten das Land mit der Forderung lahmlegt, dass man „gehört“ werden möchte, die dann aber genau diesen Dialog verweigert? Der Glaube, dass die Situation 2019 mit der Französischen Revolution 1789 oder dem Mai 1968 vergleichbar sei, ist ein Irrtum. Dass nun die „Gelbwesten“ unbegrenzt streiken wollen, dürfte diese Bewegung auf eine realistische Größe zusammenstutzen. Denn anders, als die „Gelbwesten“ gerne behaupten, stehen keine Millionen Franzosen hinter ihnen – im Gegenteil, den Franzosen gehen die ständigen Gewaltexzesse im Rahmen der Aktionswochenenden gehörig auf die Nerven.
Das, was die „Gelbwesten“ in drei Monaten nicht geschafft haben, macht nun eben die linke Gewerkschaft CGT – die kompiliert soziale Forderungen, die verhandelbar sind. Dabei geht es um Forderungen wie die Erhöhung des Mindestlohns um 20 % auf mindestens 1800 € brutto, gleichen Lohn für Frauen und Männer, die Absenkung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel und Produkte des täglichen Bedarfs, die Wiedereinführung der Reichensteuer ISF, die Kontrolle öffentlicher Mittel für Unternehmen, die Stärkung der Arbeitslosen-Grundsicherung, der Sozialversicherung und der Renten. Das sind alles Punkte, die verhandelt werden können und die Geld kosten werden. Die ohnehin schon gebeutelte Wirtschaftskraft des Landes durch einen Generalstreik zu schwächen, ist in dieser Situation eine ziemlich schlechte Idee. Die voraussichtlich auch kaum befolgt werden dürfte.
Im Grunde arbeitet gerade jeder gegen jeden. Die CGT wollte im November nichts mit den „Gelbwesten“ zu tun haben, doch nachdem praktisch alle Parteien bei ihren Versuchen gescheitert sind, sich bei dieser Bewegung anzubiedern, muss man feststellen, dass inzwischen die Extremisten bei den „Gelbwesten“ das Kommando übernommen haben – die friedlichen „Gelbwesten“ versuchen sich gerade als politische Kraft zu organisieren, begleitet von Kritik bis Morddrohungen durch die „Hardcore-Gelbwesten“, denen es nicht um soziale Gerechtigkeit, sondern um den Umsturz geht.
Doch weder „Gelbwesten“ noch die CGT werden mit diesem Generalstreik einen großen Erfolg feiern. Frankreich hat durch diese drei Monate der Unruhen bereits einen enormen wirtschaftlichen Dämpfer hinnehmen müssen und jede weitere Schwächung des Landes wird es umso schwieriger machen, den dringend erforderlichen sozialen Fortschritt zu finanzieren.
So, wie sich die Bewegung der „Gelbwesten“ entwickelt, so, wie gerade die Stimmung in der erschöpften Bevölkerung umkippt, könnte dieser Generalstreik der letzte Versuch werden, diese Bewegung zu strukturieren. Ansonsten dürfte es vielen irgendwann zu blöd werden, jeden Samstag applaudierend hinter Antisemiten und Gewalttätern hinterher zu dackeln. Die „Gelbwesten“ haben den Moment verpasst, in dem sie eine echte gesellschaftliche Rolle hätten spielen können. Den sozialen Fortschritt werden sie allerdings nicht verhindern können, auch nicht durch den für heute angesetzten Generalstreik.
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