Die Auseinandersetzungen werden schärfer

Die Radikalisierung etlicher „Querdenker“ ist beunruhigend. Mit Gewalt wird die Frage nach der richtigen Pandemie-Strategie nicht zu klären sein.

Na, dann schaffen wir doch all diese Ärgernisse einfach ab - Corona, Krisen und Kapitalismus. Wenn's so einfach wäre... Foto: Leonhard Lenz / Wikimedia Commons / CC0 1.0

(KL) – Eigentlich hatte man die Radikalisierung der Impf-, Impfpass- und sonstigen Gegner eher in Frankreich als in Deutschland erwartet. Doch während in Frankreich Samstag für Samstag Hunderttausende friedlich demonstrieren und nicht einmal auf Provokationen der Ordnungskräfte reagieren, suchen die „Querdenker“ in Deutschland offenbar die Konfrontation. Nur – was soll eine solche Konfrontation bringen?

Polizisten und Journalisten sind inzwischen die „Lieblingsgegner“ der „Querdenker“, die sich nach wie vor allen möglichen Komplott-Theorien hingeben und damit auch einen Dialog zwischen denjenigen Demonstranten, deren Fragen tatsächlich beantwortet werden müssen, und dem Rest der Gesellschaft unmöglich machen. Diskussionen mit Aluhut-Trägern, „QAnons“ und anderweitig Illuminierten machen in der Tat wenig Sinn und wenn deren Demonstrationen nicht ohne Angriffe auf die Polizei ablaufen können, darf sich niemand wundern, wenn diese Demonstrationen im Vorfeld verboten werden.

Aber es findet sich immer irgendein Gericht, das im Eilverfahren dann doch noch die eine oder andere Demonstration genehmigt, wahrscheinlich, damit die Polizeikräfte nicht außer Übung geraten. Am letzten Wochenende kam es zum Jahrestag des „Sturms auf den Reichstag“ wieder zu einer Demonstration, an der sich „einige Tausend Querdenker“ beteiligten. Es kam zu Steinwürfen auf Polizisten und rund 80 Festnahmen. Was allerdings nicht ganz klar ist, sind die Forderungen der Demonstranten.

Die „Querdenker“ sind keine einheitliche Bewegung. Für die einen gibt es das Virus und die Pandemie gar nicht, die anderen erklären aufgeregt, dass in Washington Zehntausende Kinder in unterirdischen Verliesen gefangen gehalten werden, wieder andere sind gegen die Impfung als solche, noch andere gegen den Impfpass, und dann gibt es auch noch diejenigen, die glauben, dass den Menschen mit dem Impfstoff miniaturisierte 5G-Microchips eingepflanzt werden. Wie will man mit einer solchen „Bewegung“ diskutieren?

Die Entwicklung der Protestbewegungen in Deutschland und Frankreich ist gegenläufig. Während die französischen Demonstranten ihre Forderungen kanalisieren und in erster Linie die Abschaffung des „sanitären Passes“ fordern (und den Rücktritt von Präsident Macron), sind klare Forderungen bei den „Querdenkern“ nicht auszumachen. Das wüste Durcheinander von Reichsbürgern, Komplottisten, Alu-Hüten, 5G-Gegnern, Systemgegnern, Rechtsextremen, Linksextremen zusammen mit besorgten Bürgerinnen und Bürgern macht es unmöglich, so etwas wie Ansatzpunkte für Diskussionen mit diesen Menschen zu finden.

Doch statt zu jammern, man habe die Demokratie abgeschafft, sollten diese Leute lieber am 26. September zur Bundestagswahl gehen, denn das ist in einer Demokratie die Gelegenheit, einen Politikwechsel zu initiieren. Schwierig wird es allerdings, eine politische Formation zu finden, die dieses Durcheinander an Positionen und Forderungen vertritt.

Dass diese Demonstrationen inzwischen in ganz Europa stattfinden (und in vielen Ländern, wie beispielsweise Griechenland) immer aggressiver und militanter werden, müssen sich die politisch Verantwortlichen allerdings selbst auf die Fahne schreiben. Seit anderthalb Jahren erlebt die ganze Welt eine nicht enden wollende Serie an Falschmeldungen, Manipulationen, Lügen und Inkompetenz seitens der Politik, deren Verhalten eine ohnehin schon schwierige Situation noch komplizierter macht. Die wichtigsten Fragen der (gemäßigten) Demonstranten bleiben nach wie vor unbeantwortet und die Aussage „vertrauen Sie uns, der einzige Weg aus der Pandemie sind die Impfungen“ greift nicht mehr.

Weder wissen wir nach anderthalb Jahren, woher das Virus stammt, noch, ob es sich natürlich gebildet hat oder künstlich erzeugt wurde, wir haben keine Ahnung, wie sich die Varianten verhalten, oder warum auch Geimpfte nach wie vor das Virus einfangen und verbreiten können; wir können nicht erklären, warum zwei Dosen der Impfstoffe nicht ausreichen und warum die verschiedenen Varianten unterschiedliche Gruppen befallen; es gibt keine Erklärung dafür, warum sich das Virus in verschiedenen Ländern unterschiedlich verhält oder wie es zu den immer häufiger berichteten „Long Covid“-Fällen kommt. Bei derart berechtigten Fragen reicht es nicht, gebetsmühlenartig zu wiederholen, dass man sich impfen lassen soll, um „sich und andere zu schützen“.

Jetzt, am Ende der Sommerferien, wird man genau hinschauen müssen, wie sich die Situation entwickelt, denn europaweit stellt man eine Radikalisierung der Protestbewegungen fest. Im September und Oktober sind in vielen Ländern massive Verschärfungen der sanitären Regeln geplant oder bereits beschlossen, die von der Kostenpflicht der Tests über Berufsverbote und andere Maßnahmen reichen. So lange die offenen Fragen nicht oder nur durch Slogans beantwortet werden, wird jede Verschärfung der Maßnahmen zu schärferen Gegenreaktionen führen. Nur – eine Spaltung der Gesellschaft ist momentan ungefähr das Letzte, was wir brauchen. Hoffen wir also auf mehr Transparenz und Antworten, damit Europa nicht in Gewalt und Gegengewalt versinkt.

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