Der U-Boot-Streit

Angesichts einer sich verändernden Welt, neuer Allianzen und wirtschaftlicher Interessen, verfällt Europa in Schnappatmung, weil man bestimmte Veränderungen nicht wahrhaben will.

Der U-Boot-Streit sollte ein Anlass sein, die Positionierung Europas im Weltkonzert zu hinterfragen und neu auszurichten. Foto: Motokoka / Wikimedia Commons / CC-BY 4.0

(KL) – Was hat der Brexit mit dem geplatzten U-Boot-Geschäft zwischen Frankreich und Australien zu tun? Eine ganze Menge. Denn der vereinbarte Deal zwischen der französischen Rüstungsindustrie und Australien ist einer Verschiebung des geopolitischen Gleichgewichts zum Opfer gefallen. Die USA, Großbritannien und Australien haben ein neues „Sicherheitsbündnis für den indopazifischen Raum“ geschmiedet, bei dem die drei englischsprachigen Länder unter sich bleiben wollen. Und folglich geht der U-Boot-Auftrag in die USA und eben nicht an Frankreich. Die europäischen Spitzenpolitiker zeigen sich empört und damit auch, dass sie diese geopolitischen Verschiebungen noch nicht richtig mitbekommen haben.

Dazu kommt erschwerend, dass sich Frankreich gerade auf sein Superwahljahr 2022 vorbereitet und die verschiedenen potentiellen Kandidaten und Kandidatinnen allesamt bemüht sind, „klare Kante“ zu zeigen. Diese „klare Kante“ geht bis hin zur Forderung, aus der NATO auszusteigen. Und einmal mehr zeigt sich, dass die Europäische Union in solchen Situation ein zahnloser Tiger ist. Die harsche Kritik von Kommissions-Präsidentin Von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel ist völlig nutzlos, ebenso wie das Einbestellen der französischen Botschafter in den USA und Australien.

Dieses neue „indopazifische Sicherheitsbündnis“ wird in Brüssel ebenso wenig verstanden wie vor Jahren das Entstehen der BRICS-Strukturen. Dabei ist offensichtlich, dass mit diesem „Sicherheitsbündnis“ alte Commonwealth-Ansätze wiederbelebt werden, mit denen die drei Partner USA, Großbritannien und Australien gemeinsam versuchen, einer Entwicklung entgegen zu steuern, bei der sie in die zweite Liga der politischen Supermächte abzusteigen drohen. Während China, Russland und eben die BRICS-Staaten (trotz der Immobilienblase in China, die anders aufgefangen werden wird als 2008 die Lehman Brothers-Krise, da die betroffenen Banken in China unter staatlicher Kontrolle stehen) Rückenwind haben, kuscheln sich eben jetzt Washington, Canberra und London zusammen, in der Hoffnung, ihren Einfluss in dieser indopazifischen Zone nicht völlig zu verlieren. Dabei spielen europäische Wünsche oder Vorstellungen keine Rolle, ob uns das nun passt oder nicht.

Diesen wirtschaftlichen Zwischenfall, so ärgerlich er für die französische Rüstungsindustrie auch sein mag, zum Anlass zu nehmen, die Mitgliedschaft in der NATO in Frage zu stellen, ist falsch. Wenn sich die Europäer jetzt angesichts der Verschiebungen des geopolitischen Gleichgewichts in die Schmollecke stellen, dann riskieren sie, dort unbeachtet stehengelassen zu werden.

Dementsprechend sind auch die Reaktionen aus London und Washington. Während Boris Johnson aus London laut über die „unverbrüchliche Liebe“ Großbritanniens schwadroniert, kann es Joe Biden offiziell gar nicht erwarten, ein klärendes Gespräch mit Emmanuel Macron zu führen. Doch die Vorzeichen für dieses Gespräch sind bereits klar. So erklärte Biden, dass man die Ansichten Frankreichs zwar verstünde, diese allerdings nicht teile. Und damit ist klar, dass dieses klärende Gespräch keinerlei Auswirkungen haben wird.

Es wäre dringend geboten, dass sich die EU grundsätzliche Fragen stellt. Zum einen wird sie nicht länger die Augen vor den enormen geopolitischen Verschiebungen verschließen können, die gerade stattfinden, zum anderen wird sie sich entscheiden müssen, ob sie weiterhin Zuschauerin oder künftig Akteurin des Weltgeschehens sein will. Sollte die EU sich für die zweite Option entscheiden, wird sie nicht umhin kommen, ihre Institutionen grundlegend zu reformieren, um irgendwann einmal als politische Institution handlungsfähig zu werden. Das ist aber momentan nur der Fall, wenn es darum geht, Banken zu retten, die sich verspekuliert haben. Zu fast allen anderen wichtigen Themen scheitert die EU seit vielen Jahren an ihren eigenen Regeln, wie der Einstimmigkeit, die es ihr selbst unmöglich macht, Sanktionen gegen Mitgliedsstaaten zu verhängen, die gegen Grundprinzipien der EU verstoßen. Insofern ist dieser U-Boot-Streit vielleicht ein guter Anlass, sich diese Fragen zu stellen und endlich auch Antworten zu liefern.

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