Der Westen geht vor Erdogan in die Knie

Recep Tayyip Erdogan macht den Westen lächerlich. Aber daheim hat Frau Erdogan die Hosen an... Foto: G20 Argentina / Wikimedia Commons / CC-BY 2.0

(KL) – Die 10 westlichen Botschafter, denen Recep Tayyip Erdogan am Wochenende noch die Ausweisung und Einstufung als „persona non grata“ angekündigt hatte, dürfen nun doch in der Türkei bleiben. Nicht etwa, weil ihre jeweiligen Länder solidarisch und entschlossen auf die Drohungen Erdogans reagiert hätten, sondern weil sie per Tweet ein peinliches „mea culpa“ veröffentlicht haben.

„Die Botschafter haben einen Rückzieher gemacht und werden künftig vorsichtiger sein“, tönte der Präsidial-Diktator gestern und man stellt fest, dass es die westlichen Länder Erdogan aber auch zu einfach machen, sie am Nasenring durch die Manege zu führen. Der Tweet, mit dem der Westen seinen kollektiven Kniefall vor dem Präsidial-Diktator machte, besagte, dass sich die westlichen Botschaften auch weiterhin an Artikel 41 des Wiener Abkommens halten wollen, der besagt, dass sich Diplomaten nicht in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen, in dem sie tätig sind. Nur – ist das Anprangern von Verstößen gegen die Menschenrechte eine „Einmischung in innere Angelegnheiten“?

Die ersten, die diesen Tweet absetzten, waren die Amerikaner. Dann wurde der Tweet von den anderen betroffenen Botschaften geteilt und einmal mehr erlaubte der Westen Erdogan, sich als „starker Mann an Bosporus“ aufzuführen, der mächtig genug ist, den ganzen Westen nach seiner Pfeife zu tanzen. Die türkischen Wähler wissen das zu schätzen.

Dass die Botschafter Deutschlands, Frankreichs, der USA, Kanadas, Dänemarks, Finnlands, der Niederlande, Norwegens, Schwedens und Neuuseelands letzte Woche in einem gemeinsamen Schreiben die Freilassung von Osman Kavalas forderten, war keine „Einmischung“, sondern die Erinnerung, dass der seit 2017 unrechtmäßig inhaftierte Kavala laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg freizulassen sei. Die Erinnerung daran, dass die Türkei trotz ihrer internationalen Verpflichtungen die Urteile des Straßburger Gerichtshofs nicht umsetzt, ist keine Einmischung, sondern das Bestehen auf das Einhalten internationaler Rechtscodes. Kavala ist ein bekannter Regimekritiker und war in der Gezi-Bewegung 2013 in Istanbul aktiv und da der Erbe eines Tabak-Imperiums über die Mittel verfügt, Erdogan gefährlich werden zu können, sitzt er mit der in diesen Fällen üblichen Anklage im Gefängnis: „politische und militärische Spionage“. Mit dieser Anschuldigung verhaftet das Erdogan-Regime jede oppositionelle Stimme, häufig noch erweitert um den Vorwurf der „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“.

Durch diesen diplomatischen Eiertanz stärkt der Westen Erdogan - der sich nach wie vor über alles hinwegsetzt, was für eine respektvolle Zusammenarbeit zwischen Partner nötig wäre. Doch offenbar hat der Westen derart viel Angst davor, dass Erdogan, ähnlich wie Lukaschenko in Belarus, seine Drohung wahrmacht und die Schleusen für die Flüchtlinge aus dem Mittleren und Nahen Osten öffnet.

Der neuerliche Kniefall vor Erdogan ist ein Fehler. Denn damit wird Erdogan erneut innenpolitisch gestärkt, er kann erneut den Westen lächerlich machen und damit auch weiter Punkte in der arabischen Welt sammeln, wo er händeringend nach neuen Freunden sucht.

Langsam müssen Europa und der Westen begreifen, dass das fundamentalistische Erdogan-Regime kein NATO-Verbündeter und „Freund“ ist – undd dementsprechend sollte dieser Präsidial-Diktator auch behandelt werden. Doch leider verfolgt der Westen im Umgang mit Diktatoren immer die gleiche Taktik: Man arbeitet so lange mit diesen Diktatoren zusammen, bis sie von ihrem Volk in die Wüste geschickt werden. Und dann wird auch der Westen wieder lebendig und erinnert sich daran, dass man diesen oder jeden Diktator immer schon nicht leiden konnte.

Wir schreiben das Jahr 2021 – und es wird immer leichter, den Westen lächerlich zu machen. Kaum bellt irgendwo ein Diktator, zuckt der Westen kollektiv und duckt sich. Traurig;