Deutschland rutscht ganz weit nach rechts

Die Landtagswahlen vom 13. März 2016 waren ein historisches Ereignis. Aber leider eines, dessen Auswirkungen geradezu gefährlich für die Zukunft unseres Landes sind. Droht eine „Weimarer Republik 2.0“?

Wieviel Unheil man mit so einem Stück Papier anrichten kann, zeigten gestern die Wähler, vor allem in Sachsen-Anhalt. Foto: Arne Bicker

(KL) – Seit gestern Abend ist vieles anders in Deutschland. Es ist Bewegung in die politische Landschaft gekommen, doch leider geht diese Bewegung in eine völlig falsche Richtung, nämlich hinein in ein rechtsextremes, ausländerfeindliches, gewalttätiges Deutschland, so eines, wie wir es schon einmal erlebt haben und wie wir es eigentlich nie wieder erleben wollten. Aber der Reihe nach.

In Baden-Württemberg schafften die Grünen Historisches – sie wurden erstmals stärkste Partei in einem deutschen Bundesland, der erste grüne Ministerpräsident eines Landes, Winfried Kretschmann kann voraussichtlich seinen Sessel behalten, die CDU erzielte ihr schlechtestes Ergebnis im Ländle, seit es das Ländle gibt und die AfD kam aus dem Stand auf 15 % der Stimmen. All das ist historisch.

Obwohl Winfried Kretschmann ein „Traumergebnis“ einfuhr, musste er mit ansehen, wie die SPD implodierte und die Rechtsextremen der AfD vorbeiziehen lassen musste. Die Reaktionen von Spitzenkandidat Nils Schmid am gestrigen Wahlabend zeigten auch, woran das liegt – die SPD hat inzwischen in Baden-Württemberg eine völlig falsche Selbstwahrnehmung und auf dem Weg zu ihren 12,7% waren alle und jeder, aber keinesfalls die SPD selbst schuld. Klar, die SPD hat sicherlich alles richtig gemacht und nur die Wähler waren wieder mal zu blöd. Ein wenig Fähigkeit zur Selbstkritik stünde der SPD gut zu Gesicht und die Partei sollte besser damit anfangen, bevor sie an Abenden wie dem gestrigen unter „andere“ geführt wird.

Die Regierungsbildung in Baden-Württemberg wird nicht ganz einfach. Eine stabile Mehrheit gäbe es nur für Grün-Schwarz, einer Konstellation, an der Winfried Kretschmann bereits seit langen Monaten im Hintergrund bastelt. Außer einer seltsamen „Deutschland-Koalition“ (CDU-SPD-FDP), die aber auch nur über eine Mehrheit von einer oder zwei Stimmen verfügen würde, wäre nur noch eine Koalition Grüne-SPD-FDP denkbar, die allerdings von der FDP bereits im Vorfeld vehement ausgeschlossen wurde und die ebenfalls nur über eine hauchdünne Mehrheit verfügen würde, was angesichts der inhaltlichen Unterschiede der drei Parteien in der Praxis nicht funktionieren könnte. Insofern läuft schon alles auf Grün-Schwarz hinaus, doch wird es der CDU sehr, sehr schwer fallen, sich mit der neuen Rolle eines „Juniorpartners“ der Grünen zurecht zu finden.

In Rheinland-Pfalz wählten die Menschen zwar auch überraschend, aber noch weitgehend „normal“. Die SPD von Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat tatsächlich das Kunststück geschafft, innerhalb von fünf Monaten einen Rückstand von 10 % auf ihre Herausforderin der CDU, Julia Klöckner, nicht nur aufzuholen, sondern in einen Vorsprung umzumünzen. Am Ende sprangen fast 5 % Vorsprung für die SPD heraus, die aber künftig einen anderen Koalitionspartner braucht. Denn die Grünen verloren über 10 % ihrer Stimmen und landeten nur ganz knapp über der 5 %-Hürde. Womit es nicht für eine Fortführung von SPD-Grüne in Mainz langt. Einzige Option – eine „große Koalition“ SPD-CDU unter Führung von Malu Dreyer.

Das Ergebnis in Sachsen-Anhalt ist einfach nur beunruhigend. Zwar erwartete man im einzigen neuen Bundesland, in dem gewählt wurde, an ein starkes Ergebnis der AfD, doch das die Rechtsextremen als zweitstärkste Kraft abschnitten und im Ergebnis nicht mehr weit weg von der CDU liegen, damit hatte niemand gerechnet. Mit 24,0 % der Stimmen ist die AfD in Sachsen-Anhalt zu einer gesellschaftlichen Gefahr geworden. Denn ohnehin sind die neuen Bundesländer schon die Hochburgen für amateurterroristische Angriffe auf Asylbewerberheime und „ausländisch“ aussehende Mitbürger geworden – das Ergebnis der AfD werden die Schwachköpfe, die solche Angriffe verüben, weiter Rückenwind erhalten. Und – die Regierungsbildung in Magdeburg dürfte in etwa so schwierig werden wie die Quadratur des Kreises.

Denn eine neue Regierung müsste sich „um die AfD herum“ bilden, doch deren 24,0 % machen fast alle rechnerischen Koalitionsoptionen zunichte. Bei diesem Ergebnis CDU 29,7 % (-2,8); AfD 24,0 % (+24,0); Die Linke 15,7 % (-8,0); Grüne 5,0 % (-2,1); FDP 4,9% (+1,1), andere, darunter eine kräftige NPD 10,5 % (+3,7) sind praktisch keine realistischen Koalitionen möglich. Es ist klar, dass mindestens drei Parteien koalieren müssen, um eine Regierung ohne die AfD bilden zu können. Weder die CDU noch die SPD (die zusammen keine Mehrheit hätten) wollen mit der Die Linke zusammenarbeiten, und ohne AfD und Die Linke ist eine Regierungsbildung praktisch nicht möglich. Hier gilt – alles offen in den nächsten Wochen.

Deutschland dirigiert sich in Richtung einer „Weimarer Republik 2.0“. Die politische Stabilität, auf die Deutschland immer so stolz war, bröckelt gerade ab. Neue, extremistische Formationen wie die AfD tauchen auf und erzielen Wahlerfolge. Die Parallele zum Aufstieg der NSDAP in den späten 20er und frühen 30er Jahren des letzten Jahrhunderts sind augenfällig, ebenso wie die Radikalität und Menschenverachtung, aber auch ein völlig überzogenes Nationalgefühl der neuen Rechtsextremen.

Für Angela Merkel ist dieses Wahlergebnis eine Ohrfeige. Wie sie den Rückhalt in der eigenen Partei aufrecht halten will, ist ein Rätsel, denn auch, wenn es gestern Abend niemand aussprach – alle CDU-Verlierer (und von denen gab es gestern reichlich) machen einzig und allein die Kanzlerin für ihr schlechtes Ergebnis verantwortlich. Ganz Deutschland rutscht nach rechts – mit einer Dynamik, die das Schlimmste befürchten lässt. Ob bald der Reichstag in Berlin wieder brennen wird?

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