Deutschland und Frankreich: Verwaltung der Ideenlosigkeit

Die deutsch-französischen Beziehungen sind, trotz gelegentlicher Treffen der Offiziellen, kurz vor dem Einschlafen. Was fehlt, sind Visionen und der Mut, diese umzusetzen.

Na ja, wenn es schon schwierig ist, die Speisekarte in der Sprache des Nachbarn zu entziffern... Foto: (c) Présidence de la République / P. Segrette

(KL) – Wenn man weit im Landesinneren lebt, beispielsweise in Bielefeld oder Limoges, dann interessieren die deutsch-französischen Beziehungen nur am Rande. Vielleicht gibt es in solchen Städten mal eine Kulturwoche, Sonderangebote mit kulinarischen Spezialitäten aus dem anderen Land, vielleicht kann man dort über Kabel oder Satellit sogar ARTE empfangen – doch ansonsten spielen die deutsch-französischen Beziehungen im Leben der Menschen keine große Rolle. Da ändern auch gemeinsame Kabinettssitzungen und gelegentliche Stippvisiten von deutsch-französischen Parlamentariergruppen nicht viel. So hatten sich das General de Gaulle und Konrad Adenauer eigentlich nicht vorgestellt.

Seien wir ehrlich – außerhalb der deutsch-französischen Grenzregion gibt es kaum jemanden, der das Tandem Paris-Berlin ernst nimmt und bei uns, in der deutsch-französischen Grenzregion, scheitern viele Initiativen und Projekte entweder an der Ideenlosigkeit der Verantwortlichen, administrativen Hürden oder immer noch an der Sprachbarriere. Dass dies so ist, liegt nicht daran, dass wir in diesen deutsch-französischen Beziehungen einfach nur Pech haben, sondern vor allem daran, dass wir sie gar nicht verbessern wollen. Denn wollte man diese deutsch-französischen Beziehungen intensivieren, dann wäre das ohne Weiteres möglich.

So fragt man sich, warum es für gehobene Beamte, beispielsweise Bürgermeister in Grenzregionen nicht zum Kriterium wird, die Sprache des Nachbarn zu beherrschen. Nach wie vor ist die große Mehrheit der lokal und regional politisch Verantwortlichen nicht in der Lage, einem deutsch-französischen Treffen ohne Kopfhörer und Simultandolmetscher zu folgen. Doch wenn sich bereits die Verantwortlichen nicht auf den Nachbarn einlassen, wie wollen sie dann ein Beispiel in die Bevölkerung geben? Wie kann man von den Menschen erwarten, dass diese sich „deutsch-französisch“ verhalten, wenn diejenigen, die dafür die Rahmenbedingungen schaffen sollen, es selbst nicht tun?

Der Oberrhein wäre gut beraten, sich die im Januar von der saarländischen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer präsentierte „Frankreich-Strategie“ einmal genauer anzuschauen. Doch leider leben wir am Oberrhein in einer ziemlich arroganten und beratungsresistenten Region. Während der großartigen Präsentation dieser ehrgeizigen deutsch-französischen Agenda, hörten die Verantwortlichen des Elsass kaum zu, beeilten sich aber, der saarländischen Ministerpräsidentin zu erklären, dass man selber auch ganz tolle Sachen mache. Worüber man durchaus geteilter Meinung sein darf.

Im Saarland geht man das Thema anders an. Um den Austausch mit den Nachbarn nicht vollständig den großen Supermarkt-Ketten auf beiden Seiten der Grenze zu überlassen, will man bis 2043 das Französische zur zweiten Amtssprache machen. Ein geschickter Schachzug – denn die ersten, die sich um eine intensive Sprachausbildung bemühen werden müssen, sind diejenigen, die in der Verwaltungen des Saarlands Karriere machen wollen. Wer 2043 kein Französisch im Saarland spricht, wird Schwierigkeiten haben, an diese begehrten Posten zu kommen. Was bedeutet, dass Annegret Kramp-Karrenbauer das Problem der Sprachbarriere von oben angeht, statt immer nur die Bürgerinnen und Bürger aufzufordern, doch die Sprache des Nachbarn zu lernen. Das nennt man auch „mit gutem Beispiel vorangehen“. Damit es für die heutige Beamtengeneration nicht unfair wird, hat man im Saarland einen großzügig geschnittenen Zeitplan aufgestellt. Bis 2043 sollten alle, die im Saarland Karriere machen wollen, genug Zeit haben, sich auf diese veränderte Sprachkulisse einzustellen. Im Elsass hat man das nicht nötig. Oder man hat einfach bei der Präsentation der „Frankreich-Strategie“ nicht zugehört.

Ebenfalls völlig unklar ist der Umgang von Politik und Verwaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern. Nein, ganz unklar ist dieser Umgang nicht, denn eines ist klar – die Stimme der Bürgerinnen und Bürger zählt in der deutsch-französischen Grenzregion nicht. Oder wissen Sie, welche konkreten Projekte sich aus den sich immer wiederholenden Veranstaltungen zur so genannten Bürgerbeteiligung ergeben haben? Wie den sündhaft teuren „Bürgerkongressen“, die einstmals die Trinationale Metropolregion Oberrhein, das größte potemkinsche Dorf am Oberrhein, organisiert hat? Oder was mit den Ergebnissen der „Bürgerkonvente“ im Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau geschehen ist? Genau – nichts.

2003 hatten, man glaubt es kaum, Jacques Chirac und Gerhard Schröder tatsächlich eine Vision. Sie wollten am Oberrhein ein „europäisches Laboratorium“ einrichten, eine Modellregion, in der neue Formen des grenzüberschreitenden Zusammenlebens experimentiert werden sollten. Stattdessen wurden verschiedene grenzüberschreitende Verwaltungen ins Leben gerufen, die sich heute überwiegend darauf konzentrieren, die Ideenlosigkeit der verantwortlichen Politiker zu verwalten.

Zum Glück gibt es zahlreiche Vereine, Initiativen und Organisationen, die trotz dieses politischen Offenbarungseids der Verantwortlichen tapfer weiter für die deutsch-französische Sache kämpfen. Und wenn diese Organisationen etwas Gutes auf die Beine stellen, finden sich auch immer Politiker, die sich dafür die Credits ans Revers stecken. Doch ganz unschuldig sind wir Bürgerinnen und Bürger an diesem Stillstand der deutsch-französischen Beziehungen nicht. Denn solange wir für Politiker stimmen, denen dieses Thema offensichtlich herzlich egal ist, solange wird sich auch nichts daran ändern. Ein Gedanke, den man sich vielleicht vor den nächsten Wahlkämpfen noch einmal durch den Kopf gehen lassen sollte…

3 Kommentare zu Deutschland und Frankreich: Verwaltung der Ideenlosigkeit

  1. Peter Zwilling // 22. April 2015 um 1:52 // Antworten

    Das Saarland ist heute schon von allen Bundeslaendern bei English am schlechtesten (siehe EPIndex). Franzoesisch ist eine schleichend ‘sterbende Sprache’. Auch der vermeintlich frankophile Teil Afrikas steigt bereits direkt oder indirekt immer mehr auf English um, egal ob in Nord- oder Westafrika. In Kanada verliert Franzoesisch ebenfalls immer mehr an Gewicht wie der demographische Zensus zeigt. Ansonsten sind diese Vorstellungen von Grenze noch aus dem 19. Jahrhundert. Was haben hier manche eigentlich am Wort ‘global’ nicht verstanden? Der Planet urbanisiert sich. Juenger halten nicht mehr an Grenzen an, sondern springen gleich zu den grossen Metropolen, die gerade in Europa oft bereits ueber 100 Sprachen kennen – wegen der verschiedenen Migranten aus fast 200 Laendern. Laender wie Luxemburg waren frueher mal bekannt wegen der Vielsprachigkeit, aber relevant ist heute zunehmend global nur noch Global English. Das lernen hunderte von Millionen Chinesen. Und nein Chinesisch wird so wenig wie Spanish jemals die lingua franca des Planeten werden koennen. Bereits heute sprechen 1.5 bis 2 Mrd. Menschen Englisch. Sowohl China als auch die spanischsprechenden Laender haben bereits ihr demographisches Peak erreicht oder stehen kurz davor. Danach gehts abwaerts. Nicht hingegen in Indien (Englischsprachig, global gesehen), Nigeria (groesstes Land Afrikas mit English wie so viele anderen), Pakistan (English), Bangladesh (English), Philippinen (English)… und und und. Die meistgesprochene Sprache in Europa ist wie jeder eigentlich schon anhand jeder Startup erkennen koennen sollte natuerlich Englisch. Was wollen die mit einem toten Franzoesisch? Ist doch voellig an der Realitaet vorbei. Das Saarland hat bereits eine abnehmende Demographie. Solche eklatanten, total rueckwaertsgewandten politisch-ideologischen Entscheidungen sind katastraphal und eine Unverschaemtheit gegenueber den Kindern. Auch junge Franzosen lernen natuerlich: English. Und genau so werden sie mit den Deutschen in der Zukunft auch sprechen. Und sie lockt doch kein weiteres franzoesischsprachiges Anhaengsel, sondern natuerlich die English-sprachigen global Communities in den diversen Metropolen. Haette Saarland komplett und konsequent auf English gesetzt, koennte es vielleicht einen kleinen globalen Hub/Fokus fuer den gesamten Planeten erzeugen. So aber entwickelt es sich zurueck …

    • Kai Littmann // 22. April 2015 um 18:35 // Antworten

      Genau – das “Saarland als Tor zur Welt” – was denn noch? Die Polarisierung zwischen Englisch und Französisch ist vollkommen überflüssig, denn wenn der Sprachunterricht früh einsetzt, das zeigen inzwischen Dutzende hoch wissenschaftlicher Projekte, lernen die Kids nicht Englisch oder Französisch (zusätzlich zu ihrer Muttersprache), sondern Englisch UND Französisch. Und wenn das richtig organisiert ist, auch noch Chinesisch oder Spanisch oder Russisch. Tatsache ist aber auch, dass neben dem Saarland nun mal weder China, noch Nigeria, noch die USA liegen, sondern Frankreich. Was übrigens auch bei uns am Oberrhein der Fall ist. Die Vision, dass sich künftig, so wie Sie sich das vorstellen, junge Elsässer oder Lothringer mit ihren Nachbarn in Baden, Rheinland-Pfalz oder dem Saarland auf global English unterhalten, wäre ein kultureller Offenbarungseid. Die weltweite Gleichmacherei, die sich sowohl auf die Wirtschaft wie auch auf die Kultur bezieht, ist nichts, was man begeistert fördern sollte – denn letztlich nützt diese Entwicklung nur denjenigen, die damit Geld verdienen. Die nächsten Generationen aber konsequent in mehreren Sprachen auszubilden, möglichst ab dem Kindergartenalter, wäre der deutlich bessere Weg. Denn man muss ja nun auch nicht jeden Trend mitmachen, bei dem der ach so heiligen Globalisierung auch noch das letzte Kulturgut geopfert wird. Und die Vorstellung eines Saarlands als “kleines globales Hub/Fokus für den gesamten Planeten”… aber auf jeden Fall danke für den ausführlichen Kommentar!

  2. Das Macht mich fassungslos zu lesen das „Globisch „ die Zukunftsprache wäre. Das trifft zu für Konsumenten die mit einem 150 Wörter Wortschatz ihr gesamtes Wissen ausdrücken.
    Deutsch und Französisch sind meine „Muttersprachen“ , Englisch, das von beiden Sprachen abgeleitet ist, ist mir nach 4 Jahren USA, sehr geläufig.
    Mit Entsetzen dürfte ich an Meetings mit Deutschen und Französischen Teilnehmer die sich mühsam zu verständigen versuchten, teilnehmen.
    Eine Sprache ist und bleibt der Ausdruck einer Lebensweise, einer Kultur….
    Wer sich mit „Shopping Mall Kultur „ zufrieden gibt, sollte 150 Worte English lernen, das genügt!
    Frau Kramp Karrenbauer, Sie sind auf dem guten Weg!

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