Der universelle Kulturschock – Indien in der Rheinoper

Das Arsmondo Festival in Straßburg geht in die zweite Woche: Die Musik des Subkontinents und was dabei herauskommt, wenn man seinen Geist von ihr inspirieren lässt, stehen auf dem Programm - aber Achtung: der Coronavirus mag unseren Geist noch gefangen nehmen.

Shiva, der den bösen Büffel mit dem Dreizack besiegte, hält seine schützende Hand über das Festival Arsmondo... Foto: (c) Michael Magercord

(Von Michael Magercord) – Wer in Indien unterwegs ist, der liefert sich den Göttern aus. Und nicht erst, seit klapprige Busse über holprige Straßen rasen, während der Fahrer Räucherstäbchen auf seinem Minialtar verbrennt. Die Götter haben das Schicksal des Menschen schon immer bestimmt. Auch das Karma derjenigen, die im Bus sitzen. Ist also kein Grund zur Aufregung, wenn der Fahrer zum waghalsigen Überholmanöver ansetzt. Die Götter haben schon lange abgeklärt, wie es enden wird. Das Hier und Jetzt spielt darin keine Rolle.

Na, dann ist ja alles gut? Nein, denn jeder, der das einmal mitgemacht hat, weiß: es will einfach nicht gelingen, das beruhigende Göttervertrauen zu gewinnen. Im Gegenteil, das blanke Entsetzen ereilt uns, wenn einem der große Laster auf der eigenen Spur entgegenkommt. Ist die Schockstarre überwunden, setzt der Kulturschock ein, nämlich dann, wenn man merkt, dass man mal wieder der einzige ist, der sich im Hier und Jetzt so hilflos fühlt.

Muss die Begegnung mit einer anderen Kultur mit einem solchen Schock einsetzen? Dann doch besser mit dem Erlebnis einer Darbietung der Kunst aus dieser fremden Welt. Und Musik, heißt es ja so oft wie gerne, sei zum unmittelbaren Erleben des Anderen am besten geeignet, ist ihre Wahrnehmung doch universell. Man braucht keinen Götterglauben, im Hier und Jetzt wirkt sie sofort. Das heißt aber nicht, dass diese Musik nicht ebenso schockieren kann, wie der am eigenen Leib erfahrener Götterglauben der anderen – nur dass der universelle Schock im Konzertsaal ein wohliger sein kann.

Also auf nach Straßburg! Das Festival Arsmondo geht in seine zweite Woche und es stehen Konzerte auf dem Programm, die zur Schocktherapie beitragen mögen. Am Sonntag hatte schon das Ensemble „Hanatsu miroir“ den Anfang gemacht. Mit Werken von europäischen Komponisten der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, die sich von und den spirituellen Quellen Indiens anleiten ließen. Minimalmusik, die dem fließenden Charakter indischer Klänge wohl besonders nahekommen soll, war zu hören. Aber auch Stücke des Italieners Giacinto Scelsi, der Ende der 40er Jahre in der Psychiatrie einsaß, bevor er in Indien auf die Suche nach seinem Gleichgewicht ging. Ergebnis sind verworrene Tonkaskaden – und so zeigte dieses erste Konzert gleich einmal, wie schmal der Grad ist, den man beschreitet, wenn man auf ihm zwischen den Kulturen wandelt.

An diesem Wochenende wird der Weg weiter beschritten: Mit dem ungewöhnlich besetzten Straßburger Quartett „Accroche Note” wird es noch zeitgenössischer. Und dazu mystisch: die Stücke „Manoa“ und „Chö“ des französischen Komponisten Thierry Pécou sind einem Ritual aus Tibet auf der musikalischen Spur. Quasi zum Abgleich mit dem Original folgt am Samstag ein Konzert mit traditioneller Musik aus Nordindien,. Zwei europäische Musiker und Experten führen zusammen mit der indischen Tanpura-Spielerin Tulika Srivastava in die große Kunst des „Dhrupad“ ein: authentische Gesangs- und Musikkultur am Hofe der ersten Mogulherrscher.

Und am Ende des Konzertzyklus in der Rheinoper wird am Freitag in einer Woche noch das Projekt „Indian Stones“ den ganzen Weg der Kulturvermischung gehen: Elektronische Musik und das westliche Instrument der Violine, gespielt auf indische Weise: ein wahres Klangabenteuer, eine spirituelle Suche – heißt es zumindest in der Programmvorschau.

Dann folgt der Festivalhöhepunkt: die Oper „Until the Lions“, ein Kulturaustausch mit Schockpotential par excellence mit allem, was zu einer Therapie dazu gehört: Musik, Gesang und Tanz  – allerdings ist Achtung geboten vor dem realen universellen Schock unserer Tage: Denn wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung des Coronavirus können noch Änderungen im Programm erfolgen, womit natürlich Absagen gemeint sind. In Mülhausen und Colmar sind bereits alle Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen untersagt, so auch das symphonische Konzert der OSM am 13. und 14. März. In Straßburg gilt noch die Grenze von 1.000 Personen. Stand jetzt: hier in der Rheinoper wird „Until the Lions“ stattfinden. Aber wer weiß, wie lange das Hier und Jetzt andauern wird…

ARSMONDO INDIEN
Konzerte in der Rheinoper Straßburg:

DO 12. März, 19 Uhr: Accroche Note
SA 14. März, 20 Uhr: Dhrupad
FR 20. März, 21 Uhr: Indian Stones
und ab SA 21 März: Until the Lions – Oper von Thierry Pécou

Tickets und Informationen finden sich unter: www.operanationaldurhin.eu
Dazu natürlich auch alle aktuellen Hinweise zu Änderungen im Programmablauf.  
In der Kommentarzeile zu diesem Artikel werden wir versuchen, Sie ebenso auf dem Laufenden zu halten.

2 Kommentare zu Der universelle Kulturschock – Indien in der Rheinoper

  1. Michael Magercord // 12. März 2020 um 11:42 // Antworten

    Schneller als gedacht, müssen wir leider schon eine Absage für eine Veranstaltung des Festivals Arsmondo vermelden: das oben besprochene Konzert des Straßburger Ensembles Accroche Note, das für heute, Donnerstag, um 19 Uhr im Sale Ponnelle angesetzt war, fällt aus – wie ebenso die heute um 22 Uhr in der Galerie AEDAEN geplante Lesung über das Kamasutra.

    In der Regel lässt sich bisher sagen: Wenn die Musiker oder Vortragenden erst von weiter her anreisen müssten, wird die Veranstaltung nicht mehr stattfinden.
    Dazu passt in der Umkehrung diese aktuelle Meldung aus Delhi: Touristen dürfen ab sofort nicht mehr nach Indien einreisen.

    Für die Oper hier in Straßburg gibt es alleridngs noch keine Änderung: Die Proben haben ja bereits begonnen, die Künstler sind schon seit Längerem in der Stadt. Somit gilt bisher: “Until the Lions” wird mit einer Obergenze von 1.000 Zuschauern ab dem 21. März in der Rheinoper aufgeführt.
    Sobald es etwas Neues gibt, werden Sie das hier in einem weiteren Kommentar zum obigen Artikel finden.

    Stehe uns Shiva bei!

  2. Michael Magercord // 13. März 2020 um 16:17 // Antworten

    Nun ist es tatsächlich eingetreten, was in Anbetracht der Entwicklungen der letzten Tagen zu erwarten war: ALLE weiteren Veranstaltungen von ARSMONDO in der Rheinoper und in Mulhouse und Colmar sind mit sofortiger Wirkung ABGESAGT!
    Also nicht nur die obig angekündigten Konzerte, sondern ebenfalls die Oper “Until the Lions” und das Kinderballet “Le joueur de flute” werden nicht mehr stattfimden.

    Wie die Pressestelle der OnR soeben mitgeteilt hat, werden die Aufführungen der beiden Veranstaltungen in einer der kommenden Saisons nachgeholt. In der kommende Woche soll bekanntgeben werden, wie die bereits erstandenen Eintrittskarten rückerstattet werden. Näheres erfahren Sie dann auf der Website der Rheinoper Straßburg (Link s.o.).

    Nun bleibt abzuwarten, was die Götter noch so alles mit uns vorhaben – oder aber man hält sich einfach an die auferlegten Beschränkungen. Sicher ist: es wird vorbeigehen. Je mehr man sich nun beschränkt, desto schneller. Und danach diskutieren wir dann alle mal darüber, wie es weitergehen soll mit uns Erdenbürgern und wer weiß, vielleicht erscheint dann die ein oder andere Beschränkung unserer Aktivitäten sogar für unserem Leben “Danach” sinnvoll zu sein – und sich die ein oder andere bisherige Priorität als unsinnig entlarven.

    Mögen uns bei diesem Abwägungsprozess die Götter der Kunst wohlgesonnen bleiben!

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