Der Zusammenbruch

Das politische Establishment in Europa erlebt gerade seinen Zusammenbruch. Die Rücktritte jagen sich und von dem Chaos profitieren „Grün“ und „Braun“. Wer wohl am Ende die Nase vorne hat?

Quiz - welche Parteizentrale stürzt gerade ein? SPD? Tories? LR? PS? CDU? Foto: Teta / Wikimedia Commons / CC-BY-SA 3.0

(KL) – Theresa May, Andrea Nahles, Laurent Wauquiez – das politische Establishment, das Versprechen auf einen ewigen Wechsel zwischen untereinander austauschbaren Akteuren „links“ und „rechts“, verlässt die politische Bühne. Die Rücktritte von Parteichefs, die das geleitet haben, was bis vor wenigen Wochen und Monaten als „Volksparteien“ bezeichnet wurde, kommt nicht von ungefähr. So unterschiedlich die Umstände dieser Rücktrittswelle auch sein mögen, sie verkünden alle das gleiche – das Ende der „alten Welt“. Blöd nur, dass die „neue Welt“ noch nicht richtig erdacht worden ist.

Statt dem „braunen Brecher“ gab es die „grüne Welle“ in Europa und eine Woche nach der Europawahl schlagen diese Ergebnisse auch auf die Umfragen in den einzelnen Ländern durch. Und angesichts dieser nationalen Umfragen, die lediglich das bestätigen, was bereits alle angesichts der Wahlergebnisse verstanden hatten, kommt nun die Rücktrittswelle im bürgerlichen Lager. Aus einem alten Reflex heraus, der die politische Welt schwarz-weiß malt, schlimmer noch, in „gut“ und „böse“ unterteilt, hätte man fast Lust zu grinsen und „recht geschieht’s“ zu denken. Doch ist es gerade wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, sich über diesen in Rekordzeit stattfindenden Zusammenbruch der früheren Volksparteien zu freuen.

Theresa May’s Rücktritt war vermutlich die letzte Rettung vor einem persönlichen Zusammenbruch. Die „Eiserne Lady 2“ ist mit so ziemlich allem gescheitert, was sie angefangen hat. Sie hinterlässt ihre Partei, die Tories, die immerhin noch die Regierungspartei sind und den Regierungschef stellen, mit einem Ergebnis von rund 8,7 % bei der Europawahl. Doch auch die Labour-Opposition kann von dieser historischen Ablehnung einer Regierung nicht profitieren – wie in anderen Ländern kommt nun die Stunde der bisherigen kleinen Parteien, in Großbritannien die Sozialliberalen und die Grünen. Gleichzeitig bereitet Schottland gerade vorsichtshalber sein nächstes Referendum über den Verbleib nicht etwa in der EU, sondern im Vereinten Königreich vor, ist der irische Konflikt wieder aufgeflackert und Großbritannien befindet sich in einer politischen und wirtschaftlichen Krise, wie sie die Insel noch nicht gekannt hat.

Andrea Nahles Rücktritt ist Gegenstand eines anderen Artikel heute auf Eurojournalist. Auch in Deutschland ist das Spiel für CDU/CSU – SPD vorbei. Die „Groko“ hat keine Legitimierung und nur noch zwei Möglichkeiten. Sie führt die Geschäfte so gut oder schlecht wie möglich bis zur nächsten Bundestagswahl weiter, bei der sie dann von den Wählern von der politischen Bühne gefegt werden dürfte, oder sie organisiert vorgezogene Neuwahlen, bei denen allerdings das gleiche passieren kann.

Mit Laurent Wauquiez, dem Chef der französischen Konservativen, ist dann auch ein Parteichef einer der früheren Volksparteien zurückgetreten, nachdem er seine Partei ebenfalls auf das Niveau der Tories geschrumpft hat. Achtkommanochwas Prozent. Unter „ferner liefen“. Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit. Nach den Jahren unter Präsident Sarkozy und dem Mandat des Sozialisten Hollande, hätte 2017 das Jahr der französischen Konservativen „Les Républicains“ werden sollen. Doch es kam anders. Erst verlor der konservative Bürgermeister von Bordeaux (und gerade erst wieder nach seiner abgelaufenen Sperre seiner bürgerlichen Rechte wieder wählbar gewordene) Alain Juppé völlig überraschend die konservativen Vorwahlen gegen den früheren Ministerpräsidenten François Fillon, der weit, weit vorne in den Umfragen lag und eigentlich schon wie der sichere neue Präsident Frankreichs aussah, bis ihn seine Skandale, Vorteilsnahmen, gut dotierten Beraterjobs für Familienangehörige stolpern ließen. Emmanuel Macron taucht auf und überholte alle auf der Überholspur. Die beiden Parteien, die in den letzten 40 Jahren abwechselnd die Präsidenten und Regierungschefs gestellt haben, kommen zusammen gerade noch auf rund 15 % der Wählerstimmen. Das klingt nach weiteren Rücktritten…

Dass die „alte politische Welt“, eine Welt der Korruption, der selbst definierten Sachzwänge und der Mauscheleien zwischen Geld, Wirtschaft und Politik, nun an ihr Ende kommt, ist eigentlich keine schlechte Sache, denn es läuft wirklich viel schief in der heutigen Welt. Das Problem liegt allerdings dort, wo diejenigen, die gerade mutig die „alte Welt“ zertrümmern, keinerlei Ahnung haben, wie eine „neue Welt“ aussehen könnte. Dafür haben sie selbst die Reflexe der „alten Welt“ behalten und sind gerade dabei, unsere Länder mit repressiven Maßnahmen, Einschnitten in persönliche Rechte und der Gleichschaltung der öffentlichen Meinung zu überziehen.

Dass die „alte Welt“ so mies organisiert ist, dass es nun schamhafte Rücktritte derjenigen gibt, die dies hätten verhindern sollen, ist kein Grund, eine „Alte Welt 2.0“ mit totalitären Zügen einzurichten. Das ist aber leider das, was gerade passiert. Den Kampf um eine bessere, humanere und sozialere Zukunft in Europa werden nicht „links“ und „rechts“ führen, sondern „Grün“ gegen „Braun“. Ein neues politisches Zeitalter hat begonnen.

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